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Wissenschaft im Anwendungskontext - Eröffnungstagung der neuen ZiF:Forschungsgruppe Science in the Context of Application (Nr. 171/2006)
Unter Leitung von Martin Carrier (Bielefeld), Wolfgang Krohn (Bielefeld), Alfred Nordmann (Darmstadt), Gregor Schiemann (Wuppertal) und Peter Weingart (Bielefeld) findet vom 25. bis 28. Oktober eine Tagung zum Thema "Wissenschaft im Anwendungskontext" am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld statt. Es handelt sich dabei um die Eröffnungsveranstaltung der neuen ZiF-Forschungsgruppe "Science in the Context of Application".
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist die Praxisrelevanz der Wissenschaft drastisch angewachsen. Die Naturwissenschaften gelten als Motor technischer Innovation, die ihrerseits als Antrieb der Wirtschaftsdynamik betrachtet wird und Wachstum und Arbeitsplätze schaffen soll. Auch die Praxisrelevanz der Sozialwissenschaften ist insbesondere auf dem Feld der wirtschaftspolitischen Beratung augenfällig. Forschung wird in der Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Politik in starkem Maße als praktisches oder angewandtes Unternehmen aufgefasst. Diese zunehmende Verflechtung von Wissenschaft auf der einen und Wirtschaft oder Politik auf der anderen Seite bleibt nicht ohne Folgen für die Wissenschaft. Diese wird kurzfristigen Nützlichkeitserwartungen unterworfen und einem Anwendungsdruck ausgesetzt, dessen Folgen noch nicht klar erkennbar sind und deren Auslotung die Eröffnungskonferenz unter anderem dient. Einerseits kann die Erwartung kurzfristiger Nutzbarkeit zur Oberflächlichkeit des Urteils führen und letztlich den Erkenntnisanspruch der Wissenschaft gefährden, andererseits erhöht die Anwendungsrelevanz die Anforderungen an die Bestätigung der betreffenden Neuerungen und an die Verlässlichkeit der darauf gegründeten Verfahren. Bei den Sozialwissenschaften erhöht der Einfluss auf die Entscheidungsträger das Risiko, die Wissenschaft zu einem Teil des politischen Machtspiels werden zu lassen, so dass ihre Überparteilichkeit und Glaubwürdigkeit gefährdet wäre. Eines der Charakteristika einer praktisch gewordenen Wissenschaft ist die durchgehende Kommerzialisierung. Auch Universitätsforschung richtet sich häufig auf praktische Forschungsziele aus, sie orientiert sich an Drittmittelgebern aus der Industrie und zielt auf wirtschaftliche Nutzung oder Patentierung. Weite Teile der Universitätsforschung gleichen sich an die Industrieforschung an. Umgekehrt drückt die Wissenschaft der Gesellschaft ihren Stempel auf. Die technologische Dynamik bringt einen rapiden Wandel der Arbeitswelt hervor, der Erkenntnisfortschritt insbesondere im Bereich der molekularen Biologie und Medizin schafft neuartige ethische Herausforderungen, mit den Nanowissenschaften werden Visionen einer Neugestaltung der Welt von Grund auf verbunden. Nicht allein also operiert die Wissenschaft unter neuartigen gesellschaftlich vorgegebenen Erkenntnisbedingungen und in veränderten institutionellen Strukturen, umgekehrt geht von der Wissenschaft ein erheblicher Veränderungsdruck auf die Gesellschaft aus.
Die Eröffnungskonferenz dient der Kartierung der betreffenden Forschungslandschaft und konzentriert sich auf die folgenden Themenbereiche und Fragestellungen:
- Der Zusammenhang von wissenschaftlicher Erkenntnis und technologischer Innovation ist komplex und bislang nur unzulänglich geklärt. Umstritten ist insbesondere die Reichweite übergreifender Theoriebildungen für konkrete Probleme technologischer Neuentwicklungen. Die Frage ist, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß Technik von Wissenschaft abhängig ist oder aber eigenständige Lösungsansätze entwirft und diese nach spezifischen, ingenieurwissenschaftlichen Maßstäben beurteilt.
- Die institutionellen Rahmenbedingungen der Wissensproduktion haben sich deutlich gewandelt. Wissenschaftliche Neuerungen gehen keineswegs mehr vornehmlich von den Universitäten aus. Forschungseinrichtungen der Industrie und andere privatwirtschaftliche Institute bilden eine signifikante Quelle von Innovationen. Daneben treten Wechsel der Organisationsformen: Stabile, disziplinär gebundene, grundlagenorientierte Forschungsgruppen werden durch eher kurzlebige, problembezogene Netzwerke von Wissenschaftlern unterschiedlicher disziplinärer Herkunft ersetzt. Insgesamt beobachtet man eine stärkere institutionelle Fragmentierung der Stätten der Wissensproduktion.
- Einer der wesentlichen neueren Umbrüche im Verständnis des Zusammenhangs zwischen Naturwissenschaft und Technik wird unter dem Begriff TechnoWissenschaft subsumiert und betrifft die Tatsache, dass viele Gegenstände naturwissenschaftlicher Forschung vom Menschen gemacht sind. Die entsprechende Palette reicht von Organismen, die für Forschungszwecke genetisch modifiziert wurden, bis zu geochemischen Phänomenen wie dem Ozonloch. Naturobjekte, wie sie Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung sind, stehen dem Menschen unter Umständen nicht mehr als das Fremde gegenüber, sondern sind zum Teil von ihm hergestellt. Sie sind gleichwohl Gegenstand der Naturwissenschaft, weil ihre Eigenschaften keineswegs von vornherein durchschaut sind und der Entschlüsselung bedürfen.
- Wissenschaft hat signifikante Auswirkungen auf die Gesellschaft und bringt wichtige ethische Herausforderungen mit sich. Daraus erwächst ein Interesse an demokratischer Kontrolle der Wissenschaft. Forschungsprozesse werden durch Politik oder Bürgerbeteiligung nachhaltig geprägt, was mit einer Verminderung der Selbststeuerung der Wissenschaft einhergeht. Dieser Anspruch auf öffentliche Einflussnahme hat angesichts der sozialen Tragweite wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Gefährdungen und Risiken, die mit diesen verbunden sein können, durchaus seine Berechtigung. Das Problem ist, diesen Anspruch auf solche Weise umzusetzen, dass die Objektivität der Wissenschaft keinen Schaden nimmt.
Den Abschluss der Konferenz bildet eine allgemeine Diskussion, die durch Beiträge von Berichterstattern strukturiert wird. Diese heben die thematischen Eckpunkte hervor und entwickeln den roten Faden, der diese verbindet, sie identifizieren Lücken und weiteren Untersuchungsbedarf und verknüpfen die Thematik der Konferenz mit dem Forschungsplan der Gruppe.
Die Tagungssprache ist Englisch.
Weitere Informationen unter: http://www.uni-bielefeld.de/ZIF/AG/2006/10-25-Carrier.html
Inhaltliche Fragen an: Prof. Dr. Martin Carrier, E-Mail: mcarrier@philosophie.uni-bielefeld.de
Anfragen zur Tagungsorganisation an:
Tagungsbüro des ZiF, Tel. 0521/106 2769; E-Mail: Trixi.Valentin@uni-bielefeld.de
Link: http://www.uni-bielefeld.de/ZIF/AG/2006/10-25-Carrier.html