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Neue adulte Stammzellquelle im menschlichen Gaumen entdeckt
Hoffnung auf neuartige Möglichkeiten der Behandlung von Erkrankungen des Kopfes
Ein
interdisziplinär zusammengesetztes Team von Wissenschaftlern unter
Leitung der Zellbiologin Professorin Dr. Barbara Kaltschmidt (Fakultät
für Biologie der Universität Bielefeld) hat (unter anderem) im
menschlichen Gaumen neue adulte Stammzellen entdeckt. Es handelt sich
um Neuralleisten-Stammzellen (Neural Crest Stem Cells / NCSCs), die
sich im so genannten Zäpfchen und in den Gaumenkämmen hinter den Zähnen
befinden. Die daraus isolierten Stammzellen weisen Merkmale der
„Pluripotenz“ auf, das heißt, sie bergen vielfältige
Entwicklungsmöglichkeiten in sich. Von den Forschern konnten sie
erfolgreich im Labor gezüchtet und in spezialisierte Zelltypen wie
Nervenzellen verwandelt werden. Auch bei erwachsenen Menschen konnte
die Existenz solcher Stammzellen erfolgreich nachgewiesen werden.
Von
diesen hochgradig regenerativen und leicht zugänglichen Zellen erhoffen
sich die beteiligten Wissenschaftler neuartige Möglichkeiten der
Behandlung von zahlreichen, auch degenerativen Erkrankungen des Kopfes
wie zum Beispiel Verletzungen von Gesicht und Schädelknochen, Tumoren
und chronische Mittelohrentzündung, aber langfristig vielleicht auch
Alzheimer und Parkinson. Die körpereigenen Stammzellen könnten künftig
dazu dienen, solche Krankheiten zu bekämpfen. An der Entdeckung der
Zellen waren neben den Forschern vom Lehrstuhl für Zellbiologie der
Universität Bielefeld Wissenschaftler vom Institut für
Zellkulturtechnologie der Universität Bielefeld sowie der HNO-Klinik
des Klinikums Bielefeld und der Universitätsklinik Frankfurt/M.
beteiligt. Die Bielefelder Wissenschaftler sind gemeinsam am Zentrum
für Biotechnologie der Universität Bielefeld (CeBiTec) tätig. Die hier
zusammengefassten Ergebnisse wurden im Fachjournal "Stem Cells" vorab
online veröffentlicht.
Die NCSCs bringen im Rahmen der
Entwicklung der Kopf- und Nackenregion der Säuger ein erstaunlich
breites Spektrum an Zelltypen hervor, unter anderem Knochenzellen und
Nerven. NCSCs können sowohl während der Entwicklung als auch beim
adulten Individuum nachgewiesen werden. Isolierte NCSCs könnten
aufgrund ihrer hohen Plastizität, der so genannten Multipotenz, eine
neue, gut zugängliche Quelle für adulte Stammzellen darstellen. Weitere
Studien sollen unter anderem die Möglichkeit untersuchen, diese von
Hause aus sehr potenten Zellen zu reprogrammieren, um sie noch einen
Schritt plastischer – ähnlich den embryonalen Stammzellen – und damit
auch universeller für medizinische Zwecke einsetzbar zu machen.
Bei
Stammzellen handelt es sich um undifferenzierte Vorläuferzellen, welche
neben der Fähigkeit zur Selbsterneuerung in der Lage sind, mindestens
einen spezialisierten Zelltyp zu bilden. In den letzten Jahren
identifizierte und charakterisierte man in adulten Geweben eine Reihe
verschiedener Stammzellpopulationen. So findet man adulte Stammzellen
neben dem Knochenmark im Nervengewebe, in Skelettmuskeln, dem Darm, der
Bauchspeicheldrüse, der Leber und in der Epidermis. Das regenerative
Potential adulter Stammzellen weckte ein reges, nicht nur auf die
Grundlagenforschung beschränktes Interesse, da adulte Stammzellen bei
einem Therapieansatz „autologe“ (vom eigenen Körper stammende) und
ethisch unbedenkliche Ressourcen darstellen, die nicht wie embryonale
Stammzellen aus Föten gewonnen werden müssen.