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Im Gedenken an Auschwitz

Veröffentlicht am 29. Januar 2020, 12:12 Uhr
Liebe Kollegen und Kolleginnen,

je nach Anlass und Gelegenheit erinnern wir an bestimmten Tagen an Ereignisse, die unsere Themen der Konflikte und Gewalt wie auch ihre Gegenkräfte berühren. In diesen Tagen erinnern wir an die Befreiung des Lagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die 60. Armee der Ersten Ukrainischen Front. Es war Samstag. Es war Nachmittag. Sie begegneten Überlebenden und Verstorbenen. Sie waren an einem Ort, für den die Sprache keine Wörter hatte.

Wir erforschen die Erinnerungskultur, wir erforschen die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Wir erforschen Extremismus und Radikalisierungen, die zu ideologisch motivierten Tötungen führen. Wir erforschen die Ursachen, Phänomene und Folgen von destruktiven Konflikten und Gewalt. Auschwitz war gruppenbezogene Menschentötung, war ein ideologisch begründeter, ökonomisierter Ausschlachtungs-Extremismus und Vernichtungsrassismus auf der Grundlage von dafür geschaffener ‚Rassenwissenschaft‘. Auschwitz war die systematische Anlage von inszenierten und instrumentalisierten Konflikten und Gewalt. Der Lageralltag erzählte diese Geschichte. Auschwitz war und ist keine Erzählung. Auschwitz war eine durchgestaltete und realisierte Idee, ein Lager der Ausbeutung und Vernichtung. Nirgendwo wurden so viele Menschen systematisch ermordet.

Auschwitz ist heute eine Gedenkstätte, die an mehr als Auschwitz erinnert. Auschwitz war ein Ort und eine Idee von Herrschaft und Rasse, die kürzer zurückliegt als ein heutiges Menschenleben, wie wir es uns wünschen. In unserer Studie MEMO im Jahr 2018 gaben 48% einer repräsentativ befragten Stichprobe in Deutschland an, sie machen sich Sorgen, dass ein Ereignis wie der Holocaust sich wiederholen kann. Wie interpretieren wir das angesichts von Auschwitz? Was sagen wir als Forschende jenen, die sich Sorgen machen und was jenen, die sich keine Sorgen machen?

Theodor W. Adorno hat 1966 in seinem Rundfunktext "Erziehung nach Auschwitz" einen Appell, eine Hoffnung formuliert: „Man muß die Mechanismen erkennen, die die Menschen so machen, daß sie solcher Taten fähig werden, muß ihnen selbst diese Mechanismen aufzeigen und zu verhindern trachten, daß sie abermals so werden, indem man ein allgemeines Bewußtsein jener Mechanismen erweckt.“ Wir in der Konflikt- und Gewaltforschung teilen diese Hoffnung und müssen uns damit befassen, dass uns Hoffnungen von Menschen, die nach unserem Wissen fragen, begegnen. Wir werden gefragt, warum und wie Auschwitz möglich war. Im Gedenken schweigen wir. Davor und danach aber können wir die Fragen anerkennen, Antworten suchen und formulieren, bevor es andere tun, die Auschwitz verblassen lassen.
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