© Universität Bielefeld
Pressemitteilungen
Veröffentlicht am
13. September 2021
Kategorie:
Forschung & Wissenschaft
Wie sich bei Meeresschnecken genetische Inseln bilden (Nr. 70/2021)
Internationale Studie erscheint im Forschungsjournal Science Advances
Gewöhnlich haben alle Individuen einer Population von Meeresbewohnern, die das Potenzial haben, sich über große Entfernungen auszubreiten, ein ähnliches genetisches Spektrum. Immer wieder allerdings bilden sich innerhalb von Populationen an kleinen, lokal begrenzten Orten plötzlich und für kurze Zeit kleine Gruppen genetisch unterschiedlicher Individuen. Wie es zu dieser chaotischen Bildung genetischer Inseln bei einer Meeresschnecke gekommen ist, zeigt eine neue Studie. Für die Forschung haben Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld und des British Antarctic Survey kooperiert. Ihre Studie ist in Science Advances erschienen.
Die Forschenden haben die genetischen Abweichungen von Tiergruppen innerhalb einer Population anhand der Napfschnecke Nacella concinna auf zwei Faktoren zurückgeführt. Sie nutzten dazu genomische Daten, Daten von Treibbojen und Computersimulationen. Dadurch konnten sie nachweisen, dass im Fall der Napfschnecke eine ganze Generation von Nachkommen auf eine extrem begrenzte Zahl von Eltern zurückging und die Strömung die Larven gemeinsam an einen Ort getragen hatte. „Uns ist es damit gelungen, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu bauen“, sagt der Molekularbiologe Professor Dr. Joseph Hoffman von der Universität Bielefeld, der zu den Autor*innen der Studie gehört.
Erstmals Nachweis für theoretische Annahmen zu Bildung genetischer Inseln
Ob es zu einer chaotischen Inselbildung kommt, hängt oft von Zufällen ab. „Die Ausbreitung dieser Art von Organismen kann geografisch begrenzt und im Laufe der Zeit instabil sein“, sagt Dr. David Vendrami, Mitarbeiter von Joseph Hoffman und Erstautor der Studie. „Es gibt sehr viele Theorien, die zu erklären versuchen, wie es zu diesen genetischen Inseln kommt“, sagt er. „In der Praxis war es bislang aber nicht gelungen, dies auf einen konkreten Mechanismus zurückzuführen.“
Die Studie ist eine Kooperation zwischen den Bielefelder Forschenden und den Kolleg*innen des British Antarctic Survey (BAS), dem Polarforschungsprogramm von Großbritannien, die die Daten vor Ort erhoben haben. Professor Lloyd Peck PhD vom BAS hat bei Tauchgängen in der Antarktis Napfschnecken-Proben gesammelt und hatte mit Joseph Hoffmann die Idee für die Studie. „Die Napfschnecke Nacella concinna gehört zu den Lebewesen, die die flachen Gewässer in der Antarktis dicht besiedeln. Dort leben teilweise fast 500 Tiere pro Quadratmeter“, sagt Peck. Jedes Jahr geben die Weibchen Millionen von Eiern ins Wasser ab, aus denen sich Larven entwickeln. Die Analyse der genetischen Proben aus der Antarktis zeigte eindeutig eine genetische Insel und ließ den Schluss zu, dass genetische Inseln bei diesen Napfschnecken wahrscheinlich relativ häufig auftreten und wieder verschwinden. „Dabei haben wir genetische Strukturen entdeckt, bei denen die Tiere in den Populationen eng miteinander verwandt sind, sodass Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen in einem kleinen Gebiet sehr dominant sind.“
Methodik erlaubt, weitere Fälle genetischer Inselbildung zu rekonstruieren
Die Forschungsdaten stammen aus den Jahren 1999 und 2015 und wurden an neun Orten in der Antarktis gesammelt. Die Forschenden analysierten die genomischen Daten und kombinierten diese mit Daten von Treibbojen, die Aufschluss über die Meeresströmungen gaben. „Wir haben auch Computersimulationen entwickelt, in denen wir den Lebenszyklus von Napfschnecken nachgestellt haben, um zu verstehen, welche Ereignisse zur Entstehung einer genetischen Insel führen könnten“, sagt David Vendrami. Das Ergebnis war eindeutig: Die gesamte Generation der Napfschnecken an einem Ort stammte von einer winzigen Anzahl von Eltern ab. Die Larven hatten sich zudem gemeinsam mit der Meeresströmung bewegt und siedelten sich so am selben Ort an.
Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Theorien zur genetischen Inselbildung falsch sind. „In anderen Fällen kann es sein, dass eine ganz andere Theorie zutrifft“, sagt Vendrami. Das Forschungsdesign biete die Möglichkeit, auch in anderen Fällen eine genetische Inselbildung zu rekonstruieren und die möglichen Ursachen einzugrenzen.
„Um zu verstehen, wie sich Meerespopulationen entwickeln, müssen wir unbedingt die Mechanismen kennen, die ihre genetische Vielfalt beeinflussen“, sagt David Vendrami. Dies sei zum Beispiel wichtig, um den Einfluss von menschengemachten Eingriffen besser abschätzen zu können oder auch für das Management von Schutzgebieten und Fanggründen. „Unsere Ergebnisse bieten ein Fundament, um marine Populationen besser zu verstehen und zu managen.“ Wer etwa ein Schutzgebiet verwaltet, ist womöglich besorgt, wenn sich an einem Ort viele Individuen genetisch stark ähneln. „Es könnte sich aber auch nur um eine kurzzeitige genetische Inselbildung handeln“, sagt der Wissenschaftler. „Wenn das nachprüfbar ist, lässt sich zum Beispiel besser abschätzen, ob es sinnvoll ist, einzugreifen, weil eine Population gefährdet ist, oder ob es sich womöglich nur um ein kurzzeitiges und zufälliges Ereignis handelt.“
Originalveröffentlichung:
David L. J. Vendrami, Lloyd S. Peck, Melody S. Clark, Bjarki Eldon, Michael Meredith, Joseph I. Hoffman: Sweepstake reproductive success and collective dispersal produce chaotic genetic patchiness in a broadcast spawner. Science Advances, https://doi.org/10.1126/sciadv.abj4713, veröffentlicht am 10. September 2021
Gewöhnlich haben alle Individuen einer Population von Meeresbewohnern, die das Potenzial haben, sich über große Entfernungen auszubreiten, ein ähnliches genetisches Spektrum. Immer wieder allerdings bilden sich innerhalb von Populationen an kleinen, lokal begrenzten Orten plötzlich und für kurze Zeit kleine Gruppen genetisch unterschiedlicher Individuen. Wie es zu dieser chaotischen Bildung genetischer Inseln bei einer Meeresschnecke gekommen ist, zeigt eine neue Studie. Für die Forschung haben Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld und des British Antarctic Survey kooperiert. Ihre Studie ist in Science Advances erschienen.
Bei der Fortpflanzung klettern die Napfschnecken aufeinander, so dass sich Eier und Spermien in unmittelbarer Nähe befinden, wenn sie sie ins Wasser abgeben. Foto: BAS
Erstmals Nachweis für theoretische Annahmen zu Bildung genetischer Inseln
Ob es zu einer chaotischen Inselbildung kommt, hängt oft von Zufällen ab. „Die Ausbreitung dieser Art von Organismen kann geografisch begrenzt und im Laufe der Zeit instabil sein“, sagt Dr. David Vendrami, Mitarbeiter von Joseph Hoffman und Erstautor der Studie. „Es gibt sehr viele Theorien, die zu erklären versuchen, wie es zu diesen genetischen Inseln kommt“, sagt er. „In der Praxis war es bislang aber nicht gelungen, dies auf einen konkreten Mechanismus zurückzuführen.“
Die Studie ist eine Kooperation zwischen den Bielefelder Forschenden und den Kolleg*innen des British Antarctic Survey (BAS), dem Polarforschungsprogramm von Großbritannien, die die Daten vor Ort erhoben haben. Professor Lloyd Peck PhD vom BAS hat bei Tauchgängen in der Antarktis Napfschnecken-Proben gesammelt und hatte mit Joseph Hoffmann die Idee für die Studie. „Die Napfschnecke Nacella concinna gehört zu den Lebewesen, die die flachen Gewässer in der Antarktis dicht besiedeln. Dort leben teilweise fast 500 Tiere pro Quadratmeter“, sagt Peck. Jedes Jahr geben die Weibchen Millionen von Eiern ins Wasser ab, aus denen sich Larven entwickeln. Die Analyse der genetischen Proben aus der Antarktis zeigte eindeutig eine genetische Insel und ließ den Schluss zu, dass genetische Inseln bei diesen Napfschnecken wahrscheinlich relativ häufig auftreten und wieder verschwinden. „Dabei haben wir genetische Strukturen entdeckt, bei denen die Tiere in den Populationen eng miteinander verwandt sind, sodass Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen in einem kleinen Gebiet sehr dominant sind.“
Methodik erlaubt, weitere Fälle genetischer Inselbildung zu rekonstruieren
Dr. David Vendrami von der Universität Bielefeld hat eine Computersimulation mit entwickelt, die die Bildung genetischer Inseln rekonstruiert.
Foto: Elena Fissenewert
Foto: Elena Fissenewert
Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Theorien zur genetischen Inselbildung falsch sind. „In anderen Fällen kann es sein, dass eine ganz andere Theorie zutrifft“, sagt Vendrami. Das Forschungsdesign biete die Möglichkeit, auch in anderen Fällen eine genetische Inselbildung zu rekonstruieren und die möglichen Ursachen einzugrenzen.
„Um zu verstehen, wie sich Meerespopulationen entwickeln, müssen wir unbedingt die Mechanismen kennen, die ihre genetische Vielfalt beeinflussen“, sagt David Vendrami. Dies sei zum Beispiel wichtig, um den Einfluss von menschengemachten Eingriffen besser abschätzen zu können oder auch für das Management von Schutzgebieten und Fanggründen. „Unsere Ergebnisse bieten ein Fundament, um marine Populationen besser zu verstehen und zu managen.“ Wer etwa ein Schutzgebiet verwaltet, ist womöglich besorgt, wenn sich an einem Ort viele Individuen genetisch stark ähneln. „Es könnte sich aber auch nur um eine kurzzeitige genetische Inselbildung handeln“, sagt der Wissenschaftler. „Wenn das nachprüfbar ist, lässt sich zum Beispiel besser abschätzen, ob es sinnvoll ist, einzugreifen, weil eine Population gefährdet ist, oder ob es sich womöglich nur um ein kurzzeitiges und zufälliges Ereignis handelt.“
Originalveröffentlichung:
David L. J. Vendrami, Lloyd S. Peck, Melody S. Clark, Bjarki Eldon, Michael Meredith, Joseph I. Hoffman: Sweepstake reproductive success and collective dispersal produce chaotic genetic patchiness in a broadcast spawner. Science Advances, https://doi.org/10.1126/sciadv.abj4713, veröffentlicht am 10. September 2021
Weitere Informationen:
• Website des Hoffman Lab
• Website des British Antarctic Survey
Kontakt:
Dr. David Vendrami, Universität Bielefeld
Fakultät für Biologie / Verhaltensforschung
Telefon: 0521 106-2725
E-Mail: david.vendrami@uni-bielefeld.de