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uni.aktuell-Archiv
Veröffentlicht am
30. Januar 2019
Kategorie:
Forschung & Wissenschaft
Ohne Röntgenaufnahme die Schädelform in 3D berechnen
Forschende aus Bielefeld, Wiesbaden und Mainz stellen neue Methode vor
Ein neues mathematisches Modell des Schädels könnte in Zukunft dazu beitragen, bei medizinischen Untersuchungen des Kopfes mit wenigen oder sogar ganz ohne Röntgenaufnahmen auszukommen und so die Strahlenbelastung für Patientinnen und Patienten deutlich zu reduzieren. Dasselbe Modell kann auch eingesetzt werden, um anhand eines Schädels ein Gesicht zu rekonstruieren. Es könnte somit auch helfen, Kriminalfälle aufzuklären. Forschende des Exzellenzclusters Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld, der Hochschule RheinMain sowie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben dieses Modell nun im Forschungsmagazin PLOS ONE veröffentlicht.
Viele Kinder und Jugendliche tragen für eine bestimmte Zeit eine Zahnspange, weil sie eine Fehlstellung des Kiefers haben. Um die Zahnspange an den jeweiligen Kiefer anzupassen, sind umfassende Untersuchungen notwendig. Dazu gehören auch Untersuchungen mit Röntgenstrahlen, bei denen in der Regel der komplette Kiefer aufgenommen wird. Heutige Röntgengeräte sind moderner als früher und lassen sich zielgerichtet einsetzen. "Trotzdem steigt die Dosis durch Röntgenaufnahmen nachweislich seit den 1990er-Jahren Jahr für Jahr an, so dass alle Maßnahmen zum Strahlenschutz zu begrüßen sind.
Insbesondere Kinder und Jugendliche mit ihrer überproportional erhöhten Strahlenempfindlichkeit sollten so wenig Strahlung ausgesetzt werden wie möglich", sagt Prof. Dr. Ralf Schulze von der der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Mainz. Er leitet eine Arbeitsgruppe im Forschungsschwerpunkt BiomaTiCS – Biomaterials, Tissues and Cells in Science der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der sich mit der Interaktion von Geweben und Zellen mit körperfremden Materialien und Oberflächen beschäftigt.
Zudem forscht er mit in dem Verbundprojekt Kephalos der Hochschule RheinMain, welches dort von Prof. Dr. Ulrich Schwanecke, Leiter der Labors für Computer Vision und Mixed Reality geleitet wird. Weitere Projektpartner sind Prof. Dr. Elmar Schömer vom Institut für Informatik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Prof. Dr. Mario Botsch, Leiter der Forschungsgruppe "Computergrafik und Geometrieverarbeitung" vom Exzellenzcluster CITEC der Universität Bielefeld.
Ziel des Projekts ist es, eine Methode zu entwickeln, die es erlaubt, die Form des Gesichtsschädels auf Basis von maximal einer Röntgenaufnahme in Verbindung mit einem Gesichtsscan zu berechnen. Damit ließe sich die Strahlungsdosis für bestimmte Untersuchungen deutlich reduzieren. "In dem Projekt zeigte sich, dass die Berechnung des Gesichtsschädels schon alleine mit einem Gesichtsscan möglich ist. Dies hatten wir ursprünglich nicht erwartet", sagt Schwanecke. Die Forschungsergebnisse aus dem Projekt haben die Beteiligten jetzt im Journal PLOS ONE veröffentlicht.
Je mehr Daten, desto feiner das Modell
Grundlage des präsentierten Verfahrens sind statistische Modelle, welche die Variation von Gesichtern, Gesichtsschädeln sowie der Hautdicke im Gesicht beschreiben. Um die Modelle zu erhalten, analysierten die Forschenden dreidimensionale Aufnahmen von rund 40 Schädeln und 80 Gesichtern, die im Wesentlichen aus der Universitätsmedizin Mainz stammten. Die Wissenschaftler entwickelten daraus ihre Modelle, welche auf einer Menge von Messpunkten beruhen, die über Dreiecke miteinander verbunden sind und wie ein Netz mit dreieckigen Maschen ein Gesicht oder einen Schädel überziehen. Die genaue Lage der Eckpunkte dieser Dreiecke ist dabei für jedes Gesicht beziehungsweise jeden Schädel anders. Die entwickelten statistischen Modelle kodieren nun die statistische Verteilung der Eckpunkte zu den analysierten Schädel- oder Gesichtsaufnahmen. "Das Modell wird immer genauer, je mehr Daten wir zur Verfügung haben", erklärt Botsch.
Modell lässt sich in zwei Richtungen anwenden
Was ist nun das Besondere an dem Modell? Es lässt sich in zwei Richtungen anwenden. „Unser erstes Ziel war es, den Schädel einer Person anhand ihrer Gesichtsform zu berechnen“, sagt Schwanecke. Diese Methode wurde im vergangenen September auf dem Eurographics Workshop on Visual Computing for Biology and Medicine veröffentlicht. Doch auch das Gegenteil funktioniert: Die Forschenden können rekonstruieren, wie ein Gesicht ausgesehen haben könnte, wenn ihnen ein Schädel vorliegt. „Das ist zum Beispiel für die Forensik interessant, oder auch für die Anthropologie.“
Berechnen lässt sich mit dem Modell dann die dreidimensionale Form eines Gesichts. Dieses sieht allerdings ganz unterschiedlich aus, je nachdem, ob die Person sehr schlank oder aber übergewichtig ist. „Wir erstellen deshalb verschiedene Varianten“, erklärt Jascha Achenbach, der als Doktorand in Bielefeld an dem Projekt mitarbeitet. Eigentlich wirkt die Haut am Schädel vergleichsweise dünn und liegt eng an. Deshalb könnte man annehmen, dass man leicht vom Gesicht auf den Schädel schließen könnte. „Das ist aber nicht so einfach möglich“, sagt Prof. Dr. Botsch. Ein Grund dafür ist, dass die Dicke der Haut stark variiert: Je nachdem, wie dick oder dünn sie an den einzelnen Stellen ist, kann der Schädel darunter ganz unterschiedlich aussehen. Genau das berücksichtigen aber nun die statistischen Modelle.
Weniger Röntgenstrahlung bei kieferorthopädischen Behandlungen
"Ich gehe davon aus, dass wir auf Basis dieser Modelle zum Beispiel die Anzahl von Röntgenuntersuchungen bei kieferorthopädischen Behandlungen reduzieren können", sagt Prof. Dr. Schwanecke. Das erwarten auch Thomas Gietzen und Robert Brylka von der Hochschule RheinMain. Sie arbeiten als Doktoranden im Projekt Kephalos. "Notwendig für unsere Berechnung ist nur ein Oberflächenscan des Gesichts. Dieser kann zusätzlich noch durch eine einzige Röntgenaufnahme von der Seite unterstützt werden", sagt Thomas Gietzen.
Gefördert wird das Projekt Kephalos vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Originalveröffentlichungen:
Thomas Gietzen, Robert Brylka, Jascha Achenbach, Katja zum Hebel, Elmar Schömer, Mario Botsch, Ulrich Schwanecke, Ralf Schulze: A method for automatic forensic facial reconstruction based on dense statistics of soft tissue thickness. PLOS ONE, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0210257, erschienen am 23. Januar 2019.
Ein neues mathematisches Modell des Schädels könnte in Zukunft dazu beitragen, bei medizinischen Untersuchungen des Kopfes mit wenigen oder sogar ganz ohne Röntgenaufnahmen auszukommen und so die Strahlenbelastung für Patientinnen und Patienten deutlich zu reduzieren. Dasselbe Modell kann auch eingesetzt werden, um anhand eines Schädels ein Gesicht zu rekonstruieren. Es könnte somit auch helfen, Kriminalfälle aufzuklären. Forschende des Exzellenzclusters Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld, der Hochschule RheinMain sowie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben dieses Modell nun im Forschungsmagazin PLOS ONE veröffentlicht.
Prof. Dr. Mario Botsch vom Exzellenzcluster CITEC hat mit Kollegen aus Wiesbaden und Mainz ein Modell entwickelt, das von einem Gesichtsscan auf die Form des Schädels schließen kann. Es kann umgekehrt auch ein Gesicht aus einem Schädel rekonstruieren. Foto: CITEC/Universität Bielefeld
Insbesondere Kinder und Jugendliche mit ihrer überproportional erhöhten Strahlenempfindlichkeit sollten so wenig Strahlung ausgesetzt werden wie möglich", sagt Prof. Dr. Ralf Schulze von der der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Mainz. Er leitet eine Arbeitsgruppe im Forschungsschwerpunkt BiomaTiCS – Biomaterials, Tissues and Cells in Science der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der sich mit der Interaktion von Geweben und Zellen mit körperfremden Materialien und Oberflächen beschäftigt.
Zudem forscht er mit in dem Verbundprojekt Kephalos der Hochschule RheinMain, welches dort von Prof. Dr. Ulrich Schwanecke, Leiter der Labors für Computer Vision und Mixed Reality geleitet wird. Weitere Projektpartner sind Prof. Dr. Elmar Schömer vom Institut für Informatik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Prof. Dr. Mario Botsch, Leiter der Forschungsgruppe "Computergrafik und Geometrieverarbeitung" vom Exzellenzcluster CITEC der Universität Bielefeld.
Ziel des Projekts ist es, eine Methode zu entwickeln, die es erlaubt, die Form des Gesichtsschädels auf Basis von maximal einer Röntgenaufnahme in Verbindung mit einem Gesichtsscan zu berechnen. Damit ließe sich die Strahlungsdosis für bestimmte Untersuchungen deutlich reduzieren. "In dem Projekt zeigte sich, dass die Berechnung des Gesichtsschädels schon alleine mit einem Gesichtsscan möglich ist. Dies hatten wir ursprünglich nicht erwartet", sagt Schwanecke. Die Forschungsergebnisse aus dem Projekt haben die Beteiligten jetzt im Journal PLOS ONE veröffentlicht.
Je mehr Daten, desto feiner das Modell
Grundlage des präsentierten Verfahrens sind statistische Modelle, welche die Variation von Gesichtern, Gesichtsschädeln sowie der Hautdicke im Gesicht beschreiben. Um die Modelle zu erhalten, analysierten die Forschenden dreidimensionale Aufnahmen von rund 40 Schädeln und 80 Gesichtern, die im Wesentlichen aus der Universitätsmedizin Mainz stammten. Die Wissenschaftler entwickelten daraus ihre Modelle, welche auf einer Menge von Messpunkten beruhen, die über Dreiecke miteinander verbunden sind und wie ein Netz mit dreieckigen Maschen ein Gesicht oder einen Schädel überziehen. Die genaue Lage der Eckpunkte dieser Dreiecke ist dabei für jedes Gesicht beziehungsweise jeden Schädel anders. Die entwickelten statistischen Modelle kodieren nun die statistische Verteilung der Eckpunkte zu den analysierten Schädel- oder Gesichtsaufnahmen. "Das Modell wird immer genauer, je mehr Daten wir zur Verfügung haben", erklärt Botsch.
Modell lässt sich in zwei Richtungen anwenden
Das neue Computermodell kann aus einem gegebenen Schädel interaktiv mehre Gesichtsvarianten rekonstruieren, die sich in der Hautdickeverteilung unterscheiden. Foto: Universität Bielefeld/Hochschule RheinMain
Berechnen lässt sich mit dem Modell dann die dreidimensionale Form eines Gesichts. Dieses sieht allerdings ganz unterschiedlich aus, je nachdem, ob die Person sehr schlank oder aber übergewichtig ist. „Wir erstellen deshalb verschiedene Varianten“, erklärt Jascha Achenbach, der als Doktorand in Bielefeld an dem Projekt mitarbeitet. Eigentlich wirkt die Haut am Schädel vergleichsweise dünn und liegt eng an. Deshalb könnte man annehmen, dass man leicht vom Gesicht auf den Schädel schließen könnte. „Das ist aber nicht so einfach möglich“, sagt Prof. Dr. Botsch. Ein Grund dafür ist, dass die Dicke der Haut stark variiert: Je nachdem, wie dick oder dünn sie an den einzelnen Stellen ist, kann der Schädel darunter ganz unterschiedlich aussehen. Genau das berücksichtigen aber nun die statistischen Modelle.
Weniger Röntgenstrahlung bei kieferorthopädischen Behandlungen
"Ich gehe davon aus, dass wir auf Basis dieser Modelle zum Beispiel die Anzahl von Röntgenuntersuchungen bei kieferorthopädischen Behandlungen reduzieren können", sagt Prof. Dr. Schwanecke. Das erwarten auch Thomas Gietzen und Robert Brylka von der Hochschule RheinMain. Sie arbeiten als Doktoranden im Projekt Kephalos. "Notwendig für unsere Berechnung ist nur ein Oberflächenscan des Gesichts. Dieser kann zusätzlich noch durch eine einzige Röntgenaufnahme von der Seite unterstützt werden", sagt Thomas Gietzen.
Gefördert wird das Projekt Kephalos vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Originalveröffentlichungen:
Thomas Gietzen, Robert Brylka, Jascha Achenbach, Katja zum Hebel, Elmar Schömer, Mario Botsch, Ulrich Schwanecke, Ralf Schulze: A method for automatic forensic facial reconstruction based on dense statistics of soft tissue thickness. PLOS ONE, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0210257, erschienen am 23. Januar 2019.