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Pressemitteilungen
Veröffentlicht am
1. Februar 2022
Kategorie:
Forschung & Wissenschaft
Zellteilung bei Mikroalgen: Mitose erstmals detailliert aufgeklärt (Nr. 6/2022)
Forschende der Universität Bielefeld identifizieren beteiligte Zellstrukturen
Zellteilung sorgt für Wachstum oder Erneuerung. Sie ist für alle Organismen lebensnotwendig. Allerdings läuft sie in Tieren, Bakterien, Pilzen, Pflanzen und Algen nicht völlig gleich ab. Kaum bekannt war bisher, wie die Zellteilung der Algen abläuft. Forschende der Universität Bielefeld erfassen mit Konfokaler Laserscanningmikroskopie (CLSM) erstmals detailliert und dreidimensional die Zellteilung von lebendigen Zellen der Mikroalge Volvox carteri. Sie identifizieren dabei neue Strukturen der Zelle, die an der Zellteilung beteiligt sind. Leiter der Studie ist Professor Dr. Armin Hallmann von der Fakultät für Biologie. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift The Plant Cell als Open-Access-Publikation veröffentlicht worden.
Die Zelle ist die kleinste Organisationseinheit des Lebens. Kompakt enthält sie die notwendigen Lebensbausteine und in ihr laufen die lebenswichtigen biochemischen Reaktionen ab. Mithilfe von Enzymen finden Stoff- und Energieumwandlungen statt, was auch als Stoffwechsel bekannt ist. Das Zellinnere wird durch die Zellmembran von der Umgebung abgegrenzt und so geschützt. Das Erbgut, der Informationsspeicher der Zelle, befindet sich häufig als DNA im Zellkern. Wenn sich eine Zelle teilt, muss sie zunächst durch die Mitose ihren Zellkern auf zwei identische Tochterzellkerne mit demselben Erbgut aufteilen. Dann teilt sich der Rest der Zelle und es entstehen zwei identische Tochterzellen. Insbesondere der komplexe, genetisch festgelegte Prozess der Mitose muss sehr präzise ablaufen: Das gesamte Erbgut, aufgeteilt auf Chromosomen, muss fehlerfrei auf die beiden Tochterzellkerne übertragen werden.
Zellteilung der Alge Volvox carteri vereint tierische und pflanzliche Merkmale
„Die Zellteilung ist einer der grundlegendsten Prozesse bei Lebewesen. Sie ist über unzählige Millionen Jahre der Evolution im Prinzip erhalten geblieben und lässt sich bei allen Organismen finden“, sagt Professor Dr. Armin Hallmann, Leiter der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie der Pflanzen an der Universität Bielefeld. Dennoch weisen die Mechanismen der Zellteilung in Tieren, Pilzen, Pflanzen und Algen jeweils charakteristische Eigenheiten auf. Die vielzellige Grünalge Volvox carteri ist hierbei ein besonders interessanter Fall. „Sie zeigt in der Mitose sowohl tierische als auch pflanzliche Merkmale“, sagt Hallmann. Dieses Phänomen konnten die Forschenden in ihrer Studie jetzt präzisieren. „Über den genauen Ablauf der Mitose bei dieser Grünalge wusste die Forschung bisher sehr wenig.“
Mitose der Mikroalge Volvox carteri
Mit ihren Analysen konnten die Wissenschaftler*innen fünf Charakteristiken identifizieren, die für die Mitose der Mikroalge Volvox carteri von entscheidender Bedeutung sind.
Die ersten beiden Merkmale betreffen die Hülle des Zellkerns der Mikroalge. „Die Kernhülle zerfällt zu Beginn der Mitose nicht, wie oft üblich, sondern bleibt bis kurz vor Abschluss der Kernteilung bestehen“, sagt Armin Hallmann. „Stattdessen wird sie porös und durchlässig, sodass zwischen dem Inneren des Zellkerns und dem Cytosol – einer Flüssigkeit, die den Zellkern umgibt – Zellbestandteile ausgetauscht werden. Somit verliert der Zellkern für einen bestimmten Zeitraum seine typische Eigenschaft als abgegrenzter Reaktionsraum, obwohl die Kernhülle noch vorhanden ist.“
Das dritte Merkmal hängt mit den Zentrosomen der Zelle zusammen. Das sind Zellstrukturen, die hier eine zentrale Rolle bei der Organisation der Kernteilungsspindel spielen. Die Kernteilungsspindel ordnet dann die Chromosomen so an, dass sie fehlerfrei auf die beiden neu entstehenden Zellkerne aufgeteilt werden können. „Wir konnten zeigen, dass den Zentrosomen bei der Mitose von Volvox carteri eine entscheidende Rolle zukommt, obwohl diese außerhalb der Kernhülle liegen. Sie bilden die Grundstruktur, um die präzise Aufteilung des Erbguts mit Hilfe der Kernteilungsspindel innerhalb der Kernhülle zu organisieren. Bisher kannten wir eine Organisation der Spindel durch Zentrosomen nur von der Zellteilung in Tieren“, sagt Hallmann.
Ein viertes Merkmal ist die Entstehung einer bestimmten, faserartigen Struktur, des Phycoplasten, am Ende der Mitose. Nachdem sich der Zellkern geteilt hat, muss sich nun nämlich auch noch der Rest der Zelle teilen, damit sich die neu entstehenden Zellen endgültig voneinander trennen können. Der dynamische Phycoplast ist dabei die Grundlage für die Bildung einer Trennungsfurche, die letztendlich die Zelle zerteilt, wohingegen Pflanzen eine davon abweichende Struktur bilden, die schließlich zur Bildung einer trennenden, festen Zellwand führt. „Das Besondere bei Algen ist, dass der Phycoplast direkt durch Recycling der dann nicht mehr benötigten Kernteilungsspindel gebildet wird“, erklärt der Wissenschaftler.
Schließlich konnten die Forschenden eine enorme Dynamik der gesamten inneren Architektur der Zelle sowie der Hülle des Zellkerns während der Zellteilung feststellen.
Molekulare Prozesse sichtbar machen
Erfassen konnten die Forschenden die Zellteilungsprozesse durch die Herstellung fluoreszierender, also bei Lichteinstrahlung leuchtender Proteine, und deren Nachverfolgung in der Zelle mit Konfokaler Laserscanningmikroskopie (CLSM). Zum ersten Mal ist es damit Wissenschaftler*innen gelungen, die Mitose von Mikroalgen am Beispiel von Volvox carteri in einem bildgebenden Verfahren an lebenden Zellen dreidimensional darzustellen und detailliert zu charakterisieren.
„Wir haben uns gefragt: Wie genau funktioniert die Zellteilung bei Grünalgen? Welche Strukturen sind an der Mitose beteiligt und welche Rolle spielen sie in dem Prozess?“, sagt die Erstautorin Dr. Eva Laura von der Heyde. Sie forschte bislang als Doktorandin und jetzt als Postdoc in der Arbeitsgruppe von Hallmann. Um wichtige, an der Zellteilung beteiligte Proteine in der Zelle lokalisieren zu können, werden ihre Gene mit molekularbiologischen Techniken mit dem Gen eines fluoreszierenden Proteins verbunden. Die an der Zellteilung beteiligten Proteine werden dadurch fluoreszierend, wodurch sie dann von allen anderen Proteinen in der Zelle unterscheidbar sind. „Mit einem speziellen Laser haben wir verschiedene fluoreszierende Proteine zum Leuchten angeregt. Das gelbgrüne Leuchten der von den Proteinen gebildeten Mikrostrukturen konnten wir in lebenden Zellen mit einem Konfokalen Laserscanningmikroskop detektieren“, sagt Eva Laura von der Heyde.
Wie sich die Proteine bei der Zellteilung bewegen, wie sie Mikrostrukturen bilden und wie diese Strukturen wieder umgebaut werden, hielten die Forschenden auch in Videoaufnahmen fest. In einem Zeitraffer-Video, das 30 Minuten der Mitose auf neun Sekunden verkürzt und in zehn optischen Schnitttiefen gleichzeitig zeigt, wird deutlich, wie die Zentrosomen die Bildung der Kernteilungsspin-del organisieren und wie sich die Kernteilungsspindel nach der Trennung der Chromosomen schließlich in den Phycoplasten umwandelt.
Einblicke in die Evolution
Langfristig hoffen Armin Hallmann und Eva Laura von der Heyde, aufbauend auf den neuen Erkenntnissen mehr über die Evolution der Zellteilung erfahren zu können. Wie kam es zu den verschiedenen Varianten der Zellteilung, die man heute bei Tieren, Pilzen, Pflanzen und Algen findet? „In der Evolution entwickelten sich die ersten Landpflanzen aus Ur-Grünalgen. Daher besitzt die Grünalge Volvox carteri auch Eigenschaften, die sie mit den heute lebenden Landpflanzen gemeinsam hat. Auffällig ist aber, dass Volvox carteri auch solche Eigenschaften besitzt, die so auch bei den heute lebenden Tieren zu finden sind. Andere ihrer Charakteristiken sind wiederum nur in Grünalgen zu finden. Wegen dieser besonderen Merkmale ist dieser Modellorganismus auch für unser Verständnis der Evolution der Zellteilung so wichtig“, sagt Hallmann.
Originalveröffentlichung:
Eva Laura von der Heyde, Armin Hallmann: Molecular and cellular dynamics of early embryonic cell divisions in Volvox carteri. The Plant Cell, https://doi.org/10.1093/plcell/koac004, online veröffentlicht am 9. Januar 2022.
Weitere Informationen:
Kontakt:
Prof. Dr. Armin Hallmann, Universität Bielefeld
Fakultät für Biologie
Telefon: 0521 106-5592
E-Mail: armin.hallmann@uni-bielefeld.de
Das Bildmaterial zum Thema kann über die E-Mail medien@uni-bielefeld.de angefordert werden.