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Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz: Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis fordern umfassende Strategie
Bundesgesundheitsminister Gröhe: „Mit diesem Leitfaden können wir viel bewegen“
Jeder
und jede Zweite in Deutschland hat eine eingeschränkte
Gesundheitskompetenz: Es fällt diesen Menschen schwer,
gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen und angemessen damit
umzugehen. Dagegen will ein Expertenteam aus Wissenschaft und Praxis um
Doris Schaeffer und Ullrich Bauer von der Universität Bielefeld, Klaus
Hurrelmann von der Hertie School of Governance sowie Kai Kolpatzik vom
AOK-Bundesverband mit einem „Nationalen Aktionsplan
Gesundheitskompetenz“ vorgehen. Der Plan umfasst 15 konkrete
Empfehlungen, die alle gesellschaftlichen Akteure einbinden und darauf
abzielen, sowohl das Gesundheitssystem nutzerfreundlicher zu gestalten
also auch die Gesundheitskompetenz des Einzelnen zu fördern. Der
„Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ geht auf eine Initiative
der beteiligten Wissenschaftler zurück und steht unter der
Schirmherrschaft des Bundesgesundheitsministers. Die Robert Bosch
Stiftung und der AOK-Bundesverband haben die Arbeit gefördert.
Bundesgesundheitsminister
Hermann Gröhe sagte bei der Entgegennahme des Plans heute in Berlin
(19. Februar): „Mit dem Nationalen Aktionsplan gibt es nun einen
wissenschaftlichen Leitfaden, der zeigt, wie die Gesundheitskompetenz in
unserem Land bei der Bildung, Ernährung und Arbeit, aber auch durch
einen verständlicheren Austausch zwischen Arzt und Patient gestärkt
werden kann. Diesem Ziel hat sich auch die ‚Allianz für
Gesundheitskompetenz’ verschrieben, die wir im letzten Jahr gegründet
haben. Mit dem ‚Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz’ und der
Allianz können wir gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften,
Krankenhäusern, Krankenkassen, Apotheken, den Selbsthilfe- und
Verbraucherorganisationen, aber auch den Behörden von Bund und Ländern
viel bewegen!“
Eine steigende Lebenserwartung, die Zunahme
chronischer Erkrankungen, ein sehr komplexes Gesundheitssystem und die
digitale Informationsflut lassen die Anforderungen an die
Gesundheitskompetenz der Menschen immer weiter ansteigen, so die
Autorinnen und Autoren des Aktionsplans. „Besonderen Handlungsbedarf
gibt es bei Menschen mit geringerem Bildungsniveau, Älteren, chronisch
Kranken und Menschen mit Migrationshintergrund“, sagt
Gesundheitswissenschaftlerin Doris Schaeffer. Für den Staat biete ein
konsequent umgesetztes Förderkonzept zudem erhebliches
Einsparungspotenzial: Auf bis zu 15 Milliarden Euro im Jahr beziffern
die Experten die Mehrausgaben, die durch unzureichende
Gesundheitskompetenz in Deutschland entstehen.
Die Förderung der
Gesundheitskompetenz muss nach Vorstellung der Expertinnen und Experten
so früh wie möglich im Lebenslauf beginnen. „Systematische Angebote
sollte es bereits in Kita und Schule, aber auch am Arbeitsplatz bzw. im
beruflichen Kontext sowie im Wohnumfeld und den Kommunen geben“, betont
der Soziologe Klaus Hurrelmann. Konkrete Umsetzungsbeispiele dafür
finden sich zum Beispiel in Australien, Großbritannien und den USA, die
entsprechende gesamtgesellschaftliche Strategien bereits seit Jahren
umsetzen. Deren Beispiel folgend sollten auch in Deutschland nicht
zuletzt Medien und Konsumgüterhersteller
als Akteure in die Pflicht genommen werden, letztere zum Beispiel durch klare Kennzeichnungspflichten wie die Lebensmittelampel.
Zwar
stehen heute so viele Informationen zu Gesundheitsthemen wie noch nie
zur Verfügung, doch scheint dies die Orientierung für viele Nutzer eher
zu erschweren. Das belegt auch eine den Aktionsplan begleitende Umfrage
von YouGov im Auftrag des AOK-Bundesverbandes. Danach sieht sich nur
etwa jede dritte Person dazu in der Lage, im Internet seriöse von
unseriösen Gesundheitsinformationen zu unterscheiden. Zwar gibt es
bereits drei Qualitätssiegel für medizinische Internetseiten, aber 84
Prozent der Befragten kennen diese laut Umfrage gar nicht. „Was wir
brauchen, sind evidenzbasierte, transparente und laienverständliche
Gesundheitsinformationen, aber auch Akteure im Gesundheitswesen, die das
vermitteln können“, so der AOK-Präventionsexperte Kai Kolpatzik.
Laut
dem Aktionsplan soll Gesundheitskompetenz als Standard auf allen Ebenen
des Gesundheitssystems verankert werden. Konkrete Empfehlungen
betreffen mehr Transparenz und den Abbau komplexer administrativer
Prozesse im Gesundheitssystem sowie die gezielte Unterstützung von
Ärzten und Pflegepersonal dabei, mit Patienten verständlich zu
kommunizieren. Das gesamte System müsse einen Paradigmenwechsel
vollziehen und sich im Vorsorge-, Behandlungs- und Versorgungsprozess
auf den Patienten ausrichten, so die Experten. Weitere Aktionsfelder
betreffen chronisch kranke Menschen, die lebenslang kompetent mit ihrer
Krankheit umgehen müssen, sowie den systematischen Ausbau der Forschung
zum Thema Gesundheitskompetenz, ohne die ein Fortschritt auf diesem
Gebiet nicht denkbar ist.
Der Plan wird heute (19. Februar) im Rahmen
eines Fachsymposiums (Programm) in der Berliner Repräsentanz der Robert
Bosch Stiftung von Vertretern aus Politik, Gesundheitswesen und
Wissenschaft erörtert. Es moderieren Eckart von Hirschhausen und Ilona
Kickbusch.
Weitere Informationen:
Der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz:
www.nap-gesundheitskompetenz.de
Professorin Dr. Doris Schaeffer zum Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz im Video:
www.youtube.com/watch?v=jvZrS4JUXKg
Health Literacy in Deutschland: Ergebnisbericht aus 2016
www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag6/projekte/health_literacy_Deutschland.html