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uni.aktuell-Archiv
Veröffentlicht am
2. April 2014
Kategorie:
Forschung & Wissenschaft
Die millisekundengenaue Planung des Gehirns
Bielefelder Forscher zeigen, wie Menschen das Greifen steuern
Was
passiert im Gehirn, wenn Menschen nach Objekten greifen? Das war
bislang kaum erforscht. Bewegungsneurowissenschaftler der Universität
Bielefeld haben jetzt nachgewiesen, wie lange das Gehirn braucht, um
eine Präzisionsbewegung zu planen. Die Antwort: Das Gehirn benötigt kaum
mehr als eine halbe Sekunde von der Planung der Bewegung bis zu ihrem
Abschluss. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre
Studie am Dienstag (1.4.2014) im Fachmagazin PLOS ONE
veröffentlicht.
Ab
wann berechnet das Gehirn, wie sich Hand und Arm bewegen müssen, um
Kaffeetassen und andere Objekte, präzise zu positionieren? Das haben
Bielefelder Forscher untersucht. Foto: CITEC/Universität Bielefeld
20 Personen nahmen an der Studie teil. Sie hatten die Aufgabe, einen Stab zu umfassen, der auf einer drehbaren Scheibe montiert ist, und sollten eines seiner Enden zu einem von acht Zielpunkten am Rand drehen. „Das ist eine offene Greifbewegung, wie wir sie zum Beispiel machen, wenn wir einen Kaffeebecher in die Auto-Becherhalterung stellen“, erklärt Koester. Am Ende einer solchen Bewegung stehe eine Präzisionsanforderung. „Wir umfassen einen Becher, wir bewegen den Arm zur Becherhalterung und dann müssen wir den Becher präzise positionieren, um ihn schließlich loszulassen und in die Halterung gleiten zu lassen“, sagt Koester. Im Experiment war die Präzisionsbewegung das Einstellen des „Zeigers“ auf einen der Zielpunkte.
Das Forschungsteam wollte herausfinden, wann die Vorausplanung für die Präzisionsbewegung anfängt und wie lange sie dauert. „Unsere Messungen zeigen, dass die Vorausplanung 600 Millisekunden vor Bewegungsende anfängt – also etwas mehr als eine halbe Sekunde. Unser Gehirn beschäftigt sich dann noch weitere 200 Millisekunden mit der Greifbewegung, nachdem das Ziel erreicht ist. Diese Zeit braucht es, um zu kontrollieren, ob die Bewegung richtig ausgeführt wurde und ob sie noch korrigiert werden muss“, sagt Professor Dr. Thomas Schack, Leiter der Forschungsgruppe Neurokognition und Bewegung – Biomechanik.
Das neue Bielefelder Untersuchungsverfahren könnte laut Schack zum Beispiel für medizinische Untersuchungen von Parkinson-Patienten genutzt werden. „Auf diese Weise lässt sich zum Beispiel vergleichen, ob das jeweilige Gehirn ähnliche Planungszeiten wie ein gesundes Gehirn benötigt, um Objekte präzise zu bewegen“, sagt Schack. Ergebnisse der Studie kommen auch der Robotikforschung am Exzellenzcluster CITEC zugute. „Wenn man eine optimale Kommunikation zwischen Mensch und Roboter anstrebt, können solche Mechanismen des menschlichen Gehirns technisch nachgebildet werden.“
Mit seiner aktuellen Studie belegt das Forschungsteam, wie sehr Greifbewegungen das Arbeitsgedächtnis beanspruchen. Schon in einer vorangegangenen Untersuchung fanden die Wissenschaftler heraus, dass das Umplanen einer Greifbewegung sowohl das räumliche als auch das verbale Arbeitsgedächtnis beansprucht. „Das bedeutet, dass die Planung aktueller Handlungen entsprechende Ressourcen beansprucht und andere kognitive-motorische Vorgänge beeinflusst“, sagt Schack. Das kann lebensgefährliche Folgen haben. „Wer beim Autofahren nach dem Handy sucht oder nach dem Kaffeebecher greift, könnte in kritischen Verkehrssituationen dann Probleme haben, schnell genug zu reagieren und zum Beispiel auszuweichen.“
Originalveröffentlichung:
Jan Westerholz, Thomas Schack, Christoph Schütz, Dirk Koester: Habitual vs Non-Habitual Manual Actions: An ERP Study on Overt Movement Execution. PLOS ONE, http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0093116, erschienen am 1. April 2014.