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uni.aktuell-Archiv
Veröffentlicht am
8. Juli 2015
Kategorie:
Forschung & Wissenschaft
Einblicke in das System der Zettel
Geheimnis um Niklas Luhmanns Zettelkasten ist Thema im „research_tv“
In
Niklas Luhmanns Zettelkasten steht ein Gedanke neben dem anderen, dicht
gedrängt stecken die Notizzettel in den Schubladen. Über 90.000 Zettel
hat der Soziologe in knapp fünf Jahrzehnten beschrieben – zusätzlich zu
seinem umfangreichen veröffentlichten Werk. Das Team um Johannes Schmidt
von der Universität Bielefeld sichtet gerade den Nachlass des
Soziologen Luhmann, um ihn später zu editieren. In der aktuellen Folge
„research_tv“ der Universität Bielefeld erklären Professor Dr. André
Kieserling, Johannes Schmidt und Martin Löning, wie sie sich der so
genannten „intellektuellen Autobiographie“ Luhmanns annähern.
Der Zettelkasten ist das Geheimnis von Niklas Luhmanns immenser Produktivität. Foto: Universität Bielefeld
Luhmanns legendärer Zettelkasten gilt als Zentrum seiner Theoriearbeit. Experte für den Zettelkasten ist Johannes Schmidt von der Fakultät für Soziologie. Er koordiniert das Projekt und versucht, die Struktur des Kastens, das Ordnungssystem und die thematischen Verweise nachzuvollziehen. „Das System funktioniert sehr gut, aber es ist sehr aufwendig“, sagt er. Einzelne Verweise führen in zehn oder 15 verschiedene thematische Bereiche des Kastens. Luhmann wusste, welche Abteilung in welchem der unbeschrifteten Kästen steckte. Dieses Wissen mussten sich Johannes Schmidt und sein Team erst erarbeiten. Die bislang erstellte Inhaltsübersicht umfasst bereits mehr als 100 Seiten. „Man kann sich fast nicht vorstellen, wie Luhmann das selbst gemacht hat, aber man sieht an den Zetteln, dass er es gemacht hat – sie tragen deutliche Gebrauchsspuren“, sagt Schmidt und zeigt die zerknickten und abgegriffenen Zettel.
Luhmann habe alles zu Zetteln verarbeitet, was er in die Finger bekam, schildert Martin Löning vom Archiv der Universität Bielefeld: Rechnungen, Steuerunterlagen, Zeichnungen der Kinder. „Aber der Fokus liegt natürlich auf der Vorderseite.“ Jede einzelne davon wird im Archiv mit speziellen Scannern digitalisiert. Allein das Einscannen, schätzt Schmidt, werde etwa ein Jahr dauern. Er geht davon aus, dass Interessierte in etwa zwei Jahren eine vereinfachte Version der Datenbank online nutzen und dann in den digitalisierten Notizzetteln blättern können.
Das Besondere des Zettelkasten war, dass er Luhmann mit seinen Antworten auf die Forschungsfragen, die er ihm stellte, selbst überraschte. „Serendipity - Vom Glück des Findens“ ist eine Ausstellung übertitelt, in der die Kunsthalle Bielefeld ab Freitag, 10. Juli, den originalen Zettelkasten Niklas Luhmanns präsentiert. „Serendipity“ bezeichnet das zufällige Finden von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue, überraschende und fruchtbare Entdeckung erweist. Unter diesem Thema sind neben Luhmanns Zettelkasten das zeichnerische Werk Ulrich Rückriems seit der Zeit um 2005 und circa vierzig Arbeiten des Fotografen Jörg Sasse zu sehen. Die Ausstellung ist bis zum 11. Oktober zu sehen. Für den Monat September übernimmt der Mäzen Jürgen Stockmeier die Eintrittskosten.
Weitere Informationen im Internet:
- research_tv-Beitrag über das Forschungsprojekt, das die Aufzeichnungen des Soziologen erschließt („Luhmanns Zettelkasten – Forschungsprojekt zu Niklas Luhmanns Nachlass beginnt“): https://youtu.be/4veq2i3teVk
- Homepage des Luhmann-Archivs an der Fakultät für Soziologie: www.uni-bielefeld.de/soz/luhmann-archiv/
- Die Kunsthalle Bielefeld stellt den Zettelkasten im Rahmen der Ausstellung „Serendipity – Vom Glück des Findens“ bis zum 11. Oktober 2015 aus: www.kunsthalle-bielefeld.de