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Mit zweierlei Maß gemessen – Geringere Bezahlung von Frauen wird nicht als ungerecht wahrgenommen
Gerechtigkeitsforscher untersuchen Einkommensverhältnisse
Frauen
verdienen am deutschen Arbeitsmarkt rund 20 Prozent weniger als
vergleichbar ausgebildete Männer. Die Ursachen dafür sind vielschichtig,
so arbeiten Frauen und Männer häufig in anderen Branchen oder verfügen
über weniger Berufserfahrung. Wissenschaftler der Universität Bielefeld
(Professor Dr. Stefan Liebig, Carsten Sauer), der Universität Konstanz
(Professor Dr. Thomas Hinz, Katrin Auspurg) und des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung - DIW Berlin (Professor Dr. Jürgen Schupp)
zeigen nun in einer Studie, dass eine unterschiedliche Entlohnung von
Männern und Frauen in der Bevölkerung zwar grundsätzlich abgelehnt wird,
wenn jedoch nach den konkreten Vorstellungen gefragt wird, wie hoch ein
gerechtes Arbeitseinkommen im konkreten Einzelfall sein sollte, so wird
einer Frau ein deutlich geringerer Lohn zugebilligt als einem gleich
qualifizierten Mann. Entscheidend ist dabei, dass nicht nur Männer
dieser Ansicht sind, sondern Frauen haben selbst geringere Ansprüche an
die Höhe ihres Erwerbseinkommens und sie gestehen auch ihren
Geschlechtsgenossinnen ein deutlich geringes Einkommen zu als
vergleichbaren Männern.
Diese Ergebnisse stützen sich auf
insgesamt drei repräsentative Bevölkerungsumfragen, die in den Jahren
2008 und 2009 deutschlandweit durchgeführt wurden. In einer Befragung
des DIW Berlin (Sozio-oekonomisches Panel) wurden rund 10 000
Erwerbstätige zunächst danach gefragt, ob sie ihr eigenes
Erwerbseinkommen als gerecht oder als ungerecht ansehen. Wurde das
eigene Einkommen als ungerecht eingeschätzt, sollten die Befragten den
konkreten Einkommensbetrag nennen, der für sie selbst ein gerechtes
Bruttoeinkommen darstellt. Die Ergebnisse zeigen, dass das als gerecht
eingeschätzte eigene Bruttoeinkommen für Frauen nicht nur unterhalb des
tatsächlichen Einkommens der Männer, sondern auch unterhalb des von den
Männern für sich selbst als gerecht angesehenen Bruttoeinkommens liegt.
Frauen gestehen sich selbst also ein geringeres Bruttoeinkommen zu als
Männer.
In den beiden anderen Umfragen der Bielefelder und
Konstanzer Wissenschaftler – die eine in Kooperation mit dem DIW Berlin,
die andere als Eigenerhebung gefördert durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) – wurden im Jahr 2008 insgesamt 1066
zufällig ausgewählte Personen und im Jahr 2009 rund 1600 zufällig
ausgewählte Personen danach befragt, was aus ihrer Sicht ein gerechtes
Einkommen für unterschiedliche Gruppen von Berufstätigen in Deutschland
ist. Zunächst sollte pauschal die Wichtigkeit unterschiedlicher
Kriterien für die Festsetzung von Löhnen und Gehältern bewertet werden:
Neben der Bedeutung der Arbeitsleistung, des Berufs, des
Ausbildungsniveaus und der wirtschaftlichen Situation des Unternehmen
wurde auch nach der Wichtigkeit des Geschlechts gefragt. Die Ergebnisse
zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Meinung ist, das Geschlecht
sollte keine oder nur eine geringe Rolle bei der Festsetzung des
Einkommens spielen. Daran anschließend wurden den Befragten zwischen 10
und 30 Beschreibungen von Erwerbstätigen vorgelegt, die sich nach
mehreren Merkmalen unterschieden, zum Beispiel ihrem Beruf, ihrem
Familienstand, ihrem Alter, ihrem Geschlecht und ihrem Einkommen. Für
jeden dieser Fälle sollte dann einzeln bewertet werden, ob das
angegebene Einkommen gerecht oder ungerecht ist. Die Ergebnisse zeigen
nun, dass das Geschlecht bei der Bewertung dieser konkreten Einzelfälle
sehr wohl eine Bedeutung hat. Den Frauen wurde ein deutlich geringeres
gerechtes Bruttoeinkommen zugestanden als Männern, selbst dann, wenn sie
mit ansonsten gleichen Merkmalen wie Ausbildung, Beruf, Arbeitsleistung
beschrieben wurden. So wurde einem 55-jährigen Arzt, der
überdurchschnittliche Leistungen am Arbeitsplatz erbringt,
Alleinverdiener ist und vier Kinder zu versorgen hat, ein
Bruttoeinkommen von 7750 Euro zugestanden, einer Ärztin mit den gleichen
Eigenschaften und Lebensumständen dagegen nur 7300 Euro.
Während
also eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei der direkten
Nachfrage abgelehnt wird, wird sie bei der Bewertung konkreter und
alltagsnaher Fallbeispiele sichtbar. Die direkte Abfrage gibt deshalb
nur die vordergründige Ansicht wieder, in der Bewertung der
Fallbeispiele kommen offenbar fest verankerte Einstellungen zum Tragen.
Insgesamt werden Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern somit in
weiten Teilen der Bevölkerung als gerecht angesehen.
Professor
Dr. Stefan Liebig resümiert: „In einer "gerechten" Welt, in der jeder
das Einkommen erhalten würde, was er für sich als gerechtes ansieht,
gäbe es demnach ebenfalls Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen,
sie wären nur etwas geringer als sie aktuell existieren.“
Zu den
Ursachen für die unterschiedlichen Einkommen von Männern und Frauen
tragen möglicherweise in der Bevölkerung verankerte Vorstellungen
darüber bei, dass es vornehmliche Aufgabe des Mannes ist, seine Familie
zu versorgen und der Platz der Frauen zunächst im Haushalt ist. Außerdem
bilden sich Vorstellungen über gerechte Einkommen vor allem über
Vergleiche mit anderen. Dabei besteht die grundsätzliche Tendenz, sich
mit Personen zu vergleichen, die ähnliche Merkmale aufweisen wie man
selbst. Dementsprechend vergleichen sich Frauen zunächst mit anderen
Frauen. Wenn Frauen häufig in „Frauenberufen" tätig sind, das Lohnniveau
in diesen Berufen aber niedriger ist als in „Männerberufen“, so
vergleichen sie sich immer mit denjenigen, die weniger verdienen als
Männer.
Frauen, die in Haushalten leben, in denen beide Partner
erwerbstätig sind, haben jedoch deutlich höhere Ansprüche an ihr
Einkommen als alleine lebende Frauen oder alleinverdienende Frauen. Ein
Grund für diesen Unterschied besteht in den Vergleichsmöglichkeiten, die
sich Frauen in Zweiverdienerhaushalten eröffnen. Sie können sich mit
ihren – in der Regel besser bezahlten – Männern direkt vergleichen. Dies
gilt insbesondere, wenn beide im gleichen Beruf tätig sind oder über
eine ähnliche Ausbildung verfügen. Frauen können unter diesen
Bedingungen Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern unmittelbar
wahrnehmen. Deshalb haben Frauen in Zweiverdienerhaushalten ein deutlich
höheres Ungerechtigkeitsempfinden im Bezug auf ihr eigenes Einkommen
als Frauen, die alleine leben.
Diese Befunde erklären auch,
warum trotz gesetzlich verankerten Diskriminierungsverbots weiterhin
Unterschiede im Einkommen zwischen Männern und Frauen existieren. Es
sind demnach nicht nur die Männer, die der Meinung sind, Frauen müssten
am Arbeitsplatz weniger verdienen, auch die Frauen selbst haben deutlich
niedrigere Erwartungen an ihr Einkommen und formulieren deshalb – etwa
bei Gehaltsverhandlungen – geringere Ansprüche.
Die
Ergebnisse werden am Mittwoch, 7. Juli im Wochenbericht des DIW, Jg. 77,
Heft 27-28, S. 11-16 veröffentlicht (www.diw.de)
Kontakt:
Professor
Dr. Stefan Liebig, Universität Bielefeld
Fakultät für
Soziologie
Telefon: 0521 / 106-4616
E-Mail:
stefan.liebig@uni-bielefeld.de
Professor Dr. Thomas Hinz,
Universität Konstanz
Fachbereich Geschichte und Soziologie
Telefon:
07531 / 88-3300
E-Mail: thomas.hinz@uni-konstanz.de
Prof. Dr.
Jürgen Schupp, DIW Berlin
Sozio-oekonomisches Panel (SOEP)
Telefon:
030 / 89789-238
E-Mail: jschupp@diw.de