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Eine ganz eigene Dynamik
Neue Forschungsgruppe zum Wandel vormoderner Gesellschaften am ZiF
(Nr. 30/2025) In Europa gab es seit dem Mittelalter eine besondere Veränderungsdynamik, die die Grundlage für Europas Aufstieg im 19. und 20. Jahrhundert gelegt hat: Das war lange die vorherrschende Meinung in der Geschichtswissenschaft. Doch auch in anderen Ländern gab es dynamische Veränderungen und sie unterschieden sich nicht unbedingt von denen in Europa. Sie vollzogen sich aber deutlich anders als die Veränderungsprozesse in der Moderne und waren auch nicht ihr Wegbereiter. Die ganz eigene Dynamik vormoderner Gesellschaften zu analysieren, ist das Projekt der neuen Forschungsgruppe „Eigendynamiken. Analoge Strukturen des Wandels im vormodernen Ostasien und Europa“ (Momentum of Their Own. Analogue Structures of Change in Pre-Modern East Asia and Europe), die ab April für sechs Monate am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) arbeiten wird.
„Inzwischen sehen Historiker*innen anderer Weltregionen ihr Land ebenfalls seit frühester Zeit auf einem je eigenen Weg in die Moderne. Darin manifestiert sich natürlich auch das immer aktuelle Bedürfnis nach regionaler Besonderheit“, konstatiert der Bielefelder Historiker Professor Dr. Franz-Josef Arlinghaus: „Aber wie kann man vormoderne Veränderungsprozesse, also solche der Zeit vor 1800, in verschiedenen Weltregionen fassen?“ Arlinghaus leitet die Forschungsgruppe zusammen mit der Koreanistin Professorin Dr. Marion Eggert (Bochum), der Historikerin Professorin Dr. Ulla Kypta (Hamburg) und dem Japanologen Professor Dr. Jörg Quenzer (Hamburg). Die Forschenden gehen davon aus, dass in Ostasien und Europa analoge Strukturen existierten, die beständig Veränderungen vorantrieben. Diese andauernden Veränderungen fassen sie mit dem Begriff „Eigendynamik“. „Der Begriff wurde eigentlich von Soziolog*innen und Politolog*innen für die Analyse von Gesellschaften der Gegenwart entwickelt“, berichtet Marion Eggert. „In der Forschungsgruppe möchten wir dieses Konzept für das Verständnis der vormodernen Gesellschaften Ostasiens und Europas nutzbar machen.“
Unterschiede relativieren sich
Vormoderne Gesellschaften waren oft durch eine hierarchische, ständische Ordnung geprägt, die im Rückblick unbeweglich wirkt. „Sucht man nach solchen Eigendynamiken kommen dann aber beispielsweise die Bemühungen der Menschen in den Blick, die eigene Position in dieser Ordnung zu behaupten oder zu verbessern“, so Ulla Kypta. „Die Ständeordnung erscheint dann gar nicht mehr als Bremse für Veränderungen, sondern als ein Motor für eine Dynamik ganz eigener Art.“ Eigener Art, weil es nicht darum ging, eine noch gar nicht erkennbare Moderne vorzubereiten, sondern darum, die immer komplexer werdenden vormodernen Gesellschaften zu stabilisieren. „In dieser Perspektive relativieren sich die Unterschiede zwischen Ostasien und Europa, und auch die Geschichte von der sich über die Jahrhunderte entwickelnden Moderne passt nicht mehr so richtig“, konstatiert Jörg Quenzer. „Was bedeutet dies dann für das Selbstverständnis der ostasiatischen wie europäischen Kulturen, wenn sich das Heute womöglich nicht aus den Veränderungsdynamiken des Gestern ableiten lässt?“
Wie das Verhältnis von Vormoderne und Moderne besser beschrieben werden kann, ist eine der Fragen, an denen die Forschungsgruppe arbeiten wird. Eine andere ist die nach den Ursachen, die in der Vormoderne in Ostasien und Europa Veränderungen herbeiführten. Die Leiter*innen haben dazu 18 Fellows aus der Koreanistik, Japanologie, Sinologie und verschiedene historische Disziplinen ans ZiF eingeladen. Die Forschenden kommen aus sechs Ländern. „Wir hoffen, eine theoretisch fundierte Beschreibung sozialen Wandels in der Vormoderne ausarbeiten zu können, in der dieser Wandel als Prozess eigenen Rechts erkennbar wird, nicht als Vorstufe zur Moderne“, so Arlinghaus.
Die Forschungsgruppe lädt zu verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen ein. Als erste findet am 10. April und 18.15 Uhr die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion „… hin zu den Prozessen“ statt.
Die Arbeitssprache der Forschungsgruppe ist Englisch, die öffentlichen Veranstaltungen finden auf Deutsch statt. Die Leiter*innen stehen für Medienanfragen gerne zur Verfügung.
Weitere Informationen:
Website der Forschungsgruppe
Website der Podiumsdiskussion mit Möglichkeit zur Anmeldung.
Kontakt:
Maren Winkelhage, Universität Bielefeld
Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF)
Telefon 0521 106-2793
E-Mail: zif-group-support@uni-bielefeld.de
Das Bildmaterial gibt es hier.