Rechtswissenschaft
Veröffentlichung in der ZEIT – Charlotte Schmitt-Leonardy analysiert den Pétain-Prozess
Professorin Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy, Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Fakultät, hat gemeinsam mit Antonia Rosenstock, M.Jur. (Oxford), in der ZEIT publiziert. Der Beitrag rückt den Strafprozess gegen Philippe Pétain ins Zentrum – ein Verfahren, das exemplarisch zeigt, wie eng Recht, Geschichte und Politik miteinander verflochten sein können.
Pétain, gefeierter „Held von Verdun“ und später Staatschef des kollaborierenden Vichy-Regimes, stand in Paris nicht nur als Angeklagter vor Gericht, sondern als Projektionsfläche einer ganzen Nation. Das Verfahren sollte die Schuldfrage klären – doch ebenso entscheidend war die politische Botschaft: Frankreich inszenierte sich als von den Nazis verführt und nicht als aktiv kollaborierend. Die Verurteilung des greisen Staatschefs diente damit auch der Entlastung des kollektiven Selbstbildes.
Schmitt-Leonardy und Rosenstock zeigen, dass Strafprozesse nach Diktatur und Krieg oft eine doppelte Funktion erfüllen: Sie müssen individuelle Verantwortung zuweisen, stehen aber zugleich im Dienst einer neuen politischen Ordnung. Diese Spannung prägt bis heute den Blick auf Transitional Justice weltweit. Im Fall Pétain bedeutete dies, dass die groben Linien der Kollaboration geahndet wurden, während entscheidende Aspekte – etwa die Mitwirkung an der Deportation zehntausender Jüd*innen – fast vollständig im Schatten blieben.
Gerade diese Leerstelle macht den Artikel in der ZEIT so relevant: Er verdeutlicht, wie stark juristische Verfahren historische Narrative formen – und wie sie, bewusst oder unbewusst, auch zur Verdrängung beitragen können. Die Autorinnen legen offen, dass Recht nicht nur Recht spricht, sondern Erinnerung ordnet und Geschichte mitgestaltet.
Den vollständigen Artikel gibt es hier.