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BGHS feiert 15jähriges Bestehen
BGHS feiert 15jähriges Bestehen
Am 21. November hat die BGHS ihr 15jähriges Bestehen gemeinsam mit über 60 Mitgliedern und Freund*innen gefeiert. Eingeladen war Angelika Epple, die neue Rektorin der Universität Bielefeld, die als Promotionsbetreuerin schon lange Jahre an der BGHS beteiligt ist. Sie stellte sich den Fragen der beiden BGHS-Direktor*innen Klaus Weinhauer und Ruth Ayaß zur Zukunft der Graduiertenförderung an der Uni Bielefeld. Anschließend diskutierten Oliver Flügel-Martinsen, Marie Kaiser, Lisa Regazzoni und Tobias Werron die heiße Frage, wie wissenschaftliches Verstehen eigentlich verstanden werden kann.
Von links nach rechts: Klaus Weinhauer, Angelika Epple, Ruth Ayaß © Mariza Mathis
Angelika Epple nutzte die Gelegenheit, ihr Konzept der Talententwicklung an der Uni Bielefeld zu erläutern, mit dem sie in ihre Amtszeit gestartet ist. Sie betonte, dass jede und jeder Talente habe, dass aber nicht alle Talente entwickelt würden und schon gar nicht gleichzeitig. Das bedeutet, die Talententwicklung ist eine Daueraufgabe: für die Institution und für die Leute in allen Statusgruppen, nicht nur für Studierende oder Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase. Die Entscheidung, eine Doktorarbeit zu schreiben, sei ein wichtiger Schritt, auf den andere Schritte folgten. Die Uni Bielefeld wolle bei der Reflexion dieser Schritte unterstützen und entwickle daher gerade ein Konzept für eine Graduiertenakademie.
Ruth Ayaß begrüßte diese Wendung weg vom paternalistischen Konzept der Nachwuchsförderung hin zur prozessorientierten Talententwicklung und fragte, welche Rolle die Interdisziplinarität dabei spielen könne. Angelika Epple erinnerte an die Zeiten, in denen Geschichtswissenschaft und Soziologie ein enges Verhältnis zueinander hatten, dass sie sich im Laufe der Zeit aber von einander entfernt hätten und sich jetzt wieder annäherten. Sie betonte aber auch, dass es an der Uni Bielefeld die Tradition der sogenannten großen Interdisziplinarität gebe, die den Austausch zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften mit den Natur- und Technikwissenschaften anstrebe. Auf die Nachfrage von Ruth Ayaß, welche Rolle dabei intermediäre Strukturen wie die BGHS spielen könnten, verwies die Rektorin wiederum auf die geplante Graduiertenakademie, in der verschiedene Bemühungen gebündelt werden sollen. In diesem Zusammenhang betonte Klaus Weinhauer, wie wichtig es für den interdisziplinären Austausch sei, ein klares Profil der eigenen Disziplin zu haben, worauf Angelika Epple die in der BGHS entwickelte Expertise ins Spiel brachte. Das Konzept der BGHS, in dem Beides einen Raum habe, fachliche Angebote genauso wie Transferable Skills, sei überzeugend.
Klaus Weinhauer brachte das Gespräch dann auf das Thema Internationalisierung. Angelika Epple stellte fest, dass die BGHS auch darin gut sei, wie das zurzeit laufende Blended Intensive Programme zeige. Internationalisierung könne man nicht top-down entwickeln. Man könne aber Möglichkeiten dafür schaffen, wie z.B. die Europäische Hochschule des NEOLAiA-Verbunds oder aber die strategischen Partnerschaften mit verschiedenen internationalen Universitäten. Internationalisierung lebe von persönlichen Kontakten, die Wissenschaftler*innen untereinander pflegten. Die Institution müsse sich so aufstellen, dass sie auf Veränderungen frühzeitig reagieren könne. Die Einrichtung einer Graduiertenakademie solle dazu beitragen, dass die Uni Bielefeld gute Wissenschaftler*innen aus aller Welt anziehe. Das sei Standortentwicklung.
Zum Schluss richtete Angelika Epple noch einen Appell an die Promovierenden und Postdocs. Sie betonte, wie wichtig es sei, sich in diesen Phasen in der Uni zu engagieren und sie mitzugestalten, z.B. in der akademischen Selbstverwaltung. Sie wisse aus eigener Erfahrung, dass man in dieser Zeit mit anderen Dingen beschäftigt ist: Sie selbst etwa habe währenddessen zwei Kinder bekommen. Aber heute sei ihr klar, wie wichtig das eigene Engagement sei.
Von links nach rechts: Oliver Flügel-Martinsen, Lisa Regazzoni, Sabine Schäfer, Marie Kaiser, Tobias Werron © Mariza Mathis
Im zweiten Teil der Jubiläumsveranstaltung trafen sich vier Professor*innen unterschiedlicher Disziplinen der Uni Bielefeld zum Interdisciplinary Dialogue zum Thema Wissenschaftliches Verstehen. Oliver Flügel-Martinsen (Politische Theorie und Ideengeschichte), Marie Kaiser (Wissenschaftsphilosophie), Lisa Regazzoni (Geschichtstheorie) und Tobias Werron (Soziologische Theorie und allgemeine Soziologie) setzten sich, moderiert von Sabine Schäfer (akademische Geschäftsführerin der BGHS), lebhaft zu ihren unterschiedlichen Perspektiven auf das Wissenschaftliche Verstehen auseinander.
Verstehen ist alles andere als selbstverständlich, das zeigten die sehr verschiedenen Antworten auf die Frage nach der jeweiligen disziplinären und persönlichen Perspektive auf das Wissenschaftliche Verstehen.
Wissenschaftlich zu verstehen heißt für Marie Kaiser ein Phänomen in seinen Zusammenhängen zu erfassen. Dazu brauche es etwa Erklärungen, spezifisches Wissen oder bestimmte Fähigkeiten. Wenn unterschiedliche Perspektiven zusammengebracht würden, z.B. in interdisziplinärer Zusammenarbeit, dann könne man zu einem umfassenderen Verständnis des Phänomens kommen. Allerdings müsse man einen ‚common ground‘ finden, also herausfinden, welche Verbindungen sich zwischen den unterschiedlichen oder unterschiedlich bearbeiteten Phänomenen herstellen lassen.
Tobias Werron bezeichnete als ein aus seiner Sicht wesentliches Merkmal des wissenschaftlichen Verstehens eine gewisse Distanziertheit vom eigenen Erleben. Indem sie sich z.B. mittels wissenschaftlicher Theorien oder Methoden in eine Distanz zu den eigenen Erfahrungen begeben, seien Sozialwissenschaftler*innen in Lage, alltägliche Dinge, die uns ganz natürlich und selbstverständlich vorkommen, zu interessanten Forschungsthemen zu machen. Die eigene Verortung in einer bestimmten Disziplin oder Forschungstradition zeige sich insbesondere in den grundlegenden Fragen, die die Wissenschaftlerin oder den Wissenschaftler interessierten, im Fall der Sozialwissenschaften etwa die Frage, wie soziale Ordnung möglich ist.
Auch für Lisa Regazzoni spielt eine Frage eine wichtige Rolle beim Wissenschaftlichen Verstehen, nämlich die Frage: Was wollen wir wissen? Und da gebe es große Unterschiede zwischen Fächergruppen. Während es in den Naturwissenschaften darum gehe, Erklärungen zu finden, versuchten die Geistes- und Sozialwissenschaften, Sinn herzustellen. Aber auch dabei habe sich der Fokus im Lauf der Zeit verschoben von der Frage danach, warum Dinge passiert sind, zur Frage, wie Dinge passiert sind, d.h. zur Kontextualisierung von Ereignissen oder Prozessen in ihren Verhältnissen.
Oliver Flügel-Martinsen stellte den Prozess wissenschaftlichen Verstehens in den Kontext von hegemonialen diskursiven Formationen. Aus dieser Perspektive sind ‚Objektivität‘ und ‚Wahrheit‘ Ergebnisse politischer Kämpfe, was nicht heißen muss, dass diejenigen, die jetzt an der Macht sind, auf jeden Fall gewinnen. Denn die Verhältnisse ändern sich permanent, wenn auch manchmal sehr langsam, und damit ändern sich auch die Bedeutungen dessen, worum gestritten wird. Das gilt für die Wissenschaft genau wie für andere Gesellschaftsbereiche, etwa die Politik. Auch wissenschaftliche ‚Wahrheiten‘ sind Ergebnisse spezifischer hegemonialer Diskursformationen.
Die Verschiedenartigkeit der Konzepte des wissenschaftlichen Verstehens machte die Diskussion ungemein spannend und abwechslungsreich. Es wurde deutlich, wie voraussetzungsreich Verstehen ist und welche Probleme dabei zu überwinden sind. Letztlich braucht es immer eine Art von Übersetzung zwischen unterschiedlichen Konzepten, die dann wiederum mit Gewinnen und Verlusten auf der Bedeutungsebene verbunden ist: Eine Übersetzung enthält nie ganz genau die Bedeutungsebenen des Ursprungsbegriffs oder -gedankens, sie verliert einen Teil davon. Aber sie ermöglicht auch eine eigene Form des Verstehens und damit die Produktion neuen Wissens.
Es war der 6. Interdisciplinary Dialogue der BGHS, und das Format hat sich erneut als hervorragendes Instrument für eine offene und respektvolle wissenschaftliche Auseinandersetzung erwiesen. Jedenfalls hatten nachher alle noch Lust, den 15. BGHS-Geburtstag zu feiern und zu bleiben, bis das letzte Häppchen gegessen und das letzte Glas Wein getrunken war.