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Wie Menschen trotz radikaler Ungewissheit entscheiden (Nr. 115/2022)
Uncertainty-Talk mit Ökonom und Psychologen David Tuckett
Die Welt ist komplex, dynamisch und vernetzt. Das führt dazu, dass Folgen von Entscheidungen häufig nicht kalkulierbar sind. „Dennoch müssen wir oft Entscheidungen von enormer Tragweite treffen“, sagt der international renommierte Ökonom und Psychologe Professor Dr. David Tuckett. Am University College London leitet er ein Institut zur Erforschung von Entscheidungsunsicherheit. Er ist Begründer der Theorie der emotionalen Finanzwirtschaft, die er in dem Buch „Die verborgenen psychologischen Dimensionen der Finanzmärkte“ vorstellt. Wie Menschen unter Bedingungen radikaler Ungewissheit entscheiden, erläutert Tuckett am kommenden Montag, 5. Dezember, um 18.30 Uhr in einem Vortrag der neuen Reihe „Uncertainty-Talk“. Der Eintritt zu dem englischsprachigen Vortrag im Hauptgebäude der Universität Bielefeld (Hörsaal 14) ist kostenlos.
„Entscheidungen in der realen Welt unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen, die in Labors und Lehrbüchern analysiert werden“, sagt David Tuckett. „Wir müssen oft folgenschwere Entscheidungen fällen, obwohl wir dafür nur unvollständige Informationen haben, die Wahlmöglichkeiten mehrdeutig sind und die zukünftige Entwicklung nicht der vergangenen ähnelt.“ Wie gelingt es Menschen unter solchen unsicheren Bedingungen trotzdem, zu Entscheidungen zu gelangen? Das erklärt David Tucket mit seiner Conviction Narrative Theory (Theorie der Überzeugungsnarrative, CNT).
Klimawandel und Pandemie fordern weitreichende Entscheidungen
„David Tuckett arbeitet stichhaltig heraus, dass Standardansätze der ökonomischen Entscheidungstheorie das Verhalten vieler Menschen in Situationen mit radikaler Unsicherheit, wie Entscheidungen zur Berufswahl oder zum Umgang mit dem Klimawandel und der Pandemie, nicht vollständig erklären können“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Herbert Dawid von der Universität Bielefeld, einer der Organisator*innen der Uncertainty-Talks. „Tucketts Theorie liefert durch die stärkere Berücksichtigung psychologischer Aspekte wichtige Einsichten, wie Menschen solche komplexen Entscheidungssituationen und die damit verbundene Unsicherheit bewältigen“, sagt der Bielefelder Wissenschaftler. David Tuckett geht in seiner Theorie davon aus, dass „Überzeugungsnarrative“ es Individuen ermöglichen, sich auf die Ausführung bestimmter Handlungen vorzubereiten, auch wenn sie nicht genau wissen können, wie diese ausgehen werden. Die Narrative dienen den Akteur*innen zudem als einfaches Mittel, um zu kommunizieren und die Unterstützung anderer für ihre ausgewählten Handlungen zu gewinnen und um sich selbst zu rechtfertigen.
In seinem Vortrag an der Universität Bielefeld stellt David Tuckett die Grundsätze seiner Theorie dar. Ebenfalls geht er darauf ein, welche Anforderungen sich aus dieser Theorie für die Forschung und Entscheidungsträger*innen in Politik und Wirtschaft ergeben.
Vortragsreihe ist Teil einer neuen Forschungsinitiative
Professor Dr. Herbert Dawid organisiert die Uncertainty-Talks zusammen mit der Geschichtswissenschaftlerin Professorin Dr. Silke Schwandt und dem Konfliktforscher Professor Dr. Andreas Zick. Die Vortragsreihe wird in Kooperation mit dem Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld veranstaltet. Hervorgegangen ist sie aus einer Forschungsinitiative an der Universität Bielefeld, die die drei Wissenschaftler*innen koordinieren. Der Zusammenschluss beschäftigt sich intensiv mit Unsicherheit. Lange Zeit ist Unsicherheit als allgegenwärtige Bedrohung betrachtet worden, die es zu kontrollieren und im Zaum zu halten galt. Die neue Initiative strebt hingegen danach, die Forschung zu Ungewissheiten und Unsicherheiten auf eine breitere Basis zu stellen und voranzubringen. Dafür stellt sie die vielfältigen Arten der Navigation von Unsicherheit in den Mittelpunkt. Die Uncertainty-Talks sollen durch verschiedene Blickwinkel auf diese Analyse einen Beitrag zum interdisziplinären Verständnis dieses Forschungsansatzes leisten.
Experte für die Auseinandersetzung mit radikaler Ungewissheit
Professor Dr. David Tuckett ist Ökonom, Medizinsoziologe, Lehr- und Supervisionsanalytiker der British Psychoanalytical Society sowie Fellow des Institute of Psychoanalysis, London. Er ist Direktor des Centre for The Study of Decision-Making Uncertainty am University College London und leitender Wissenschaftler im Netzwerk CRUISSE, das sich mit der Auseinandersetzung mit radikaler Ungewissheit in Wissenschaft, Gesellschaft und Umwelt befasst. In seinen Studien arbeitet er daran, Erkenntnisse der Psychoanalyse, Soziologie, kognitiven Psychologie und Wirtschaft zusammenzuführen. Tuckett ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe für vergleichende klinische Methoden der Europäischen Psychoanalytischen Föderation (EPF) und langjähriger Hauptherausgeber (1988-2001) des International Journal of Psychoanalysis sowie Gründungsredakteur der New Library of Psychoanalysis. 2007 erhielt er den Sigourney Award for Psychoanalysis. 2010 sprach er als eingeladener Redner auf dem Weltwirtschaftsforum.
Außer dem Vortrag von Dawid Tucket am 5. Dezember stehen auf dem Programm der Uncertainty-Talks aktuell zwei weitere Veranstaltungen:
- Montag, 19. Dezember, 18.30 Uhr: Professor Dr. Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Soziologe spricht über das Thema „Entscheidungen unter Unsicherheitsbedingungen. Ein Pleonasmus oder ein steigerbarer Sachverhalt?“. Ort: Plenarsaal des Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF).
- Montag, 30. Januar, 18.30 Uhr: Professor Dr. Gerd Gigerenzer vom Harding-Zentrum für Risikokompetenz an der Universität Potsdam. Der Psychologe und Risikoforscher hält seinen Vortrag zum Thema „Der Umgang mit Ungewissheit im digitalen Zeitalter“. Ort: Plenarsaal des ZiF. Der Vortrag wurde in den Januar verschoben, nachdem er im November ausgefallen war.
Weitere Informationen:
- Website zur Vortragsreihe
- Forschungsmagazin BI.research mit Dossier „Navigation von Unsicherheit“
Bildmaterial zum Thema ist hier abrufbar.
Kontakt:
Dr. Ulrike Haake, Universität Bielefeld
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Telefon: 0521 106-4865
E-Mail: ulrike.haake@uni-bielefeld.de