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Der biologischen dunklen Materie auf der Spur
Nicht nur im Weltall gibt es dunkle Materie. Wenn es um Mikroben geht, benutzen auch Biologen den Begriff. Obwohl die Winzlinge 70 Prozent aller auf Erden vorhandenen Lebewesen stellen, sind sie – wie die geheimnisvolle Masse im Kosmos - kaum erforscht. Denn die meisten dieser Organismen lassen sich im Labor nicht nachzüchten. Mit einem Trick ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Bielefeld und dem kalifornischen Joint Genome Institut (JGI) sowie weiteren Instituten aus den USA, Kanada, Australien und Griechenland dennoch gelungen, ihnen auf die Spur zu kommen: Statt sie zu züchten, haben sie die DNA einzelner mikrobieller Zellen vervielfältigt – und damit Licht in die dunkle Materie gebracht. Der Artikel, in dem das Verfahren beschrieben ist, ist am 14. Juli auf der Internetseite der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ erschienen und steht am 25. Juli in der Print-Ausgabe.
Erst reduzieren – dann vermillionenfachen
Aus den Proben der neun Habitate haben die Forscher in Kalifornien rund 9.000 Einzelzellen gewonnen. Bei etwa 3.300 von ihnen haben sie die Zellwand aufbrechen und intakte DNA entnehmen können. Mit Hilfe einer neuen Technologie, der Einzelzell-Genomik, haben sie die genomische DNA vervielfältigt oder „amplifiziert“, wie die Forscher sagen. Das ist nötig, um die DNA sequenzieren zu können - sie also in ihre Bestandteile, die Basenpaare, zu zerlegen, die wiederum die Erbinformation enthalten. „Vor 15 Jahren wäre es undenkbar gewesen, die Genome einzelner mikrobieller Zellen zu entziffern“, sagt Dr. Tanja Woyke, Leiterin der Mikrobiellen Genomik am JGI und Leiterin des Projektes. „Es war notwendig, die Zellen im Labor zu züchten, um ausreichend Zellmasse für die Genomentschlüsselung zu erhalten. Doch mit modernen Einzelzell-Techniken benötigen wir nur ein einziges DNA-Molekül“, fügt sie hinzu. Die Forscher konnten 201 unterschiedliche Mikroorganismen (Archaeen und Bakterien) identifizieren, die sich im Labor nicht kultivieren ließen. Bis hierhin wurde die Arbeit in Kalifornien gemacht. Um die Daten für die biologische Interpretation nutzbar zu machen, brauchten die US-Forscher jedoch die Hilfe der Bioinformatik – und haben die Daten an Dr. Alexander Sczyrba vom Centrum für Biotechnologie (CeBiTec) der Universität Bielefeld geschickt.
In Bielefeld wird das Genom-Puzzle zusammengesetzt
Sczyrba ist
Leiter der Arbeitsgruppe „Computational Metagenomics“ (Computergestützte
Metagenomik) und seine Aufgabe war es, der Datenmenge Herr zu werden.
Einige hundert Gigabyte an Sequenz-Daten bekam Sczyrba aus Kalifornien
geschickt – die amplifizierten Genome der 201 identifizierten
unbekannten Mikroben. Allerdings wurden diese Daten in unzähligen
Bruchstücken geliefert. Denn die Millionen von Basen, aus denen
mikrobielle DNA besteht, lassen sich auch mit modernster Technik nicht
an einem Stück ablesen. Stattdessen liefert die Sequenziertechnik
überlappende Abschnitte von etwa 150 Basen. Sczyrba musste die Daten
vergleichen, die Überlappungen feststellen und die Basenabfolge anhand
dieser „Klebestellen“ wieder zusammensetzen. Schon bei einer „normalen“
Sequenzierung ist das eine Puzzlearbeit, für das der Bielefelder
aufwendige bioinformatische Verfahren nutzt. Bei der neuen
Einzelzell-Genomik kommt eine weitere Herausforderung hinzu. „Problem
ist, dass bei der Amplifizierung die Basen nicht gleichmäßig produziert
werden. Es gibt riesige Schwankungen“, erklärt Sczyrba. „Es kann
passieren, dass eine Base nur einmal, eine andere gleich
hundertausendmal auftaucht.“ Mit einem normalen Assembler – der
Software, die die Bruchstücke wieder zu einem kompletten Genom
zusammenstellt – wäre die Arbeit nicht möglich gewesen, so der
Bioinformatiker. „Wir haben daher neue bioinformatische Methoden
entwickelt, um die Schwankungen herauszurechnen. Danach waren wir in der
Lage, die Genome zu rekonstruieren.“
Neue Äste am Baum des Lebens
Die
201 untersuchten Mikroben, die Archaeen und Bakterien, zählen zu 29
überwiegend unerforschten Zweigen des „Baum des Lebens“, der eines Tages
alle Formen von Leben auf der Erde verzeichnen soll. „Um die neu
sequenzierten Genome möglichst genau im Stammbaum zu platzieren, waren
einige hunderttausend Stunden an Rechenkapazität nötig.
Erfreulicherweise konnten wir hierzu den Computer-Cluster im CeBiTec
nutzen“, sagt Sczyrba. „Ohne solch große Rechnerressourcen sind Studien
in diesem Maßstab gar nicht durchführbar.“ Danach gingen die Daten zur
weiteren Analyse wieder zurück zum JGI, wo der Erstautor der Studie, Dr.
Christian Rinke, und sein Kollege und Bielefelder Absolvent Dr. Patrick
Schwientek Überraschendes zutage förderten. So ließen sich
beispielsweise bei Bakterien Merkmale feststellen, die bislang als
typisch für Archaeen galten – und damit Überschneidungen zwischen den
bislang strikt getrennten Verwandschaftsästen. Noch ist längst nicht
alle mikrobielle dunkle Materie beleuchtet, aber mit ihrer Forschung
haben Dr. Alexander Sczyrba von der Universität Bielefeld und das
internationale Forscherteam weiteres Licht ins Dunkel gebracht.
Weitere Informationen im Internet:
www.cebitec.uni-bielefeld.de/cmg
http://genome.jgi.doe.gov/MDM/MDM.home.html
Originalveröffentlichung:
Christian
Rinke, Patrick Schwientek, Alexander Sczyrba, Natalia N. Ivanova, Iain
J. Anderson, Jan-Fang Cheng, Aaron Darling, Stephanie Malfatti, Brandon
K. Swan, Esther A. Gies, Jeremy A. Dodsworth, Brian P. Hedlund, George
Tsiamis, Stefan M. Sievert, Wen-Tso Liu, Jonathan A. Eisen, Steven
Hallam, Nikos C. Kyrpides, Ramunas Stepanauskas, Edward M. Rubin, Philip
Hugenholtz, Tanja Woyke, “Insights into the Phylogeny and Coding
Potential of Microbial Dark Matter”. http://dx.doi.org/10.1038/nature12352
Kontakt:
Dr. Alexander Sczyrba, Universität Bielefeld
CeBiTec / Technische Fakultät - Computational Metagenomics
Telefon: 0521 106-2910
E-Mail: asczyrba@cebitec.uni-bielefeld.de