Wirtschaftswissenschaften Blog
Wie Unternehmensgröße die Mundpropaganda beeinflusst
Interview mit Anne Mareike Flaswinkel
Online-Bewertungen und Social-Media-Kommentare sind nur zwei Beispiele für elektronische Mundpropaganda (WOM – englisch: „word of mouth“). Jegliche Art der informellen digitalen Bewertung über Unternehmen, Dienstleistungen oder Produkte haben einen immer stärkeren Einfluss auf Kaufentscheidungen.
In einer aktuellen Studie, die nun im Journal of Marketing erschienen ist – einer führenden Fachzeitschrift, zu praxisrelevanten Marketingfragen für Wissenschaft, Bildung, Management, Konsument*innen und weiteren gesellschaftlichen Gruppen, an der Anne Mareike Flaswinkel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, bei Herrn Prof. Dr. Reinold Decker an der Universität Bielefeld, beteiligt war, fiel dabei ein spannender Fakt auf: Die Stimmung der digitalen Äußerungen unterschied sich zwischen bekannten großen Unternehmen, wie beispielsweise Starbucks und kleineren Unternehmen stark. Kleinere Unternehmen erhalten laut Studie tendenziell positivere WOM als größere. Bedeutet das, dass die Konsument*innen der größeren Unternehmen tatsächlich weniger zufrieden mit den Konsumerfahrungen sind oder gibt es eine andere Erklärung? Was könnte dazu führen? Welche Rolle spielt Empathie dabei und wie können Unternehmen durch gezielte Kommunikationsstrategien darauf reagieren? Darüber sprechen wir im Interview mit Anne Mareike Flaswinkel.
Ihre Forschung zeigt, dass kleinere Unternehmen tendenziell positivere Mundpropaganda erhalten als größere. Welche zentralen psychologischen Mechanismen erklären dieses Phänomen, und warum spielt Empathie dabei eine so wichtige Rolle?
Wir konnten durch eine umfassende Analyse digitaler Mundpropaganda und mehrere Experimente feststellen, dass Empathie eine zentrale Rolle dabei spielt, warum kleinere Unternehmen tendenziell positivere Mundpropaganda erhalten als größere. Konsument*innen empfinden gegenüber kleineren Unternehmen mehr Empathie, weil sie diese als persönlicher, nahbarer und oft auch schutzbedürftiger wahrnehmen. Diese Empathie beeinflusst das Mundpropagandaverhalten erheblich: Konsumentinnen verspüren den Wunsch, kleineren Unternehmen zu helfen, und vermeiden es eher, ihnen zu schaden. Das führt dazu, dass sie positive Erfahrungen häufiger teilen und negative Erlebnisse eher für sich behalten. Bei größeren Unternehmen ist das Verhalten umgekehrt: Weil Konsument*innen ihnen gegenüber weniger Empathie empfinden, teilen sie negative Erfahrungen häufiger und halten sich bei positiven Erlebnissen eher zurück. Das Wissen zu solchen Verzerrungen in den online einsehbaren Äußerungen ist sowohl für Konsument*innen als auch für Unternehmen von großer Bedeutung, da Mundpropaganda Kauf- und Unternehmensentscheidungen stark beeinflusst.
Ihre Studie betont, dass größere Unternehmen durch eine empathische Kommunikationsstrategie den negativen Effekt auf die WOM-Wertigkeit abmildern können. Welche Maßnahmen könnten Unternehmen ergreifen, um die Empathie der Konsumenten zu steigern?
Unsere Forschung zeigt, dass größere Unternehmen durch eine empathische Kommunikationsstrategie den negativen Effekt auf die WOM-Wertigkeit abmildern können. Eine zentrale Maßnahme besteht darin, aktiv auf Kundenfeedback zu reagieren – und zwar nicht nur regelmäßig, sondern vor allem persönlich, emotional und wertschätzend. Standardisierte oder rein sachliche Antworten werden von Konsument*innen als distanziert wahrgenommen, während individuell formulierte, warme und verständnisvolle Reaktionen die Empathie der Kund*innen erhöhen können. Besonders wirksam ist es, wenn Unternehmen in ihren Antworten zeigen, dass sie sich tatsächlich mit der Erfahrung des Kunden auseinandersetzen. Dazu gehört, sich für positives Feedback dankbar zu zeigen und bei negativem Feedback Verständnis zu äußern sowie lösungsorientiert zu reagieren. Eine direkte, persönliche Ansprache – beispielsweise mit dem Namen des Kunden – kann ebenfalls dazu beitragen, die emotionale Distanz zu verringern. Darüber hinaus können Unternehmen ihre Markenkommunikation insgesamt empathischer gestalten. Storytelling, das menschliche Werte vermittelt, oder die Darstellung von Mitarbeiter*innen und Unternehmenswerten kann dazu beitragen, eine emotionalere Verbindung zur Marke aufzubauen. Ebenso kann soziales Engagement, etwa in Umwelt- oder Gemeinschaftsprojekten, die Wahrnehmung eines Unternehmens positiv beeinflussen und Empathie fördern. Letztlich geht es darum, nicht nur als große, anonyme Marke aufzutreten, sondern als nahbares Unternehmen mit echtem Interesse an den Kund*innen.
Ein interessantes Ergebnis Ihrer Studie ist, dass kleine Unternehmen ihren Vorteil in der WOM-Wertigkeit verlieren, wenn sie in „Corporate Social Irresponsibility (CSI) negativ auffallen. CSI ist quasi das Gegenstück zur Corporate Social Responsibility (CSR). Damit ist die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens gemeint. Teilweise wird der Begriff "Unternehmerische Sozialverantwortung" genutzt. CSI könnte man dann als „unternehmerische Sozialunverantwortlichkeit“ übersetzen, also moralisch weniger akzeptierte Handlungen. Welche Implikationen hat das für die Unternehmenskommunikation und das Reputationsmanagement?
Wenn ein Unternehmen mit gesellschaftlich unverantwortlichem Halten in Verbindung gebracht wird, kann es seine positive WOM-Wertigkeit verlieren. In solchen Fällen sinkt die Empathie der Konsument*innen, wodurch sie negative Erfahrungen genauso häufig teilen wie bei großen Unternehmen. Der Vorteil kleinerer Unternehmen in der WOM-Wertigkeit verschwindet. Für die Unternehmenskommunikation bedeutet das, dass Unternehmen aktiv darauf achten sollten, die Empathie der Konsument*innen nicht zu verlieren. Transparenz und glaubwürdige Kommunikation sind dabei essenziell. Unternehmen sollten potenzielle Kritikpunkte frühzeitig adressieren, Verantwortung übernehmen und klar kommunizieren, welche Maßnahmen sie ergreifen, um problematisches Verhalten zu korrigieren. Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass kleine Unternehmen nicht allein aufgrund ihrer Größe von positiverer WOM profitieren. Stattdessen hängt ihre WOM-Wertigkeit stark davon ab, dass sie als unterstützenswert wahrgenommen werden. Sobald diese Wahrnehmung schwindet, ändern sich auch die Teilungsmuster der Konsument*innen – was zeigt, wie entscheidend Empathie als Treiber positiver Mundpropaganda ist.
Gibt es bestimmte Plattformen oder Kanäle, auf denen diese Effekte besonders stark ausgeprägt sind?
Unsere Forschung zeigt, dass der Effekt auf verschiedenen Plattformen nachweisbar ist, aber die Stärke der Effekte je nach Art der Plattform und ihrer Nutzungsweise variieren kann. Besonders ausgeprägt ist er auf Plattformen, die stark von individuellem Sharing-Verhalten und sozialer Dynamik geprägt sind. Auf Plattformen wie Yelp und Amazon, wo Bewertungen Kaufentscheidungen direkt beeinflussen können und oft in Form von Sterne-Bewertungen aggregiert werden, zeigt sich der Effekt besonders deutlich. Konsument*innen sind hier eher geneigt, kleinen Unternehmen höhere Bewertungen zu geben, während größere Unternehmen tendenziell schlechter abschneiden – selbst, wenn die objektive Qualität ähnlich ist. Auf sozialen Medien wie Twitter und Instagram wirkt sich die Empathie gegenüber kleineren Unternehmen ebenfalls auf die Mundpropaganda aus. Hier sind emotionale und persönliche Inhalte besonders wirkungsvoll. Insgesamt zeigt sich, dass der Effekt überall dort besonders stark ist, wo persönliche Meinungsäußerung und soziale Identität eine Rolle spielen. Plattformen, die es Konsument*innen ermöglichen, ihre Erfahrungen öffentlich zu teilen und damit soziale Anerkennung oder Zustimmung zu erhalten, können solche Muster verstärken.
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