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Thermische Spinströme in Raum und Zeit nachgewiesen

Veröffentlicht am 1. Juni 2018, 11:52 Uhr
Bielefelder Physik schließt DFG-Schwerpunktprogramm erfolgreich ab

Wie sich magnetische Ströme durch Temperaturunterschiede erzeugen lassen und so möglicherweise künftig Energie in der Nanoelektronik eingespart werden kann – damit hat sich das bundesweite Schwerpunktprogramm „Spin Caloric Transport“ (SpinCaT) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) befasst. Die Fakultät für Physik der Universität Bielefeld war mit insgesamt sieben Projekten an dem Programm beteiligt, das 2011 startete und nun erfolgreich abgeschlossen wurde. Das Forschungsteam um Dr. Timo Kuschel und Professor Dr. Günter Reiss erzielte weitere Durchbrüche in drei Projekten.

Dr. Timo Kuschel mit DoktorandinPanagiota Bougiatioti und Dr. OliverReimer (v.r.). Foto: Universität Bielefeld
Dr. Timo Kuschel mit DoktorandinPanagiota Bougiatioti und Dr. OliverReimer (v.r.). Foto: Universität Bielefeld
Elektronen besitzen einen Eigendrehimpuls. Sie drehen sich um ihre eigene Achse. Der physikalische Fachbegriff für diese Eigenschaft ist „Spin“. Ein solcher Elektronenspin sorgt dafür, dass sich Elektronen wie Magnete verhalten. Das Besondere: Auch wenn sie ihre Position beibehalten, sich also nicht bewegen, können Elektronen ihren Spin an benachbarte Elektronen weitergeben. Den einer Kettenreaktion ähnlichen Vorgang, bei dem ein Spin als Information magnetisch weitergegeben wird, nennt man Spinstrom. Er kann durch Temperaturunterschiede zwischen zwei Enden eines elektronischen Bauteils erzeugt werden. Der Vorteil von Spinstrom gegenüber herkömmlichem Strom: Er erzeugt so gut wie keine zusätzliche Wärme und ist dadurch energiesparender.

Die Wärme, die elektronische Geräte wie Computer erzeugen, wird meist nicht genutzt. Für die Kühlung solcher Geräte muss in der Regel viel Energie aufgebracht werden. Eine Forschungsgruppe um die Bielefelder Physiker Dr. Timo Kuschel und Professor Dr. Günter Reiss hat im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms SpinCaT untersucht, wie sich Spinströme erzeugen, manipulieren und nachweisen lassen. „Auf diese Weise ließe sich überschüssige Wärme für neuartige Daten-speicher und andere Computerbauteile, die auf Spinstrom basieren, verwenden und in der Anwendung Energie einsparen“, erklärt Kuschel.

Dr. Timo Kuschel und Dr. Oliver Reimer sowie die Doktorandin Panagiota Bougiatioti konnten in Kooperation mit nationalen und internationalen Universitäten zuletzt drei Durchbrüche in der Grundlagenforschung zur Spin-Kaloritronik verzeichnen.

Nachweis von Spinströmen: Nachzuweisen, dass ein Spinstrom in einem bestimmten Material erzeugt wird, sei keineswegs trivial, so Kuschel. „Bei einigen Materialien lässt sich das nicht eindeutig zeigen, weil andere Effekte wie klassische thermoelektrische Effekte automatisch mitgemessen werden.“ Die Bielefelder Doktorandin Panagiota Bougiatioti konnte für solche Materialien nun eine Methode entwickeln, mit der parasitäre Effekte herausgefiltert und von dem Effekt, mit dem ein Spinstrom erzeugt wird, getrennt werden. Dadurch können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun einwandfrei feststellen, ob in einem bestimmten Material ein Spinstrom erzeugt wird. Die Projektgruppe, in der auch Forschende von der Universität Osnabrück und der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble mitarbeiteten, veröffentlichte ihr Ergebnis im Journal „Physical Review Letters“.

Aufbau zur gezielten Erzeugung von Temperaturunterschieden in Spinstrommaterialien. Foto: Dr. Torsten Hübner
Aufbau zur gezielten Erzeugung von Temperaturunterschieden in Spinstrommaterialien. Foto: Dr. Torsten Hübner
Spinstrom in Raum: Ein Spinstrom bewegt sich entlang eines Temperaturunterschiedes: ein magnetisches Signal wird z.B. von heiß nach kalt weitergeleitet. Dr. Oliver Reimer, der an der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld promoviert hat, gelang es, einen neuen Aufbau fertigzustellen, der Temperaturunterschiede auf kleinem Raum gezielt in unterschiedliche Raumrichtungen erzeugen kann. Dadurch lassen sich nun Spinströme in einem Material räumlich variabel ausrichten – bislang war das nur in eine einzige Richtung möglich – und neuartige Effekte in Abhängigkeit der Spinstromrichtung untersuchen. Die Forschung führte die Bielefelder Projektgruppe in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg durch. Seine Ergebnisse präsentierte Reimer als Erstautor in dem Nature-Journal „Scientific Reports“.

Spinstrom in Zeit: In einem weiteren Projekt haben Dr. Timo Kuschel und Dr. Johannes Kimling von der US-amerikanischen University of Illinois auf sehr kurzen Zeitskalen gemessen, wie lange es dauert, bis ein Spinstrom entsteht. Mithilfe hochmoderner Lasertechnik wiederholten die Wissenschaftler ihr Experiment immer wieder, indem sie die Zeit zwischen der Erzeugung und der Entstehung eines Spinstroms variierten: Wie groß ist der Spinstrom nach einer, zwei, zehn, fünfundzwanzig Pikosekunden? Das Paper der internationalen Projektgruppe erschien im Journal „Physical Review Letters“.
Dr. Timo Kuschel und Professor Dr. Günter Reiss sind an einer Fortsetzung der Forschungstätigkeit im Wissenschaftsfeld Spin-Kaloritronik interessiert: „Das Forschungsgebiet hat in der Grundlagenforschung schon viel bewegt, steckt bei Anwendungen jedoch noch in den Kinderschuhen. In einem nächsten Schritt müsste deshalb ein Übergang von den physikalischen Grundlagen zur tech-ischen Anwendung geschaffen werden.“

2008 legten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Tohoku Universität in Japan den Grundstein für die Forschung in der Spin-Kaloritronik. In der ersten Periode des DFG-Schwerpunktthemas hat die Bielefelder Forschungsgruppe um die Physiker Professor Dr. Günter Reiss, Dr. Timo Kuschel, Privatdozent Dr. Andy Thomas und Dr. Jan-Michael Schmalhorst drei Projekte zu material- und messtechnischen Fragestellungen bei der Erzeugung von Spinströmen durch Wärme durchgeführt. 2014 erweiterte die Fakultät für Physik der Universität Bielefeld ihre Mitarbeit im DFG-Programm und konnte 800.000 Euro für vier Projekte einwerben. Für die For-schung in den SpinCaT-Projekten kooperierte die Bielefelder Physik unter anderem mit Arbeitsgruppen aus München, Braunschweig, Greifswald, Alabama (USA) und Sendai (Japan).

Originalveröffentlichungen:
Panagiota Bougiatioti, Christoph Klewe, Daniel Meier, Orestis Manos, Olga Kuschel, Joachim Wollschläger, Laurence Bouchenoire, Simon D. Brown, Jan-Michael Schmalhorst, Günter Reiss, Timo Kuschel: Quantitative disentanglement of spin Seebeck, proximity-induced, and ferromagnet-induced anomalous Nernst effect in normal-metal/ferromagnet bilayers, Physical Review Letters 119, 227205 (2017), DOI:10.1103/PhysRevLett.119.227205

Oliver Reimer, Daniel Meier, Michel Bovender, Lars Helmich, Jan-Oliver Dreessen, Jan Krieft, Anatoly S. Shestakov, Christian H. Back, Jan-Michael Schmalhorst, Andreas Hütten, Günter Reiss, Timo Kuschel: Quantitative separation of the anisotropic magnetothermopower and planar Nernst effect by the rotation of an in-plane thermal gradient, Scientific Reports 7, 40586 (2017), DOI:10.1038/srep40586

Johannes Kimling, Gyung-Min Choi, Jack T. Brangham, Tristan Matalla-Wagner, Torsten Huebner, Timo Kuschel, Fengyuan Yang, David G. Cahill: Picosecond spin Seebeck effect, Physical Review Letters 118, 057201 (2017), DOI:10.1103/PhysRevLett.118.057201

Weitere Informationen:
Pressemitteilung „Spin-Strom aus Wärme: Neues Material für höhere Effizienz“ (20.11.2017), Link: https://bit.ly/2KgbxHc
Pressemitteilung „Physiker finden neue Erklärung für Schlüsselexperiment“ (23.09.2015), Link: https://bit.ly/2wbzOdi
Pressemitteilung „Eine heiße Alternative zum elektrischen Strom“ (20.10.2014), Link: https://bit.ly/2wLRaPq
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