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Good Practice – Inklusion in der Chemiedidaktik

Veröffentlicht am 23. Februar 2023

Name: Frau Prof. Dr. Stefanie Schwedler

Fakultät /Fachgebiet: Fakultät für Chemie und Didaktik der Chemie

An der Uni seit: Rätin seit 2013, Professorin seit 2022

Lehrveranstaltung und Lehrveranstaltungsart: Inklusives Experimentieren und Modellieren an der Schnittstelle zwischen universitärer und schulischer Chemiedidaktik (Seminar, SoSe 19, SoSe 20, SoSe 21, SoSe 22)

Gefördert durch: Qualitätsfonds der Universität Bielefeld

Übertragbarkeit auf andere Fachgebiete: Gut (bezüglich NaWi-Lehramt)

(Digitale) Innovation: Mit der Lehrveranstaltung „Inklusion in der Chemiedidaktik“ ist es gelungen, eine praxisorientierte, inklusionsspezifische Vermittlung in der Chemiedidaktik zu etablieren. Angehende Chemielehrkräfte werden gezielt an die Gestaltung und Reflexion eines inklusiven Lernangebotes mit Experimenten und gegenständlichen Funktionsmodellen herangeführt. Die Aufbereitung der Materialsammlungen verstetigt die bisherigen, sehr guten Arbeitsergebnisse und bildet eine gute Grundlage für die zukünftige Durchführung sowie den Austausch mit Lehrkräften und Expert:innen in der Region.

 

  • Ziel der Innovation

Die Studierenden sollen ihre Kompetenzen hinsichtlich inklusiver Unterrichtsformen ausschärfen und sich kritisch mit dem Inklusionsbegriff und der Umsetzung in der Chemiedidaktik auseinandersetzen. Zu diesem Zweck ist die Lehrveranstaltung in einen theoretischen und einen praktischen Teil untergliedert. Zum einen setzen sich die Studierenden mit den Ergebnissen chemiedidaktischer Forschung im Bereich Inklusion auseinander und betrachten über die Gelingensbedingungen inklusiven Unterrichts auch die Chancen, Risiken und Herausforderungen des inklusiven Schulalltags. Zum anderen gestalten die Studierenden nach dem Paradigma des projektbasierten Lernens eigene Lerneinheiten zu Experimentiersettings und entwickeln Modelle und Materialien, die Heterogenität berücksichtigen.

  • Erfahrung und Evaluation

Die Lehrveranstaltung wurde durch einen Fragebogen mit Vignettenteil sowie offenes Feedback evaluiert. Dabei wurde auch die Kompetenzentwicklung der Studierenden erfasst. Insgesamt betonen die Studierenden die Komplexität der Gestaltungsaufgabe, aber auch ihren Lernfortschritt durch das authentische, herausfordernde Problem.

  • Curriculare / Modulare Verankerung

Die Lehrveranstaltung Inklusion in der Chemiedidaktik ist im Modul 21-M55 Didaktik der Chemie II: Inklusion (GymGe/HRSGe) verankert.

Schwierigkeiten & Lösungen

Hauptschwierigkeit ist es, den Studierendenteams im Umgang mit der sehr komplexen Problemstellung angemessene Hilfestellungen und gutes Feedback zu geben. Daher wurde im Seminarkonzept verankert, dass jede Gruppe neben Rückmeldungen zu Einzelaspekten auch mindestens ein Lehrendenfeedback sowie ein Peer-Feedback zu ihrem Gesamtkonzept erhält, noch bevor das fertige Produkt im Abschlussworkshop vorgestellt wird. Darüber hinaus ist es nicht trivial, die notwendigen chemiedidaktischen und inklusionspädagogischen Kompetenzen durch die Dozierenden abzudecken. Um dieses Problem zu lösen wurde einerseits auf Kooperation mit Wissenschaftler:innen der Universität Würzburg und andererseits auf Lehrendentandems gesetzt.

Welche Unterstützung habe ich genutzt:

3D-Druck von haptischen Funktionsmodellen durch das Digital Learning Lab (Medienpraxis der Uni Bielefeld)

Welches Projekt steht als Nächstes an?

Die Aufbereitung der Materialsammlungen verstetigt die bisherigen Arbeitsergebnisse und bildet eine gute Grundlage für die zukünftige Durchführung. Um den Praxisbezug zu verstärken, ist ein Austausch mit Lehrkräften der Region sowie die Erprobung ausgewählter studentischer Erarbeitungen Schüler:innengruppen angedacht...

Mehr erfahren:

Aus der Lehrkooperation mit den Wissenschaftler:innen der Universität Würzburg hat sich inzwischen ein Forschungsprojekt zu inklusiven Kompetenzen in der Lehramtsausbildung entwickelt. Weitere Informationen dazu finden sich in

Schwedler, S, Weirauch, K, Reuter, C., Zimmermann, J. (2022): Planungskompetenz für inklusiven naturwissenschaftlichen Unterricht - eine Interventionsstudie mit Lehramtsstudierenden aus Chemiedidaktik und Sonderpädagogik, Gesellschaft für die Didaktik der Chemie und Physik Band 42, 360-363

Prof. Dr. Stefanie Schwedler
Fakultät für Chemie
stefanie.schwedler@uni-bielefeld.de
0521 106 2038

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Gesendet von BStiebing in Good Practice

ORCA.nrw lädt ein: OER-Fachtag Lehrkräftebildung

Veröffentlicht am 17. Februar 2023

Am 23.02.23 von 10 bis 15 Uhr findet ein OER-Fachtag für Lehrkräfte statt. ORCA.nrw organisiert diese Veranstaltung, um die Fachcommunities für einen Erfahrungs- und Wissensaustausch zu Open Educational Resources zusammenzubringen. Lehrende aus NRW, die selbst aktuell umfangreiche OER-Projekte umsetzen, berichten aus ihrer Praxis. Die Veranstaltung findet digital via Zoom statt.

Hier geht es zur Anmeldung.[Weiterlesen]
Gesendet von BStiebing in Veranstaltungen

27.02.2023 LehrBar Spezial | ChatGPT in der Hochschullehre

Veröffentlicht am 14. Februar 2023

Montag, 27. Februar 2023 | 15:00 – 17:00 h (s.t.)

Raum: X-E1-103 & Zoom-Raum: https://uni-bielefeld.zoom.us/j/64428734247?pwd=bmpzTE5uM3g2TnBxSHNCQlh5WURXZz09
Meeting-ID: 644 2873 4247, Passwort: 459370

Impuls: Nadine Lordick, Schreibzentrum der Ruhr Universität Bochum

Derzeit wird in allen Medien über das KI-Tool ChatGPT berichtet, das nach Aufforderung in einer Chat-Oberfläche sekundenschnell Fragen beantwortet, Texte generiert und Aufgaben löst. 

Entsprechend wirft ChatGPT auch Fragen zum Schreiben im Studium auf: Werden Studierende das Tool immer stärker beim Verfassen von Essays, Haus- oder Abschlussarbeiten nutzen? Werden neue Regeln für Haus- und Abschlussarbeiten gebraucht, oder sollte in Zukunft verstärkt mündlich geprüft werden? Aber auch: Welche Potenziale haben KI-Schreibtools möglicherweise für das Lehren und Lernen an der Universität? Welche Risiken sind damit verbunden? 

Wir möchten Sie herzlich einladen zu einer LehrBar Spezial, in der diskutiert, gesammelt und sortiert werden soll, welche Überlegungen, Wünsche und Ideen es zur weiteren Beschäftigung mit ChatGPT und weiteren  KI-basierten Schreibtools an der Universität Bielefeld gibt. Wir freuen uns sehr, dass wir für einen diskussionseinleitenden Input Nadine Lordick vom Schreibzentrum der Ruhr Universität Bochum gewinnen konnten, die sich im Rahmen des Projekts KI:ediu.nrw  mit KI-basierten Tools zum Schreiben beschäftigt.[Weiterlesen]
Gesendet von BStiebing in Veranstaltungen

Aus dem Projekt DiViFag: Lehr-/Lernszenario „Blutentnahme“

Veröffentlicht am 9. Februar 2023

Ein Beitrag von Miriam Falk-Dulisch, Dr. Anne-Kathrin Eickelmann und Laura Liebau

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes „Digital und virtuell unterstützte Fallarbeit in den Gesundheitsberufen“ (DiViFaG) wurden an der Universität Bielefeld für die Medizinstudierenden verschiedene Lernszenarien entwickelt. Ziel des Projektes DiViFaG ist die Entwicklung, Erprobung und Evaluation digital und virtuell unterstützter Lehr-/Lernszenarien zu Basisfertigkeiten in den Gesundheitsberufen. Die erstellten Materialien werden im Anschluss als Open Educational Ressource zur Verfügung gestellt.

Ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaftler*innen der Medizinischen Fakultät OWL konzipierte das hier vorgestellte fallbasierte Lernszenario zum Thema „Venöse Blutentnahme“ und erprobte es mit den Studierenden im zweiten Semester des Modellstudiengangs Medizin. Ein hybrider Ansatz aus „flipped classroom“ und „blended learning“ trug dem bereits verdichteten Medizinstudium Rechnung. So erfolgte z.B. die Vor- und Nachbereitung der theoretischen Inhalte für die Präsenzveranstaltungen in einem interaktiv gestalteten LernraumPlus. Zur Aktivierung und Wissensvermittlung wurden dabei verschiedene digitale Medien wie Videos, Audiodateien sowie diverse H5P-Elemente eingesetzt. Die Studierenden konnten sich entsprechend asynchron, zeit- und ortunabhängig sowie selbstständig in das Thema einarbeiten.

Beim Aufbau des LernraumPlus wurde das Grid-Format verwendet, durch welches die Einteilung der Lernabschnitte anhand der hinterlegten, eingängigen Graphiken direkt visuell erfassbar ist. Dadurch entsteht eine strukturierte Übersicht der angebotenen Themenblöcke wie in der folgenden Abbildung dargestellt.

 Kacheln mit passenden Grafiken für Aufgaben im Lernraum Plus

 

Im Einführungsteil werden die Studierenden begrüßt und bekommen direkt zu Beginn die Lernziele und Kompetenzen erläutert, die mit dem Lernraum und dem Modul vermittelt bzw. angebahnt werden. Darüber hinaus wird ihnen kurz der Modulablauf anhand der bereits bekannten Abschnittsbilder bildlich dargestellt und die Navigation durch den Lernraum anhand eines Screenshots erläutert.

Das Lernszenario ist in fünf Abschnitte unterteilt. 1-3 und 5 finden online statt, 4 in Präsenz.

 

Hinweis zur Navigation durch das Lernszenario Blutentnahme

 

So sollen insbesondere für die Studierenden, die noch nicht geübt im Umgang mit Moodle sind, Verunsicherungen abgebaut werden und die Fokussierung auf die Inhalte des Moduls und des Lernraums erleichtert werden.

Um zusätzlich zur Vermittlung von kognitivem Wissen und Handlungswissen die Komplexität des Berufsalltags darzustellen, wird die venöse Blutentnahme durch einen realitätsnahen Patientenfall gerahmt. Die Falldarstellung erfolgt zunächst möglichst realitätsgetreu aus Sicht des Patienten und aus Sicht seines Hausarztes. Hierzu wurde der jeweilige Monolog mithilfe eines gängigen Smartphones mit Aufnahmefunktion eingesprochen und sowohl als Tonspur als auch in ausklappbarer Textform zum Nachlesen im Lernraum platziert. Innerhalb des Lernraums fungiert der Fall wiederholt als roter Faden und Bindeglied entlang der einzelnen Abschnitte und strukturiert für die Studierenden den Lernpfad durch den immer wieder auftauchenden Protagonisten (Patient) und dessen Krankheitsverlauf.

Daran schließt sich, wie auch in der Realität, ein Einblick in die Krankenakte mit Befunden des Patienten an. Diese konnte mit dem H5P-Element „Interactive Book“ inhaltlich entsprechend einer physischen Aktenkladde mit Laborbefunden, Röntgenbildern usw. abgebildet werden:

Interactive Book mit Laborwerten

 

Das „Interactive Book“ kann mit Hilfe der Pfeiltasten der Tastatur durchgeblättert oder die gesuchte Seite mit der Navigationsleiste linksseitig aufgerufen werden. Die einzelnen Inhaltseiten dieses vielseitigen H5P-Elements lassen sich individuell mithilfe anderer H5P-Elemente gestalten, z.B. ein Quiz oder Bilderreihen. Weiterhin können sogenannte „Hotspots“ (im Bild das rote runde Symbol mit dem „?“) genutzt werden, um z.B. Fachbegriffe zu erläutern. Darüber hinaus ist es ebenso denkbar, komplette Lerneinheiten als „Interactive Book“ zu bündeln und zu implementieren.

Die Studierenden werden im Verlauf des hier beschriebenen Lernszenarios zudem mithilfe regelmäßiger Aktivierungen, beispielsweise durch Wissensfragen oder ein Quiz, zur Reflektion des bereits Gelernten angeregt. Ebenso ist es möglich, dass die Studierenden mithilfe einer digitalen Pinnwand (Einbettung über Padlet, bald TaskCards) kollaborativ und trotzdem asynchron zu bestimmten Themenabschnitten im Vorfeld zum Präsenzteil gemeinsam Ideen sammeln.

Wissensinhalte z.B. zu benötigten Materialien bei einer Blutentnahme wurden spielerisch mittels eines Suchbildes (H5P: „Find the Hotspots“) aufgearbeitet und der Ablauf einer Blutentnahme am lebenden Modell mithilfe eines zweiminütigen Videos dargestellt (hier selbst produziert im Rahmen der OER-Vorgabe des Projekts, problemlos möglich ist aber auch die Einbettung von YouTube-Videos). So können eher eintönige Inhalte, die mitunter seitenlanges Textlesen mit sich bringen, kurzweilig und auf verschiedenen Ebenen (visuell, auditiv und aktiv) vermittelt werden.

Unter dem fünften Abschnitt wird zusätzliches Material für die Studierenden bereitgestellt, das Themen behandelt, die z.T. erst im weiteren Verlauf des Studiums ausführlicher besprochen werden und die hier noch nicht prüfungsrelevant sind (wie z.B. rechtliche Aspekte). Auch der Abschluss des Falls nach der Präsenzveranstaltung mit den praktischen Übungen findet hier statt.

Die Evaluation erfolgt durch Feedbackfragen zum Abschluss jedes Abschnitts im Lernraum. Dabei bewerteten die Studierenden realitätsnah und spielerisch dargestellte Inhalte wie z.B. die Falldarstellung und die Patientenakte als für den Lernprozess hilfreich und nutzen diese besonders häufig. Durch die asynchrone und modulare Bearbeitungsmöglichkeit der Inhalte war der Lernraum auch für diejenigen geeignet, die sich aufgrund von Vorausbildungen in einschlägigen Gesundheitsberufen bereits (teilweise) in der Thematik auskannten, da sie die für sie relevanten Inhalte selbstständig auswählen.

Alle Projektmitarbeiter*innen standen im Vorfeld vor der Aufgabe, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen von Moodle und der damit verbundenen Plugin-Anwendung H5P zum Erstellen und Einbetten der Tools auseinanderzusetzen. Besonders für die Übersetzung rein theoretischer Wissensinhalte in interaktive und innovative Anwendungen bot die H5P-eigene Homepage eine häufig genutzte Hilfestellung (Übersicht siehe hier: https://h5p.org/content-types-and-applications). Die dort bereitgestellte eingängige Übersicht der verschiedenen Tools mit einer kurzen Erklärung zu möglichen Einsatzbereichen des einzelnen Plugins erleichtert die didaktisch sinnvolle Einbettung theoretischer in den verschiedenen Abschnitten des Lernraums.

Eine weitere Herausforderung, die spezifisch für Moodle zu sein scheint, ist die fehlende Möglichkeit zur Einbettung von PDF-Dokumenten als Textseite. PDF können hier entweder als Download mit Verlinkung zum Dokument (öffnet dann in einem neuen Tab) hinterlegt oder müssen vorher in eine Bilddatei konvertiert werden.

Eigene Graphiken, wie z.B. die bereits gezeigten Grid-Bilder, wurden im Rahmen des Forschungsprojekts individuell und somit OER-fähig erstellt. Dafür ist im alltäglichen Lehrbetrieb allerdings selten ausreichend Zeit. Alternativ können lizenzfreie Bilder aus dem Internet verwendet werden, die dann ggf. nur mit der entsprechenden Quellenangabe gekennzeichnet sein müssen. Um Textabschnitte auch graphisch zu gliedern oder bestimmte Textarten und Lernabschnitte zu kennzeichnen, können Piktogramme aus dem MS Office-Portfolio eingefügt und frei verwendet werden.

Das Fazit aus Lehrendensicht ist, dass ein gewisser Aufwand im Vorfeld unausweichlich, aber im Sinne jeder guten Vorbereitung im Lehrbetrieb sehr lohnenswert ist. Die Inhalte können auch in Zukunft weiterverwendet werden. Sollten inhaltliche Anpassungen gewünscht oder notwendig sein, können diese jederzeit kurzfristig und mit geringem Aufwand vorgenommen werden. Hybride Unterrichtsformate lassen sich somit aus Lehrenden- und Lernendensicht attraktiv und innovativ umsetzen, wenn man einmal Zeit investiert und sich mit den Herausforderungen und Möglichkeiten des Learning-Management-Systems auseinandersetzt.

Weitere Informationen zum Projekt: https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/medizin/fakultaet/arbeitsgruppen/environment/forschung/divifag/

Kontakt: divifag.medizin@uni-bielefeld.de

 

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Gesendet von LKäppele in Innovative Lehrprojekte

Autoethnografische Notizen als Zugang zum eigenen Lehren und Lernen

Veröffentlicht am 2. Februar 2023

Ein Beitrag von Björn Stövesand, Isabell Tacke und Samuel Albers

“Pustekuchen, oft hat man dann kein Bild, keinen Ton, stellt Fragen in das schwarze digitale Nichts vieler Namen.”

Das leidliche Thema der ausgeschalteten Kameras in Zoom: Ein Phänomen, das seit Beginn der Online-Semester für die meisten Lehrenden, aber auch Studierenden zum Alltag gehört und unterschiedlichste Reaktionen hervorruft. Lehrende empfinden es als unangenehmes Hemmnis der Lehrsituation, Studierende erleben vor allem in Gruppenarbeiten holprige Interaktionen. Die Herausforderung und die Gefahr, dass sich vorschnelle Urteile einschleichen oder sich Verdruss breit macht, ist für alle gleichermaßen groß. Dabei sind es genau solche ‘neuen’ Konstellationen eigentlich vertrauter Situationen, wie dem Seminargespräch, die zum Nachdenken anregen: Was ist eigentlich das ‘Neue’? Warum habe ich dieses oder jenes Gefühl dabei? Warum irritiert mich das so? Um Antworten auf solche Fragen zu finden, ist eine Beobachterposition erforderlich, von der aus – ohne Handlungsdruck – analysiert werden kann, wie sich eine solche Situation abspielt und wie mitunter emotionale Eindrücke entstehen. Ein solches wissenschaftliches Vorgehen haben wir in der AG Sprachdidaktik (Prof. Dr. Friederike Kern) mithilfe der Autoethnografie eingeführt, mit der wir selbst, aber auch die Studierenden einen distanzierten Blick auf das digitale Lehren und Lernen an der Universität werfen können. Dazu wird das alltägliche Erleben in diesem Bereich schriftlich festgehalten: Durch das bewertungs- und interpretationsfreie Dokumentieren in Form von Tagebucheinträgen entsteht nach und nach eine Textsammlung, die das ‘Lesen des Alltags’ ermöglicht - eine Strategie, mit der man zum Fremden im eigenen Leben wird. Wer schon mal einen jahrealten Tagebucheintrag von sich selbst gelesen hat, kennt diesen Effekt. Durch die Förderung des Qualitätsfonds Lehre des ZLL konnten wir ein kleines Lehr-Forschungsprojekt durchführen, in dem Studierende unserer Seminare, die alle das Lehramt anstreben, ihren (digitalen) Lernalltag jeweils über ein Semester hinweg als autoethnografische Protokolle in Form von individuellen Tagebüchern dokumentieren. Anschließend wurden die Studierenden von unserem ‘Analysetutor’ Samuel Albers dabei unterstützt, die Protokolle aus einer wissenschaftlichen Perspektive ‘neu’ zu lesen und so den eigenen Alltag zu einem Forschungsgegenstand zu machen - mit besonderem Fokus auf Fragen der Kommunikation und Wahrnehmung im digitalen Seminar. Samuel stellt im Folgenden den konkreten Ablauf des Projekts und der Analysegruppen vor.

Der wissenschaftliche Blick auf das eigene Lernen (Samuel Albers)

Grafik zu Theoriebezügen, Ideen und Reflexionen 

Die Beobachtungen sollten im Umfeld des eigenen Lernens und Arbeitens im digitalen Studium während der Pandemie angestellt werden – der konkrete Fokus war dabei völlig offen, die Studierenden sollten sich von den eigenen Interessen leiten lassen. In kleinen Gruppen habe ich als ‘Analysetutor’ mit den Studierenden in einer ungezwungenen Atmosphäre regelmäßig die erstellten Beobachtungsprotokolle gesichtet und zunächst daran gearbeitet, dass diese den Anforderungen nach Wert- und Interpretationsfreiheit entsprechen. Wichtig war dabei auch, dass die Protokolle einen hohen Detailgrad aufweisen, denn je umfangreicher eine Beschreibung, desto besser für die Analyse. Nach diesen Phasen wurden die Protokolle analytisch in den Blick genommen. Das heißt, sie nach Themen, Mustern und Phänomenen zu durchsuchen, die immer wieder auftauchen und daher offensichtlich im Lernalltag der Teilnehmenden eine zentrale Rolle spielen. Sobald die Studierenden eine Reihe solcher Muster und Themen identifiziert hatten, ging es darum, theoretische Bezüge herzustellen. So konnten die Studierenden die Chronologie des protokollierten Geschehens aufbrechen, in eine thematische Ordnung überführen und so die Beschreibungen interpretierend anreichern. Eine besondere Bedeutung kam dabei der Diskussion der Protokolle in Gruppen zu, da gegenseitige Impulse, Rückfragen und Thesen einen größeren Fremdheitseffekt ermöglichen. Eine Teilnehmende berichtet folgendermaßen von ihrer Projektarbeit:

„Die größte Herausforderung ist es für mich gewesen, mein Blickfeld nicht von vornherein einzuschränken und offen für alles zu sein. So hat man in Dingen, die im ersten Moment als unwichtig oder normal erschienen, beim zweiten Hinschauen eine Relevanz erkennen können. Zudem war das dokumentieren nicht ganz so einfach. Eine weitere Herausforderung für mich war es, das Erlebte beim Nacherzählen nicht direkt schon zu analysieren und zu deuten, sondern erstmal wirklich nur das Erlebte aufzuschreiben und dann in einem zweiten Schritt zu analysieren.“

Den Arbeitsprozess mit den Protokollen und ihr Analyseergebnis zu einem ausgewählten Thema haben die Studierenden dann in Form eines wissenschaftlichen Posters präsentiert, was zugleich als benotete Prüfungsleistung für ein Seminar der sprachlichen Grundbildung genutzt werden konnte. Isabell Tacke hat selbst an dem Projekt teilgenommen und stellt ihr Projekt kurz vor.

Ein Beispiel: Reflexion über die gegenseitige Wahrnehmung in Online-Seminaren (Isabell Tacke)

„… besonders in diesem Seminar fällt mir auf, dass nur die Student*innen sich beteiligen, die auch ihre Kamera eingeschaltet haben. […] Ich stehe schnell aus dem Bett auf und nehme meinen Laptop und das IPad wieder mit an den Schreibtisch, um meine Kamera anschalten zu können. Die Dozentin beginnt […] das Meeting und startet mit einer Wiederholung der Aufgaben. Ich schalte meine Kamera wieder aus und gehe in die Küche, um mir etwas zum Frühstück zu machen.“

Eine Situation, wie diese haben bestimmt viele Student*innen in den letzten Coronasemestern erlebt. Sich mit eingeschalteter Kamera zu Zoom-Sitzungen hinzuzuschalten, ist immer wieder eine Hürde. Aber auch das Teilnehmen an universitären Veranstaltungen, wie einer Vorlesung, von sehr privaten Orten wie dem eigenen Bett aus, sind neue Phänomene, welche bei mir immer wieder zu Unwohlsein geführt haben. Sitzen alle Student*innen in ihrem privaten Umfeld vor ihrem Laptop oder PC, dann ist außerdem das Ablenkungspotenzial sehr viel höher, als in Vorlesungsräumen. So kann es passieren, dass ich online im Meeting als schwarze Kachel anwesend bin, eigentlich jedoch gerade nebenan ein Frühstück vorbereite, wie in meinem Protokollauszug festgehalten. Das alles sind Phänomene, die plötzlich im Alltag der Lehrenden und Lernenden eine Rolle spielen. Es sind kaum Seminargespräche möglich, noch ist eine Anwesenheitskontrolle sinnvoll und durch das hohe Ablenkungspotenzial fällt es mir deutlich schwerer mich auf die Inhalte zu konzentrieren. Um diese alltäglichen Herausforderungen überhaupt als solche in den Blick nehmen zu können, bietet es sich an eine Beobachtungshaltung einzunehmen. Um mich diesem Eindruck zu nähern habe ich meine seit Wochen gesammelten Tagebucheinträge nach Auffälligkeiten untersucht. Mir fiel auf, dass es in der Präsenzlehre bisher so gewesen war, dass es nur einen privaten und einen öffentlichen Raum gegeben hat. Während die Lehre allgemein im öffentlichen Raum, also an Schulen oder Universitäten stattgefunden hat, war der private Raum, also die eigenen vier Wände, für das individuelle Arbeiten und die Freizeit reserviert. Aus meinen Tagebucheinträgen ging hervor, dass ich mich immer dann unwohl gefühlt hatte, wenn sich mein privater Raum zu sehr mit dem öffentlichen Raum vermischte. Durch die Umstellung zur Online-Lehre kommt nun ein weiterer Raum hinzu, der „halb-öffentliche Raum“. Er wird durch einen Laptop oder Computer und eine Videokonferenzsoftware von zuhause aus betreten. Gleichzeitig wird in diesem Raum nun aber auch gelehrt, was bisher immer im öffentlichen Raum, an Schulen oder Universitäten stattgefunden hat. Es entsteht also ein neuer Raum, der sowohl sehr öffentlich als auch sehr privat ist. Dieser neue Raum ist weitgehend unbekannt und unreflektiert, sodass große Unsicherheit herrscht, welches Verhalten dort akzeptiert wird und was nicht in diesen Raum gehört. Es entstehen viele Verhaltensweisen und Missverständnisse dadurch, dass versucht wird, die gesellschaftlichen Regeln, auf die sich im Laufe der Zeit geeinigt wurde, aus dem öffentlichen Raum auch im „halb-öffentlichen-Raum“ anzuwenden. Die Öffentlichkeit dieses Zwischenraums wird vor allem deswegen zum Problem, da ein Präsentationszwang der eigenen Person entsteht. Ein Beispiel, was diesen Gedanken verdeutlicht: Ich würde eigentlich nicht nur mit einem Jogginganzug bekleidet an Veranstaltungen in der Universität teilnehmen. Diese Verhältnisse zwischen dem privaten und öffentlichen Raum sind in diesem Schaubild dargestellt:

Grafik zur Vermischung des öffentlichen Raums und Privaten Raums 

Als ich mir all dies herausgearbeitet hatte, konnte ich mir auf einmal viele Phänomene und Schwierigkeiten der Online-Lehre ganz einfach erklären. So denke ich, dass jede Situation, in der sich der private Raum zu sehr mit dem öffentlichen mischt zu Unwohlsein und Irritation bei Lehrenden sowie Lernenden führt. Oft ist die Reaktion der Lernenden auf diese Vermischung das Ausschalten der Kameras. Dieses Ausschalten ist ein Symbol für den Rückzug in ihren privaten Raum und das Vermeiden von zu großer Vermischung beider Räume. Damit verbunden ist auch das Phänomen der „Scheinanwesenheit“, also die scheinbare Anwesenheit von Lernenden durch schwarze Kacheln im Zoom-Meeting. Das Ablenkungspotenzial im eigenen Arbeitszimmer ist deutlich höher als im universitären Seminarraum. Der halb-öffentliche Raum wird so zur ständigen Herausforderung, die Aufmerksamkeit auf die Veranstaltung beizubehalten. Daraus folgt auch, dass ich dem ortsunabhängigen Arbeiten und Lernen nicht mehr uneingeschränkt positiv gegenüber stehe - die Raumvermischung verlangt mir deutlich mehr ab, als es zunächst den Anschein hatte. All diese Erkenntnisse und auch eine Einordnung in den wissenschaftlichen Kontext habe ich auf einem Plakat zusammengefasst und Konsequenzen abgeleitet:

  1. Persönliche Konsequenzen der Reflexion Wenn ich in Zukunft also in einem Online-Seminar sitze und mich nicht überwinden kann meine Kamera einzuschalten, weiß ich, dass es vermutlich an der Vermischung des öffentlichen und des privaten Raums liegt. Ich kann dann Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel das Einstellen des verschwommenen Hintergrunds.
  2. Konsequenzen für Lehrende Vielleicht noch wichtiger ist die Reflexion für diejenigen, die online lehren. Für sie könnte es sinnvoll sein, die Schwierigkeiten der Online-Lehre zu thematisieren, um vorschnellen Bewertungen des Verhaltens zu entgehen. Zum Beispiel könnte man vorgeben, dass jeder sich eine Ecke in seinem privaten Raum als Online-Ecke einrichtet und vielleicht einen passenden Hintergrund einstellt.
Poster zum Projekt

Fazit

Das Projektbeispiel zeigt, wie eine distanzierte Beschäftigung mit dem eigenen Alltag diffuse Emotionen und Affekte aufdecken und bearbeitbar machen kann. Durch theoretische Bezüge und das Benennen von Eindrücken und Phänomenen konnte Isabell im Projekt eine Beschreibungssprache finden, die zu interessanten Reflexionen geführt hat. Die Fähigkeit, sich von den eigenen Reaktionen und der Involviertheit in Situationen zu lösen und sich sozusagen in die Situation eines “Fremden” zu begeben, wird vor allem auch für angehende Lehrkräfte als wichtiger Teil der Professionalität diskutiert. Aus diesem Grund sind wir dabei, das Lehrprojekt zur Autoethnografie auch in anderen Veranstaltungen rund um die Praxisphasen im Lehramtsstudium zu implementieren.

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Gesendet von BStiebing in New Teaching & Learning

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