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Neue Studie zeigt Rückgang rechtsextremer Einstellungen

Veröffentlicht am 20. November 2014, 12:06 Uhr

Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung stellt Verlagerung in subtile Formen menschenfeindlichen Denkens fest 

Unter dem Titel „Fragile Mitte - Feindselige Zustände“ erscheint am heutigen Donnerstag (20.11.2014) im Verlag J.H.W. Dietz Nachf. die neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. Durchgeführt wurde die Studie vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Das Bild, das sich aus den Zahlen 2014 ergibt, ist komplex: Insgesamt sind rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland gegenüber den Vorjahren deutlich zurückgegangen. Allerdings sind die Zustimmungswerte auf Ebene einzelner Aussagen teilweise nach wie vor sehr hoch.

Prof. Dr. Andreas Zick, Leiter der Studie, beobachtet, dass Einheimische in Deutschland mehrheitlich an ihren etablierten Vorrechten gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen festhalten. Foto: Universität Bielefeld
Prof. Dr. Andreas Zick, Leiter der Studie, beobachtet, dass Einheimische in Deutschland mehrheitlich an ihren etablierten Vorrechten gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen festhalten. Foto: Universität Bielefeld
Einigen Facetten, wie der Abwertung von langzeitarbeitslosen und asylsuchenden Menschen, stimmt fast die Hälfte der Deutschen zu. Zudem dürfte sich der Rückgang zumindest teilweise auch aus einer verstärkten Kommunikationslatenz erklären.

Wie 2012 sind rechtsextreme Einstellungen in allen Dimensionen im Osten Deutschlands stärker verbreitet als im Westen, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Ähnliches zeigt sich bei Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dies geht aber einher mit einer Verlagerung in subtile Formen menschenfeindlichen und rechtsextremen Denkens. So ist bei der Zustimmung zu Etabliertenvorrechten – also einer Distanzierung von Neuhinzugezogenen – gegenläufig zum Gesamttrend ein Anstieg zu verzeichnen.

Deutlich wird das Phänomen der Verlagerung besonders beim Antisemitismus, wo transformierter Antisemitismus, der sich in israelbezogenem Antisemitismus, sowie in NS-relativierendem und sekundärem Antisemitismus ausdrückt, viel mehr Zuspruch erhält als klassische judenfeindliche Vorurteile. Zudem hat der klassische Antisemitismus zwischen der Hauptbefragung im Juni 2014 und der nach den Ereignissen des Sommers veranlassten Nachbefragung im September 2014 signifikant zugenommen. Problematisch ist ferner, dass sich eine Entdifferenzierung von Antisemitismus und sachlicher Israelkritik andeutet.

Rechtsextreme und menschenfeindliche Orientierungen gehen mit Zweifeln an Demokratie und negativen Haltungen gegenüber der EU einher. EU-kritische Haltungen überlagern sich mit einer gezielten Abwertung von europäischen Nachbarn und inländischen Gruppen, insbesondere jenen, die eingewandert sind. Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit haben sich inzwischen stark europäisiert. Für viele Deutsche ist dabei das europäische Ausland selbst zur Zielgruppe abwertender Orientierungen geworden.

Auffällig verbreitet sind extrem marktförmige Einstellungen zur Gesellschaft, die als marktförmiger Extremismus bezeichnet werden. Dieser bewertet Wettbewerb und Fortschritt höher als Solidarität und Gleichwertigkeit. Es zeigt sich, dass extremes Effizienzdenken eng mit rechtsextremen Ideen zusammenhängt: Menschen, die marktförmigen Extremismus befürworten, tendieren auch stärker als andere dazu, den Aussagen zum Rechtsextremismus zuzustimmen. Die AfD scheint als politisches Sprachrohr die Verbindung von Bedrohungsängsten und marktförmigem Extremismus zu kanalisieren: AfD-Anhängerinnen und -Anhänger fühlen sich erheblich stärker bedroht und vertreten signifikant stärker marktförmigen Extremismus als der Bevölkerungsdurchschnitt. Auch stimmen sie ähnlich wie Nicht-Wählerinnen und -Wähler besonders rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen zu. Eine Anti-Europa-Haltung ist in der Anhängerschaft der AfD deutlicher ausgeprägt als bei anderen.

„Eine lebendige Demokratie wird bedroht von rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen und Handlungen“, meint Prof. Dr. Andreas Zick, der zusammen mit Anna Klein und Eva Groß die Studie durchgeführt hat. Zwar zeigten die Zahlen, dass die vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Anstrengungen gegen Rechtsextremismus offenbar erste Früchte tragen, allerdings werde insbesondere die Haltung, etablierte Vorrechte der Einheimischen durchzusetzen, dem Wandel der Gesellschaft nicht gerecht: „Das demokratische Toleranzedikt der Anerkennung von Gleichwertigkeit bleibt fragil“, so Andreas Zick.

„Der Rückgang gegenüber den Vorjahren ist natürlich erfreulich, allerdings besteht zu Entwarnung kein Anlass“, ergänzt Herausgeber Ralf Melzer, der bei der Friedrich-Ebert-Stiftung das Projekt „Gegen Rechtsextremismus“ leitet. „Beunruhigend ist vor allem die Entwicklung im Bereich Antisemitismus“, so Melzer weiter. Dass knapp 50 Prozent der Befragten der Meinung sind, es sei am besten, die Rechtsextremen zu ignorieren, deute zudem auf eine weit verbreitete Abwehrhaltung gegenüber dem Problem hin.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird seit 2002 vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld untersucht. Die daraus resultierende zehnbändige Reihe der „Deutschen Zustände“ und die Reihe der seit 2006 von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Zweijahresrhythmus in Auftrag gegebenen Mitte-Studien zu rechtsextremen Einstellungen wird in Form des vorliegenden Buchs zusammengeführt. Es beschreibt auf Basis einer repräsentativen Erhebung für das Jahr 2014 die gesellschaftlichen Bruchstellen einer fragilen Mitte.

Originalveröffentlichung:
Andreas Zick / Anna Klein: Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Mit Beiträgen von Eva Groß, Andreas Hövermann und Beate Küpper. Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer; Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2014. ISBN: 978-3-8012-0458-7; Ladenpreis 9,80 €

Datengrundlage der repräsentativen Umfrage 2014:
•   Telefonische Befragung (CATI) von 1.915 repräsentativ ausgewählten Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit; Befragungszeitpunkt: Juni bis August 2014; Nachbefragung Antisemitismus: September 2014
•   Durchführung: Sozialwissenschaftliches Umfrageinstitut GmbH (SUZ), Duisburg
•   Daten von insgesamt 1.007 Frauen (52,6 %) und 905 Männern (47,3 %)
•   Alter der Befragten: 16 – 95 Jahre; Altersdurchschnitt: 49,9 Jahre
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