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Luhmann-Zettelkasten: vierter Auszug online veröffentlicht (Nr. 31/2022)

Veröffentlicht am 1. April 2022, 14:26 Uhr

Forschende der Universität Bielefeld edieren weitere 3200 Zettel

Niklas Luhmann (1927–1998) forschte und lehrte von 1968 bis 1993 an der Universität Bielefeld. Er gilt neben Max Weber als berühmtester und wirkmächtigster deutscher Soziologe des 20. Jahrhunderts. Über vier Jahrzehnte fixierte und vernetzte der weltbekannte Soziologe seine Gedanken mit Hilfe seines Zettelkastens – seinem „Zweitgedächtnis“. In dem Langzeitforschungsprojekt „Niklas Luhmann – Theorie als Passion“ an der Fakultät für Soziologie erschließen Forschende den wissenschaftlichen Nachlass Luhmanns. Ein Schwerpunkt liegt in der digitalen Rekonstruktion des 90.000 Notizen umfassenden Zettelkastens, der zwei Sammlungen enthält. Jetzt wird der vierte Auszug des Zettelkastens online gestellt. Er bildet das intellektuelle Zentrum der frühen Notizen Luhmanns.

Der Zettelkasten gilt als Luhmanns intellektuelle Autobiographie. Dies wird mit dem jetzt veröffentlichten vierten Auszug besonders deutlich. Der Auszug umfasst 3200 Zettel und damit einen Großteil der Abteilung, die mit der unscheinbaren Bezeichnung „57 Wissenschaft“ betitelt ist. „In diesen Aufzeichnungen setzt Luhmann sich mit der Wissenschaftsphilosophie und Erkenntnistheorie auseinander, insbesondere mit der Phänomenologie Edmund Husserls und dessen Schülerinnen und Schülern. Diese Auseinandersetzung hat seine weitere wissenschaftliche Arbeit wesentlich geprägt“, sagt Johannes Schmidt, Projektkoordinator des Langzeitforschungsprojekts zu Luhmanns Nachlass.

Als Ansatzpunkt dient Luhmann die neuzeitliche Wissenschaftsphilosophie. Er diskutiert die Frage, wie wahres Wissen möglich ist. Die Überlegungen führen ihn zu der erkenntnistheoretischen Frage: Was sind die Bedingungen dafür, die Welt wahrnehmen zu können? „Letztlich stellt er das Modell Husserls, das vom wahrnehmenden Einzelbewusstsein ausgeht, um auf die Annahme, dass jede Wahrnehmung der Welt eingebettet ist in einen Erwartungsrahmen, den man mit anderen teilt. So kommt er zu dem Schluss, dass die soziale Welt am besten mit der Methode einer funktionalen Phänomenologie erforscht werden kann“, erläutert Schmidt. Diese wissenschaftstheoretische Entscheidung wurde zur Grundlage für die von Luhmann seit Ende der 1960er Jahre entwickelte Theorie sozialer Systeme und der Gesellschaftstheorie. 

Wissenschaftlicher Nachlass
2010 erwarb die Universität Bielefeld den wissenschaftlichen Nachlass Luhmanns: Neben den Zettelkästen und einer großen Zahl bislang unveröffentlichter Manuskripte und Vorfassungen bereits publizierter Werke gehört auch seine Bibliothek dazu. Diese Materialien lassen den Autoren und sein Theoriegebäude außerhalb seiner veröffentlichten Werke sichtbar werden.

Theorie als Passion
Seit 2015 wird der wissenschaftliche Nachlass des Soziologen Niklas Luhmann an der Universität Bielefeld im Rahmen des von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste geförderten Projekts „Niklas Luhmann – Theorie als Passion“ erschlossen. Dazu kooperiert die Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld mit den Digital Humanities an der Bergischen Universität Wuppertal. Der Schwerpunkt liegt in der digitalen Rekonstruktion des 90.000 Notizen umfassenden Zettelkastens. Neben der digitalen Edition des Zettelkastens erfolgt zusätzlich eine Publikation nachgelassener Werke, zuletzt die Monographie „Die Grenzen der Verwaltung“ und der Aufsatzband „Differenz – Kopplung – Reflexion: Aufsätze zur Gesellschaftstheorie“.

Weitere Informationen:

Niklas-Luhmann-Archiv
• „Luhmanns Zettelkasten: dritter Auszug online veröffentlicht“ (Pressemitteilung vom 03.05.2021)
• „Zweiter Auszug des Luhmannschen Zettelkastens jetzt online“ (Pressemitteilung vom 24.09.2020)
• „Internetportal zum Luhmann-Nachlass geht online“ (Pressemitteilung vom 08.04.2019)
research_tv-Beitrag zum Forschungsprojekt 

Kontakt:
Johannes Schmidt, Universität Bielefeld
Fakultät für Soziologie
Telefon: 0521 106-12990
E-Mail: johannes.schmidt@uni-bielefeld.de

Das Bildmaterial zum Thema kann über die E-Mail medien@uni-bielefeld.de angefordert werden.

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