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Glasmurmeln am Horizont
Neuartiges Verhalten von natürlichen Feinstaubpartikeln entdeckt
Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Finnland, den USA und Deutschland hat – unter maßgeblicher Beteiligung des Bielefelder Chemikers Professor Dr. Thomas Koop – ein neuartiges Verhalten von natürlichem Feinstaub entdeckt. In dem in der Fachzeitschrift Nature erschienenen Artikel beschreiben die Forscher Experimente, die zeigen, dass von Wäldern produzierte Feinstaubpartikel ganz im Gegensatz zur bisherigen Lehrmeinung nicht flüssig, sondern fest sind. Dies erfordert nun ein Umdenken sowie eine Neubewertung ihres Einflusses auf atmosphärische Prozesse und das Erdklima.
Aerosole – Feinstaubpartikel in Luft – sind nicht nur für die menschliche Gesundheit von Interesse, sondern auch für atmosphärische Prozesse wie die Bildung von Wolken oder den chemischen Abbau von umweltgefährdenden Stoffen. Natürliche Wälder sind eine Hauptquelle für Feinstaub: sie setzen gasförmige Verbindungen wie beispielsweise Terpene frei, die dann durch chemische Reaktionen sogenannte sekundäre organische Aerosole (SOA) bilden. Bis jetzt ging man davon aus, dass solche biogenen SOA Partikel kleine flüssige Tröpfchen seien (jeweils etwa ein Zehntausendstel Millimeter groß). Die neuen Untersuchungen zeigen nun aber, dass die Partikel bereits kurz nach ihrer Bildung aus amorphen Festkörpern bestehen: sie verhalten sich ganz ähnlich wie kleinste Glasmurmeln. Dies verändert unser grundlegende Verständnis von SOA-Partikeln in Bezug auf ihre Bildung, ihre Wechselwirkung mit Wasser und reaktiven Spurenstoffen, um damit auch, wie natürlicher Feinstaub die Atmosphäre und das Klima beeinflusst.
„Vor etwa zwei Jahren
haben wir basierend auf theoretischen Überlegungen und laborgestützten
Messungen den Vorschlag gemacht, dass solche glasartigen
Feinstaubpartikel auch in der Atmosphäre existieren sollten“, sagt Prof.
Dr. Thomas Koop, einer der beiden Korrespondenzautoren der Studie. „Als
mir meine finnischen Kollegen dann auf einer Tagung im letzten Jahr von
ihren Daten berichteten, war uns schnell klar, dass es sich hier um
solche Partikel handeln musste.“
Was ist aber das besondere an
diesen Partikeln? Sie sind nicht flüssig sondern fest, genauer gesagt
glasartig. Dies bedeutet, dass sie aus extrem zähen Flüssigkeiten
bestehen, die bei etwas trockenerer Luft quasi erstarren, ähnlich wie
bei einem trocknenden Sekundenkleber. Dies bedeutet aber auch, dass die
Inhaltsstoffe in diesen Partikeln vor chemischen Abbauprozessen
geschützt sind, so dass sie länger in der Atmosphäre überleben.
Gleichzeitig können diese glasartigen Partikel nur bedingt Wasser und
andere Spurenstoffe aufnehmen, wodurch sie darin behindert werden, an
Wolkenbildungsprozessen aktiv teilzunehmen und damit weniger schnell
abregnen. In früheren Experimenten zu den Eigenschaften von SOA gab es
des Öfteren Diskrepanzen, welche durch den festen Zustand der Partikel
nun möglicherweise erklärt werden können. „SOA-Partikel bestehen aus
Mischungen einer Vielzahl verschiedener chemischer Substanzen, deren
Eigenschaften wir nur unzureichend kennen. Wir stehen mit unseren
Untersuchungen erst am Anfang und erst zukünftige Studien werden zeigen,
wie stark der tatsächliche Einfluss von SOA-Partikeln auf die
Atmosphäre von unseren bisherigen Vorstellungen abweicht“, so Koop.
Originalveröffentlichung:
A. Virtanen, J. Joutsensaari, T. Koop, J. Kannosto, P.
Yli-Pirilä, J. Leskinen, J.M. Mäkelä, J.K. Holopainen, U. Pöschl, M.
Kulmala, D.R. Worsnop, A. Laaksonen; An amorphous solid state of
biogenic secondary organic aerosol particles, Nature (14.Oktober 2010),
http://dx.doi.org/10.1038/nature09455