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uni.aktuell-Archiv
Veröffentlicht am
19. Dezember 2016
Kategorie:
Forschung & Wissenschaft
Das Verstehen durch Greifbewegungen beschleunigen
Forschende des Exzellenzclusters CITEC entdecken Wahrnehmungskatalysator
Ein Wort zu hören oder zu sehen, heißt nicht, es sofort zu verstehen. Das Gehirn muss die Buchstaben als solche erkennen, zusammensetzen und im Gedächtnis „nachschlagen“, was das Wort bedeutet. Kognitionspsychologen des Exzellenzclusters Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) an der Universität Bielefeld zeigen mit einem Experiment, wie sich dieses Wortverstehen beschleunigen lässt – und zwar, indem die Versuchspersonen gleichzeitig zum Lesen Objekte greifen. Privatdozent Dr. Dirk Koester und seine Kollegen berichten in dem Forschungsjournal „PLOS ONE“ über ihre Entdeckung. Die Methode könnte den Forschern zufolge einen Ansatz für neue Therapien, etwa nach Schlaganfällen, bieten.
„Neue Theorien der Kognitionsforschung nehmen an, dass unser Gedächtnis
als Teil von Begriffen auch Körperempfindungen speichert“, sagt Dirk
Koester. Er arbeitet in der CITEC-Forschungsgruppe „Neurokognition und
Bewegung – Biomechanik“ von Professor Dr. Thomas Schack. „Ein Wort wie
,Quirl‘ speichert das Gehirn wie in einem Lexikon und assoziiert es etwa
mit Konzepten wie ,unbelebt‘ und ,Küchengerät‘. Zusätzlich verbindet es
das Wort mit der eigenen Erfahrung, wie sich ein Schneebesen anfühlt
und dass zum Beispiel eine Schleuderbewegung damit verbunden ist“. Mit
einer neuen Studie mit 28 Versuchspersonen stützen Koester und seine
Kollegen diese These des Embodiments (Verkörperung) von Wissen.
Der zentrale Befund: „Wenn die Versuchspersonen beim Lesen ein Objekt ergreifen mussten, hat ihr Gehirn Teile der Wortbedeutung früher verarbeitet als in vorangegangenen Studien, in denen Wörter beurteilt wurden, ohne dass etwas gegriffen wurde“, sagt Koester.
Die Versuchspersonen saßen am Bildschirm und hatten drei nebeneinander liegende Würfel vor sich: einer so groß wie ein Apfel, einer wie ein Tischtennisball und einer wie ein Spielwürfel. Auf dem Bildschirm dahinter waren drei weiße Felder, ebenfalls nebeneinander. Nun erschienen Wörter in einem der Felder, mal Phantasiebegriffe und mal echte Begriffe. Wurde ein Pseudowort wie „Quarl“ eingeblendet, mussten die Probanden nichts tun. Erschien ein echtes Wort wie „Orange“, so sollten sie den unter dem Feld liegenden Würfel greifen. Eine EEG-Kappe zeichnete die Gehirnaktivität auf, so dass die Forscher anschließend auswerten konnten, wie das Wort verarbeitet worden war.
Früheren Studien zufolge dauert es eine Drittelsekunde, bis das Gehirn einen Begriff verar-beitet hat. „In unserer Studie konnten wir aber zeigen, dass das Verstehen schon deutlich früher, nach einer Zehntelsekunde beginnen kann – wenn eine Greifaktion erforderlich ist“, berichtet Koester. Die Untersuchung belege damit nicht nur, dass das Gehirn über gemeinsame Steuerprogramme für Sprache und Bewegung verfüge. „Die Studie zeigt auch, dass sich die Verarbeitungsschritte unseres Gehirns sehr schnell verändern und an aktuelle Auf-gaben anpassen – hier an die Aufgabe, beim Lesen zu greifen.“
Erkenntnisse aus der Studie könnten laut Koester zukünftig auch für Therapien genutzt werden, zum Beispiel bei Aphasie, einer Sprachstörung nach Schlaganfällen. „Die Patienten könnten vergessene Wörter trainieren, indem sie ähnlich wie in unserem Experiment nicht nur verbal, sondern auch durch Greifbewegungen anzeigen, dass sie ein Wort erkennen. Sie üben also motorisch“, sagt Koester. „Das Wortwissen würde so durch die Hintertür der Bewegungskontrolle gestärkt werden.“
Originalveröffentlichung:
Dirk Koester, Thomas Schack: Early neurophysiological interaction of conceptual and motor representations. PLOS ONE, http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0165882, veröffentlicht am 14. Dezember 2016
Kontakt:
PD Dr. Dirk Koester, Universität Bielefeld
Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft
Telefon 0521 106-2420
E-Mail: dkoester@cit-ec.uni-bielefeld.de
Ein Wort zu hören oder zu sehen, heißt nicht, es sofort zu verstehen. Das Gehirn muss die Buchstaben als solche erkennen, zusammensetzen und im Gedächtnis „nachschlagen“, was das Wort bedeutet. Kognitionspsychologen des Exzellenzclusters Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) an der Universität Bielefeld zeigen mit einem Experiment, wie sich dieses Wortverstehen beschleunigen lässt – und zwar, indem die Versuchspersonen gleichzeitig zum Lesen Objekte greifen. Privatdozent Dr. Dirk Koester und seine Kollegen berichten in dem Forschungsjournal „PLOS ONE“ über ihre Entdeckung. Die Methode könnte den Forschern zufolge einen Ansatz für neue Therapien, etwa nach Schlaganfällen, bieten.
Mit
ihrer neuen Methode zeigen PD Dr. Dirk Koester und seine Kollegen, wie
Greifbewegun-gen das Verstehen von Begriffen beschleunigen. Foto:
CITEC/Universität Bielefeld
Der zentrale Befund: „Wenn die Versuchspersonen beim Lesen ein Objekt ergreifen mussten, hat ihr Gehirn Teile der Wortbedeutung früher verarbeitet als in vorangegangenen Studien, in denen Wörter beurteilt wurden, ohne dass etwas gegriffen wurde“, sagt Koester.
Die Versuchspersonen saßen am Bildschirm und hatten drei nebeneinander liegende Würfel vor sich: einer so groß wie ein Apfel, einer wie ein Tischtennisball und einer wie ein Spielwürfel. Auf dem Bildschirm dahinter waren drei weiße Felder, ebenfalls nebeneinander. Nun erschienen Wörter in einem der Felder, mal Phantasiebegriffe und mal echte Begriffe. Wurde ein Pseudowort wie „Quarl“ eingeblendet, mussten die Probanden nichts tun. Erschien ein echtes Wort wie „Orange“, so sollten sie den unter dem Feld liegenden Würfel greifen. Eine EEG-Kappe zeichnete die Gehirnaktivität auf, so dass die Forscher anschließend auswerten konnten, wie das Wort verarbeitet worden war.
Früheren Studien zufolge dauert es eine Drittelsekunde, bis das Gehirn einen Begriff verar-beitet hat. „In unserer Studie konnten wir aber zeigen, dass das Verstehen schon deutlich früher, nach einer Zehntelsekunde beginnen kann – wenn eine Greifaktion erforderlich ist“, berichtet Koester. Die Untersuchung belege damit nicht nur, dass das Gehirn über gemeinsame Steuerprogramme für Sprache und Bewegung verfüge. „Die Studie zeigt auch, dass sich die Verarbeitungsschritte unseres Gehirns sehr schnell verändern und an aktuelle Auf-gaben anpassen – hier an die Aufgabe, beim Lesen zu greifen.“
Erkenntnisse aus der Studie könnten laut Koester zukünftig auch für Therapien genutzt werden, zum Beispiel bei Aphasie, einer Sprachstörung nach Schlaganfällen. „Die Patienten könnten vergessene Wörter trainieren, indem sie ähnlich wie in unserem Experiment nicht nur verbal, sondern auch durch Greifbewegungen anzeigen, dass sie ein Wort erkennen. Sie üben also motorisch“, sagt Koester. „Das Wortwissen würde so durch die Hintertür der Bewegungskontrolle gestärkt werden.“
Originalveröffentlichung:
Dirk Koester, Thomas Schack: Early neurophysiological interaction of conceptual and motor representations. PLOS ONE, http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0165882, veröffentlicht am 14. Dezember 2016
Kontakt:
PD Dr. Dirk Koester, Universität Bielefeld
Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft
Telefon 0521 106-2420
E-Mail: dkoester@cit-ec.uni-bielefeld.de