uni.aktuell-Archiv
Der beste Sinnesweg, um eine Tanzfolge zu lernen
Universität Bielefeld kooperiert mit Palucca Hochschule für Tanz in Dresden
Wie lässt sich eine Tanzfolge am besten lernen? Um diese Frage ging es in einem Projekt, für das die Universität Bielefeld sich mit der Palucca Hochschule für Tanz Dresden zusammengetan hat. Wissenschaftler entwickelten das Projekt zusammen mit Tänzern und Tanzpädagogen. Sie erforschten gemeinsam, ob Tänzer eine Abfolge besser durch Sehen oder Hören lernen – beispielsweise wenn ein Tanzlehrer diese zunächst vormacht oder wenn er sie erst ausschließlich mündlich erklärt. Ein Forschungsartikel zu der Studie ist jetzt auf der Konferenz der Gesellschaft für Kognitionswissenschaft als „Best Paper“ ausgezeichnet worden.
„In Forschung und Tanzpraxis wird seit Langem davon ausgegangen, dass Bewegungsmuster am besten durch Beobachtung gelernt werden können. Wir wollten klären, ob das tatsächlich der Fall ist“, sagt Dr. Bettina Bläsing von der Universität Bielefeld. Sie gehört zu den Verfassern des Artikels und arbeitet in der Forschungsgruppe „Neurokognition und Bewegung – Biomechanik“ der Fakultät für Sportwissenschaften und Psychologie. Die Gruppe ist auch am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität beteiligt.
In der
Studie wurde scharf getrennt zwischen dem Beobachtungslernen anhand
einer vorgemachten Tanzfolge und dem Lernen durch eine mündliche
Anweisung. Für ein Experiment kamen 18 Tanzstudentinnen und -studenten
der Palucca Hochschule in Dresden ins Bewegungslabor des CITEC-Gebäudes.
Dort lernte jede Versuchsperson zwei Tanzfolgen – einmal zunächst durch
Anschauen und einmal durch Hören.
Zuerst wurde den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein Video gezeigt, in dem die Abfolge
(Phrase) vorgetanzt wird, ohne dass sie erläutert wird. Sie durften sich
das Video bis zu fünf Mal anschauen, durften proben und mussten dann
die Phrase vorführen. Ihre Vorführung wurde auf Video aufgezeichnet.
Danach hörten sie zweimal die mündliche Anweisung zur gleichen Phrase
und tanzten wieder vor, wie gut sie die Abfolge gelernt hatten. Auch das
wurde aufgezeichnet.
Im zweiten Teil des Experiments änderte
sich die Anordnung. Die Versuchspersonen lernten eine weitere, neue
Phrase. Diesmal erhielten sie aber zuerst die mündliche Anweisung, die
sie fünf Mal anhören durften, um sie nach kurzer Probe selbst
vorzuführen. Danach durften sie sich ein Video anschauen, in dem die
Phrase vorgemacht wird. Das Video wurde nur zwei Mal wiederholt, bevor
die Versuchspersonen die Tanzfolge erneut präsentierten.
Zehn Tage nach
dem Experiment in Bielefeld – die Tanzstudierenden waren längst wieder
in Dresden – wurden sie ohne Vorwarnung aufgefordert, die beiden Phrasen
vorzutanzen. „Wir wollten wissen, wie gut sie die Bewegungsmuster
dauerhaft behalten konnten“, erklärt Bläsing. Auch diese Vorführung
wurde per Video aufgezeichnet. In der Auswertung der Aufnahmen prüften
die Forscher, wie komplett die Tänzer die jeweilige Phrase getanzt
haben. Das Ergebnis: Wenn eine Tanzfolge vor allem über das Sehen
eingeprägt wurde, konnte sie auch nach längerer Zeit besser
wiedergegeben werden als wenn sie hauptsächlich über das Hören
vermittelt wurde. „Beobachtungslernen funktioniert also tatsächlich
besser als Lernen durch bloße Instruktion“, sagt Bettina Bläsing.
Anhand
der Aufnahmen untersuchten die Wissenschaftler darüber hinaus:
Beeinflusst die Art, wie die Tanzphrase vermittelt wird, wie „sauber“
diese getanzt wird? Dafür bewerteten zwei Tanzlehrer die Vorführungen
der Testpersonen und schauten, ob diese mit den Vorgaben
übereinstimmten. „Hier zeigte sich, dass die Studierenden vom visuellen
Modell besser gelernt haben“, sagt Bläsing.
Eine schriftliche
Befragung der Testpersonen belegte außerdem, dass ihnen eine visuell
gelernte Phrase besser gefällt und dass sie sich in der Ausführung
sicherer fühlen, wenn sie eine Abfolge vor allem durch Beobachtung
gelernt haben.
Für das Projekt kooperierten Dr. Bettina Bläsing
und ihre Mitarbeiter mit Jenny Coogan und José Biondi, beide Professoren
für Zeitgenössischen Tanz an der Palucca Hochschule für Tanz Dresden.
Gemeinsam entwickelten sie die Idee für das Forschungsprojekt,
konzipierten das Studiendesign und organisierten das Experiment, um
Daten zu erheben. Für ihre Studie mussten sie grundlegende Fragen – „Wie
definiert man Lernen?“ oder „Was ist Lernerfolg?“ – erst einmal
aushandeln, um eine Lösung zu finden, die für Tänzer akzeptabel und
zugleich wissenschaftlich messbar ist. Der Verein Tanzmedizin
Deutschland (tamed) dokumentierte den Forschungsprozess in einem Blog
mit Videos und Artikeln.
Seinen Ursprung hat das Projekt in der
Forschungsinitiative „Dance Engaging Science“. Diese Initiative ist
wiederum Teil des Projekts „Motion Bank“ des weltweit bekannten
Tanztheaters The Forsythe Company in Frankfurt am Main. „Motion Bank“
zielt darauf ab, die choreografische Praxis in einem breiten Kontext zu
erforschen. Im „Dance Engaging Science“-Netzwerk kamen Tänzer und
Forscher verschiedener Disziplinen zusammen, um interdisziplinäre
Forschung rund um Tanz zu initiieren. Daraus gingen mehrere
Pilotprojekte hervor. Eines ist das Forschungsprojekt zum
Bewegungslernen im Tanz.
In einem Tagungsartikel stellen Bettina
Bläsing und weitere Projektmitarbeiter die Methode und die Ergebnisse
ihrer Studie vor. In einem Wettbewerb um die beste
Forschungsveröffentlichung auf der Konferenz der Gesellschaft für
Kognitionswissenschaft (KogWis2014) setzten sich die Autoren Anfang
Oktober durch und wurden mit dem ersten Preis geehrt.
Originalveröffentlichung:
Bettina
Bläsing, Jenny Coogan, José Biondi, Liane Simmel, Thomas Schack: Motor
learning in dance using different modalities: visual vs. verbal models.
Cognitive Processing, http://dx.doi.org/10.1007/s10339-014-0632-2,
erschienen im September 2014
Weitere Informationen im Internet:
Dokumentations-Blog des Projekts: www.blog.tanzmedizin.com
Video zum Projekt: www.youtube.com/watch?v=2uyOL0gBJyE
Initiative “Dance Engaging Science”: motionbank.org/de/content/dance-engaging-science