» Veröffentlicht am
10. November 2023
Atommodelle durch Augmented Reality darstellen – Ein BiLinked-Erlebnisbericht
Ein Beitrag von Marvin Niederlüke, Alexander Schamrin und Cornelius Christof Bitter aus der CoP MINTconnect
Das Seminar „Digitalisierung Chemiedidaktik“ wurde im Sommersemester 2023 erstmalig durchgeführt und entstand im Rahmen des BiLinked
Projekts, in dem Studierende und Lehrende gemeinsam digitale
Lehr-/Lernformate entwickeln und erproben. Bei der Umsetzung stehen die
studentische Partizipation und Kollaboration im Fokus. Hier sollte die
Förderung professionsrelevanter, digitaler Kompetenzen von
Lehramtsstudierenden entwickelt werden. Als Teilnehmende des Seminars
war es unsere Aufgabe, im Rahmen des projektbasierten Lernens (Krajcik
& Blumenfeld), einer didaktischen Problemstellung kollaborativ durch
einen digitalen Unterrichtsauschnitt zu begegnen.
Was haben wir gemacht?
Oben dargestellt ist das dynamische Bohr´sche Wasserstoffatom, wobei
der Atomkern pink und das Elektron grün darge-stellt wird. Unten
dargestellt ist das orange s-Orbital von Wasserstoff. Foto: Marvin
Niederlüke
Hybridvorstellungen beschreiben eine Mischform aus bereits vorhandenen
Vorstellungen und neu erworbenen „wissenschaftlichen“ Vorstellungen
(Vosniadou & Brewer, 1992). Am Ende der Schulzeit lassen sich
Hybridvorstellungen, bei denen nicht kompatible Eigenschaften zwi-schen
dem Bohr´schen Atommodell und dem Orbitalmodell verbunden werden, bei
Schü-ler*innen nachweisen (Petri & Niederrer, 1998). Jenes kann zu
fachlich unangemessenen Vor-stellungen führen, welche am Ende der
Schulzeit bestehen bleiben. Unser Ziel war es, Hybrid-vorstellungen
zwischen diesen Atommodellen zu vermindern, indem wir mit Augmented
Reali-ty, kurz AR, eine Marker-abhängige Umgebung entwickeln, in der
Nutzer*innen ein Wasser-stoffatom als Orbitalmodell und als dynamisches
Bohr´sches Atommodell betrachten können. Dabei kann jeweils eines der
beiden Modelle ausgewählt werden. AR stellt dabei eine geeignete Methode
dar, um kognitive Hürden des Modellwechsels zu minimieren, da durch den
wieder-holbaren Modellwechsel Modelle eigenaktiv und mehrfach
reflektiert bearbeitet werden können (Seibert et al., 2021).
Im Folgenden wollen wir euch unseren Prozess und unser Ergebnis genauer vorstellen.
Wie funktioniert das?
In Blender (Grafiksoftware) lassen sich 3D-Modelle mit Animationen
erstellen. So konnten wir zum Beispiel für das Bohr´sche Atommodell
eines Wasserstoffatoms eine kleine grüne Kugel (Elektron) erstellen,
welche sich auf einer Kurve um eine größere pinke Kugel (Atomkern)
dreht. Indem wir in einer anderen Achse eine weitere Kurve als Bewegung
für das Elektron festgelegt haben, konnten wir eine dreidimensionale
Rotation mit gleichbleibendem Abstand zum Atomkern simulieren. Für das
s-Orbital des Orbitalmodells haben wir in einer neuen Datei eine größere
orange Kugel in Blender erstellt.
Dargestellt ist der Marker unseres Produktes mit den beiden roten Textfeldern. Foto: Marvin Niederlüke
In einem zweiten Schritt haben wir mit Vuforia (AR-Plattform) in
Unity (Entwicklungsumge-bung) unsere Modelle inklusive der Animationen
ins Programm geladen. Zusätzlich mussten wir einen Marker erstellen,
also ein Bild, welches ähnlich wie ein QR-Code funktioniert. Auf diesem
Marker haben wir Bereiche ausgewählt. Die Kamera erkennt nun die
einzelnen Berei-che. Wir haben dabei die Umgebung so programmiert, dass
kein Modell sichtbar ist, wenn alle Bereiche von der Kamera erkannt
werden. Wird eines der Marker durch eine Hand verdeckt, wird eines der
beiden Modelle angezeigt. Damit die Bereiche von unseren Nutzer*innen
er-kannt werden, haben wir in einem letzten Schritt noch rote Textfelder
über den Markern einge-fügt, in dem jeweils das Modell benannt wird,
welches beim Verdecken mit der Hand angezeigt wird.
Welchen Hindernissen sind wir begegnet?
Für uns war das Erstellen von 3D-Modellen und Animationen in Blender
vollkommen neuartig. Durch das Making-Media Space hatten wir aber gute
technische Möglichkeiten und eine gute Beratungsstelle. Im Internet
finden sich viele Erklärvideos zur Nutzung von Blender, welche uns
Möglichkeiten für unsere Umsetzung aufgezeigt haben. Viel schwieriger
war hingegen das Erstellen der AR-Umgebung in Unity/Vuforia. Während wir
in Blender direkt sehen konnten, welche Auswirkung jeder
Entwicklungsschritt hatte, konnten wir in Unity/Vuforia immer nur das
Endprodukt sehen, nachdem wir bereits mehrere Schritte durchlaufen
hatten. Die meiste Zeit haben wir am Ende damit verbracht, einen
geeigneten Marker zu finden, der zuverlässig die Bereiche erkennt.
Zusätzlich mussten wir uns Gedanken über die Veröffentlichung machen.
Die AR-Umgebung ließ sich nicht einfach auf einer Plattform hochladen.
Stattdessen mussten wir für die Präsentation unserer Ergebnisse im
Seminar unsere eigenen Smartphones zur Verfü-gung stellen. Während der
Präsentation hatte die AR-Umgebung leider Schwierigkeiten die Marker zu
erkennen.
Welche Vor- und Nachteile haben AR-Umgebungen für den Unterricht?
Tabelle 1: Gibt eine Übersicht über Vor- und Nachteile von AR-Umgebungen.
Vorteile | Nachteile |
Transfer von Modellen in die Realität
| Marker funktionieren nicht hinreichend |
Dynamik durch Animation | Frage der Veröffentlichung |
Vervielfältigbarkeit des Produkts | Zeitaufwendige Erstellung |
Neue Darstellungsmöglichkeiten | Analoge Methoden sind empirisch besser untersucht |
Veränderbarkeit der Modelle | Höhere kognitive Belastung |
Interaktivität | |
Wir sehen ein großes Potential für AR-Umgebungen im Unterricht, da
sie ermöglichen, theoreti-sche Modelle in die Realität zu bringen. Im
Vergleich zu analogen Modellen haben sie zudem die Möglichkeit dynamisch
zu sein. Sie können beliebig vervielfältigt und damit für alle
Ler-nenden gleichzeitig verfügbar gemacht werden, ermöglichen neue
Darstellungsmöglichkeiten, sind interaktiv und haben eine höhere
Anpassungsfähigkeit. Dieses Potential kann zum aktuel-len Zeitpunkt
jedoch nicht ausgeschöpft werden, da die Marker noch nicht so
funktionieren, wie wir uns das gewünscht haben. Die Erstellung ist zudem
zeitaufwendig, sodass wir uns fragen, inwiefern die Erstellung von
AR-Umgebungen für Lehrkräfte in deren Alltag realistisch ist. Zu-dem
steht die Frage der Veröffentlichung im Raum. Im Gegensatz zu
Erklärvideos lassen sich diese nicht einfach als MP4 Datei oder auf
einer Website hochladen. Dass von AR-Umgebungen eine höhere Kognitive
Belastung ausgehen kann, sollte zudem auch beachtet werden. Zum
aktuellen Zeitpunkt sind analoge Methoden zudem besser erforscht.
(Schweiger, et al., 2022).
Literatur[1] Krajcik, J. S. &
Blumenfeld, P. C. (2005). Project-Based Learning. In The Cambridge
Handbook of the Learning Sciences (S. 317–334). Cambridge University
Press.[2] Schweiger, M., Wimmer, J., Chaudhry, M.,
Alves Siegle, B., & Xie, D. (2022). Lernerfolg in der Schule durch
Augmented und Virtual Reality? Eine quantitative Synopse von
Wirkungs-studien zum Einsatz virtueller Realitäten in Grund-und
weiterführenden Schulen. MedienPäda-gogik, 47, 1-25.[3]
Seibert, J., Lang, V., Lauer, L., Eichinger, A., Bach, S., Kelkel, M.,
Perels, F., Peschel, M., Huwer, J. & Kay, C. W (2020). Augmented
Reality als digitales Lernwerkzeug zur Visualisie-rung
nicht-beobachtbarer Prozesse. GDCP Tagung in Aachen 2020, 557-560.[4]
Petri, J., & Niedderer, H. (1998). A learning pathway in
high‐school level quantum atomic physics. International Journal of
Science Education, 20(9), 1075-1088.[5] Vosniadou,
S., & Brewer, W. F. (1992). Mental models of the earth: A study of
conceptual change in childhood. Cognitive psychology, 24(4), 535-585.
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