uni.aktuell-Archiv
Geruch führt Seebärenmutter zum Nachwuchs
Wissenschaftler der Universität Bielefeld und des British Antarctic
Survey untersuchen in Langzeitstudie das chemische Geruchsprofil
Seebärenmütter
haben zwei Möglichkeiten, ihren Nachwuchs wiederzuerkennen: an den
Rufen und am Geruch. Forschende der Universität Bielefeld und des
British Antarctic Survey (BAS) in Cambridge haben herausgefunden, dass
Geruchsmerkmale genetisch vererbt werden und so das Wiederfinden
erleichtern – vor allem, wenn tausende Seebärenbabys nach ihrer Mutter
rufen. Das Forschungsmagazin PNAS (Proceedings of the National Academy
of Sciences) hat die Studie der Verhaltensbiologen aus Bielefeld und
Cambridge in dieser Woche veröffentlicht.
Duft und Geruchssinn sind die Basis der Kommunikation im Tierreich. Das
gilt bei der sozialen Interaktion ebenso wie für Territorialverhalten,
Verwandtschaft und Partnerwahl. Um herauszufinden, wie die
Geruchskommunikation funktioniert, haben Verhaltensbiologinnen und
-biologen der Universität Bielefeld und des British Antarctic Survey
Geruchsproben von Seebärenmüttern und ihren neugeborenen Jungtieren von
zwei Kolonien auf Bird Island im Südatlantischen Ozean genommen und
chemisch sowie genetisch analysiert. Dabei untersuchten sie, welche
genetischen Merkmale im Geruch eine Rolle spielen und an welchen Stoffen
auf Fell und Haut Mütter ihren Nachwuchs erkennen können. Aus den
Proben erstellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen
chemischen Fingerabdruck der Tiere.
„Für ein Meerestier, das 80
Prozent seiner Zeit im Meer verbringt, sind unsere Ergebnisse
überraschend. Sie zeigen, dass der chemische Fingerabdruck der Seebären
facettenreiche Informationen beinhaltet. Wir haben herausgefunden, dass
Kolonie, Heterozygotie, also genetische Variation und Qualität, und die
Verwandtschaft chemisch codiert sind“, sagt Martin Stoffel, Erstautor
des Artikels. Das bedeutet, dass Seebärenjunge im Geruch ihrer Mutter
ähneln, die chemischen Stoffe auf der Haut sind die gleichen. Zudem
haben Seebären mit einer höheren genetischen Variabilität ein
komplexeres Duftprofil, also mehr verschiedene Gerüche auf der Haut.
„Das könnte wichtig für die Partnerwahl sein“, sagt Martin Stoffel,
„denn je vielfältiger die Gene, desto größer ist der genetische
Werkzeugkasten.“ Für den Erhalt einer Art ist die genetische Vielfalt
wichtig.
„Seebärenmütter“, sagt der Bielefelder Wissenschaftler
Martin Stoffel, „haben eine erstaunliche Fähigkeit: Sie können ihren
Nachwuchs in einer dichtbesiedelten Kolonie wiederfinden.“ Dabei helfen
ihnen ihr guter Orientierungssinn, aber vor allem auch Gehör und Geruch.
Bis jetzt sind Forschende davon ausgegangen, dass Seebärenmütter ihren
Nachwuchs vor allem durch die Stimme erkennen. Die neue Studie zeigt
jedoch, wie wichtig der Duft beim Wiederfinden ist. „Der Geruch sorgt
für die Bindung, signalisiert aber auch Gruppenzugehörigkeit für
genetisch ähnliche Tiere – selbst, wenn sie an anderen Stränden
aufgezogen wurden“, sagt Dr. Jaume Forcada vom British Antarctic Survey
(BAS), Co-Autor des Artikels. Antarktische Seebären (lateinisch
Arctocephalus gazella) gebären ein einzelnes Junges und kümmern sich
rund vier Monate um den Nachwuchs. Während die Mütter stillen, sind sie
fünf bis zehn Tage unterwegs, um Essen zu suchen und Milch zu
produzieren. Kommen sie zurück zum Strand, müssen sie in der Lage sein,
ihr Junges wiederzufinden. „Unsere Studie zeigt, wie wichtig der
individuelle Geruch für diesen Prozess ist.“
Außerdem haben die
Wissenschaftler festgestellt, dass Verwandte in ihrem Geruch einander
ähneln. „Dass Geruch Verwandtschaft signalisiert, wurde schon lange
vermutet, konnte bis jetzt aber noch nie chemisch im Freiland
nachgewiesen werden“, sagt Dr. Barbara Caspers von der Universität
Bielefeld. Bei ihrer Forschung hat sie sich auf die Geruchskommunikation
spezialisiert und untersucht, wie Verwandtschaft riecht. Aktuell
erforscht sie den Geruchssinn von Zebrafinken. „Der Geruchssinn ist
entwicklungsgeschichtlich der älteste Sinn. Die Vermutung liegt nahe,
dass die Mechanismen ähnlich sind, egal ob Seebär, Zebrafink oder
vielleicht Mensch.“
Jedoch dienen nicht alle Geruchsstoffe, die die
Wissenschaftler auf der Haut der Seebären gefunden haben, der
Kommunikation. „Der Geruchssinn ist mehrdimensional. Die Profile sind
sehr kompliziert, nur ein kleiner Teil der chemischen Duftstoffe
signalisiert die Verwandtschaft“, erläutert Co-Autor Dr. Joe Hoffman von
der Universität Bielefeld. Dass verwandte Seebären einander am Geruch
erkennen, könne helfen, Inzucht zu vermeiden und damit genetische
Vielfalt zu erhalten. Allerdings gibt es neben den genetischen viele
andere Faktoren, die den Geruch eines Tieres bestimmen: Hormone,
Umgebung, körperliche Verfassung oder Umwelteinflüsse zum Beispiel. Die
Studie ist Teil eines Langzeitforschungsprojekts über das Verhalten der
Seebären. Forschende beobachten, wie sich Fischerei und Klimawandel auf
die Population auswirken und wie sich die Kolonie entwickelt.
Originalveröffentlichung:
Martin
A. Stoffel, Barbara A. Caspers, Jaume Forcada, Athena Giannakara,
Markus Baier, Luke Eberhart-Phillips, Caroline Müller, Joseph I.
Hoffman: Chemical fingerprints encode mother-offspring similarity,
colony membership, relatedness and genetic quality in fur seals.
Proceedings of the National Academy of Sciences, USA.