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Wachkoma: System soll Patienten helfen, sich zu verständigen
Forschende des Exzellenzclusters CITEC starten Kooperation
Ein
neues Gerät soll schwersthirngeschädigten Menschen helfen, mit anderen
Personen zu kommunizieren. Der „NeuroCommTrainer“ soll Gehirnsignale
verstehen und den Patienten durch EEG-Messung zum Beispiel ermöglichen,
mit „Ja“ und „Nein“ zu antworten. Der Clou: Das System trainiert mit den
Patienten, ihre Gehirnaktivitäten gezielt zu steuern. Das Projekt
NeuroCommTrainer startet in diesem Monat. Finanziert wird es mit 1,87
Millionen Euro. Die Gehirnforscherin Professorin Dr. Johanna Kißler vom
Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der
Universität Bielefeld leitet die neue Forschung. Für das Projekt
arbeiten drei Hochschulen, zwei Unternehmen und die v.
Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel zusammen.
Ins Wachkoma fallen Menschen,
wenn sie beispielsweise bei einem Unfall oder einer starken
Gehirnblutung schwere Hirnschädigungen erlitten haben. Oft nehmen die
Ärzte an, dass sie vegetativ, also ohne Bewusstsein sind. „Doch in mehr
als einem Drittel der Fälle erweist sich das als Fehldiagnose“, sagt
Johanna Kißler. Die Psychologin will dafür sorgen, dass diese Patienten
sich mit einfachen Antworten verständlich machen können. Dafür setzt sie
auf EEG (Elektroencephalographie). Mit dieser Technologie lassen sich
Hirnaktivitäten mittels Elektroden auf der Kopfhaut messen.
„Es gibt zwar heute schon Gehirn-Computer-Schnittstellen, durch die Menschen über Hirnsignale kommunizieren können. Sie eignen sich aber nicht für bewusstseinsgestörte Patienten“, sagt Kißler. „Unser System hat den Vorteil, dass es sich an die Person anpasst. Denn es erkennt Phasen optimaler Wachheit, in denen sie am besten ansprechbar sind.“ Außerdem trainiert es den Patienten dabei, seine Aufmerksamkeit und damit seine Hirnsignale zu lenken. „Und es trainiert das Sprachverständnis. Das ist nötig, weil Hirnschädigungen oft dazu führen, dass Menschen einen Teil ihres Wortschatzes einbüßen“, sagt Kißler.
Grundlage des NeuroCommTrainers ist ein Programm, das Muster in der Hirnaktivität erkennt. „Damit wir erfahren, was der Patient sagen will, muss das System die Strukturen in den Gehirnsignalen sozusagen lesen, verstehen und übersetzen“, sagt Johanna Kißler. Für das neue System entwickelt das Forschungsprojekt mehrere Komponenten – darunter winzige EEG-Sensoren. Sie senden die Hirnsignale an einen Computer, der sie auswertet. Um Reaktionen der Patienten zu erfassen, wird das System auch mit Temperatur-, Kontakt-, Kraft-, und Dehnungssensoren ausgestattet. Mit ihnen werden schwache motorische Reaktionen der Finger und Hände erkannt. Gleichzeitig werden über solche Sensoren auch Signale ausgesendet, um die Patienten anzuregen. Weil alle Sensoren klein und dezent sind und ihren Träger nicht stören, eignet sich das System auch für die Langzeitmessung und -stimulation.
Kißlers
Forschungsgruppe Allgemeine Psychologie testet den NeuroCommTrainer in
der Pflegeeinrichtung Haus Elim der v. Bodelschwinghschen Stiftungen
Bethel in Bielefeld. „Um Kontakt zu den Wachkoma-Patienten aufzubauen,
arbeiten wir mit akustischen Reizen, etwa Lieblingsmusik“, sagt Kißlers
Mitarbeiterin Dr. Inga Steppacher, die die neue Technik im Haus Elim
erprobt.
Steppacher wird mit den Patienten einüben, über
Gedankensteuerung Fragen zu beantworten. „Dafür trainieren wir im ersten
Schritt das Sprachverständnis“, sagt Kißler. Die Forscher machen sich
eine Besonderheit des Gehirns zunutze: Nimmt ein Patient einen
unsinnigen Satz wahr („Das Brot ist zu heiß zu Hund“), misst das EEG im
Gehirn einen typischen Ausschlag, der 400 Millisekunden verzögert
auftritt (N400-Antwort).
„Durch dieses Training erfahren wir, ob der Patient die Bedeutung eines Satzes versteht. Erst wenn das klappt, üben wir mit dem Patienten, auf Fragen per Gehirn mit Ja und Nein zu antworten.“ Dafür nutzt das Team eine weitere bestimmte Hirnreaktion, die P300-Antwort. Sie tritt auf, wenn der Patient einen Tonreiz – wie die Stimme des Partners – wahrnimmt. „Dadurch können wir mit den Patienten üben, die P300-Antwort zu geben, um auf eine Frage mit Ja zu antworten.“
An der automatischen Analyse der EEG-Signale des NeuroCommTrainers arbeitet die Forschungsgruppe Neuroinformatik von Professor Dr. Helge Ritter, Koordinator des Exzellenzclusters CITEC. Sein Team entwickelt ein Programm, das den vermeintlichen Wirrwarr an Daten in Echtzeit filtert und auswertet. „Dieser Klassifikator leitet aus den gemessenen Gehirnsignalen zum Beispiel ab, wann ein Patient auf einen Reiz wie etwa ein emotionales Geräusch reagiert und wann sein Gehirn nicht antwortet“, sagt Helge Ritter. „Das Besondere ist, dass der Klassifikator die eigene Sprache des individuellen Gehirns lernt und so die Hirnsignale der Person versteht.“
Die CITEC-Forschungsgruppe
„Ambient Intelligence“ (Umgebungsintelligenz) von Dr. Thomas Hermann
arbeitet wiederum daran, die EEG-Daten zu verklanglichen. „Wenn ein
Pfleger oder eine Pflegerin zum Beispiel eine Stunde abwesend war, kann
diese Person nachhören, ob es in dieser Zeit auffällige Hirnsignale
gab“, erklärt Thomas Hermann.
Hermanns Team arbeitet für das Projekt
auch an den tragbaren Sensoren und an Impulsgebern (Haptuatoren), die taktile Vibrationen aussenden. „Anders als lange Zeit angenommen,
nehmen Komapatienten tatsächlich Berührungsreize wahr“, sagt Kißler. Die
Haptuatoren sollen zum Beispiel unauffällig in die Kleidung eingewebt
werden. Sie sollen der Person dazu verhelfen, die Prozesse in ihrem
Gehirn wahrzunehmen: Eine Patientin wird etwas gefragt („Schmerzt dein
Rücken?“), sie lenkt ihre Aufmerksamkeit und aktiviert so eine bestimmte
Hirnregion. Der NeuroCommTrainer versteht die Antwort („Ja.“) und
bestätigt das durch zwei kurze Vibrationen. Biofeedback nennt sich
dieses Prinzip.
Das Forschungsprojekt NeuroCommTrainer wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und läuft drei Jahre bis Mai 2020. Zu den Projektpartnern gehören neben der Universität Bielefeld, die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, die Evangelische Hochschule Ludwigsburg und die Messtechnik-Hersteller Easycap (Herrsching in Bayern) und Applied Biosignals (Weener in Niedersachsen).
Weitere Informationen:
• Informationen zum Projekt NeuroCommTrainer (Bundesministerium für Bildung und Forschung): http://bit.ly/2pXAYDv
• „Fenster ins Gehirn“ (Artikel im Forschungsmagazin BI.research, S. 22): http://bit.ly/2rvbJtu