Veröffentlicht am
24. Februar 2012
Forscher der Universität Bielefeld und der University of Tennessee
at Chattanooga veröffentlichen Ergebnisse einer Online-Befragung
„Ich
bin eher spirituell als religiös“ – diesen Satz bejaht die Hälfte der
Befragten. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie einer Kirche angehören
oder nicht. Das ist ein Ergebnis einer interkulturellen Studie der
Universität Bielefeld und der University of Tennessee in Chattanooga,
USA. Das Forschungsprojekt soll klären, was Menschen unter den Begriffen
Spiritualität und Religiosität verstehen, wie dies mit ihrer
Persönlichkeit und Biographie zusammenhängt und was dies für ihr Leben
bedeutet. Das Projekt läuft noch bis Ende 2012. Teil des Projekts ist
eine Online-Befragung, an der insgesamt 1.886 Personen in Deutschland
und den USA teilgenommen haben und deren erste Auswertungen jetzt
vorliegen. Die Forscher kommen zu einem überraschenden Ergebnis:
Erstaunlich viele Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören,
auch viele, die sich selbst als Atheisten verstehen, bezeichnen sich als
spirituell.

Die
Diplompsychologin Dr. Barbara Keller erforscht, was Menschen unter den
Begriffen Spiritualität und Religion verstehen. Foto: privat
Die
Online-Befragung dauerte von April 2010 bis Mai 2011. Aus Deutschland
nahmen 773 Personen teil, aus den USA 1.113 Personen. Die deutschen
Teilnehmenden waren durchschnittlich 43 Jahre alt, die amerikanischen 34
Jahre. Auffällig ist den Forschern zufolge, dass der Begriff
„Spiritualität“ auch von Personen für sich in Anspruch genommen wird,
die noch nie einer Religionsgemeinschaft angehört haben oder aus Kirchen
und Religionsgemeinschaften ausgetreten sind, darunter eine
erstaunliche Minderheit, die sich ausdrücklich als Atheisten,
Nontheisten, Agnostiker bezeichnen. Unter den Teilnehmern der Studie,
die keine Religionszugehörigkeit angeben, versteht sich jeder zweite
„eher spirituell als religiös“. Bemerkenswert ist laut dem Forscherteam,
dass „Spiritualität“ auch für eine Mehrheit derjenigen, die einer
Religionsgemeinschaft angehören, hohe Attraktivität besitzt.
„Spiritualität“ erscheint damit generell als ein Konzept, mit dem sich
viele Menschen besser identifizieren können als mit „Religion“ oder
„Religiosität“. Einen Grund sehen die Bielefelder Wissenschaftler in der
Mehrdeutigkeit des Begriffs: Manche Menschen nutzen ihn, um sich von
organisierter Religion abzugrenzen und darauf hinzuweisen, dass sie
nicht institutionell gebunden sind, teils auch den Glauben an Gott
ablehnen, aber dennoch wissen, was ihnen heilig ist. Für andere ist der
Begriff „Spiritualität“ durchaus mit ihrer Konfessionszugehörigkeit und
ihrem Glauben an Gott verbunden. Auch in Kirchen und
Religionsgemeinschaften hat die Selbstbezeichnung „ich bin mehr
spirituell als religiös“ Konjunktur.

Der
Theologe und Religionspsychologe Professor Dr. Heinz Streib leitet das
Forschungsprojekt „Spiritualität in Deutschland und den USA“. Foto:
Universität Bielefeld
Mit biographischen Einzelinterviews wollen die Wissenschaftler jetzt den
Zusammenhang von erlebter Spiritualität und eigener Biografie
beleuchten. „Spiritualität“ – was immer jemand darunter versteht –
entwickelt sich individuell, beeinflusst von prägenden Erfahrungen,
besonderen Lebensereignissen oder bedeutenden Begegnungen“, sagt die
Diplom-Psychologin Dr. Barbara Keller, wissenschaftliche Mitarbeiterin
des Projekts zu Spiritualität, das von der Universität Bielefeld aus
koordiniert wird. Leiter des kulturvergleichenden Forschungsprojekts ist
Professor Dr. Heinz Streib von der Forschungsstelle Biographische
Religionsforschung der Universität Bielefeld. Das Projekt
„Spiritualität in Deutschland und den USA“ wird von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft gefördert. In einem vorherigen Projekt – der
Bielefelder kulturvergleichenden Dekonversionsstudie – hatten die
Wissenschaftler erforscht, warum Menschen ihrer Religionsgemeinschaft
den Rücken gekehrt haben und welche Folgen dies für sie hatte.
Weitere Informationen im Internet:www.uni-bielefeld.de/studie-spiritualitaet