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Pressemitteilungen

Wie beschreiben wir anderen unsere Ängste? (Nr. 132/2004)

Veröffentlicht am 12. Juli 2004, 00:00 Uhr

Im Zuge des steigenden wissenschaftlichen Interesses an Affekten und Emotionen sind Angst und Angststörungen ein höchst aktueller Forschungsgegenstand, der sowohl die Psychobiologie als auch die Psychologie und die Psychiatrie beschäftigt. Dieses Interesse wird zweifellos auch durch die Tatsache verstärkt, dass die Zahl von Angsterkrankungen in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat und weiterhin ansteigt (allein in Deutschland gibt es mehrere Millionen von Menschen, die an Angststörungen leiden). Diese Erkrankungen sind chronisch, werden oft nicht rechtzeitig erkannt und in vielen Fällen nicht adäquat behandelt.

Obwohl - oder vielleicht auch gerade: weil - jeder Angst kennt oder zu kennen glaubt, wurde bislang kaum systematisch untersucht, mit Hilfe welcher sprachlichen oder kommunikativen Formen wir Anderen unsere Ängste beschreiben. Zwar gibt es beispielsweise sprachwissenschaftliche und soziologische Untersuchungen zu Arzt-Patient-Gesprächen, aber Gefühle wie Angst werden dabei oft ausgeblendet, diesbezügliche Andeutungen von Patienten werden überhört. Die Frage, ob die zur Anwendung kommenden kommunikativen Verfahren störungsspezifische Muster erkennen lassen, die beispielsweise auch in der Diagnose und Therapie von Angsterkrankten genutzt werden könnten, wird im allgemeinen nicht einmal gestellt.

Die Kooperationsgruppe "Kommunikative Darstellung und klinische Repräsentation von Angst" am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der Angstforschung neue Wege zu gehen und veranstaltet hierzu vom 14. bis 16. Juli im ZiF einen Workshop "Szenische Darstellungen".

Anhand von Video-Aufnahmen von Gesprächen zwischen Patienten und Ärzten und Psychotherapeuten werden die kommunikativen Darstellungen von Ängsten und Angststörungen analysiert. Dabei werden nicht nur sprachliche Verfahren berücksichtigt, sondern auch alle nicht-sprachlichen Ressourcen, die zur Kommunikation von Angst beitragen können wie zum Beispiel Mimik, Blickrichtung, Gestik und Körperhaltung.

Angeregt durch die Erkenntnis, dass gerade den impliziten Formen der Darstellung von Ängsten eine große Bedeutung zukommt, interessiert sich die Kooperationsgruppe, die aus Linguisten, Soziologen, Psychiatern, Neurologen, Verhaltenstherapeuten und Psychoanalytikern besteht, besonders auch für die Verfahren der 'szenischen Darstellung' von Angst. Dazu gehören 'Inszenierungen' oder 'Enactments', die aus dem wechselseitigen nicht-sprachlichen Verhalten hervorgehen und mit denen sich die Gesprächspartner wie auf einer Bühne gegenseitig deutlich machen, wie sie ihre Interaktion gestalten und verstehen. Dazu gehören auch sprachliche Verfahren, die beim Rekonstruieren vergangener Ereignisse und Erlebnisse - oft zur Dramatisierung - eingesetzt werden.

Sowohl in der Psychotherapieforschung als auch in der Gesprächsforschung spielt der Begriff der szenischen Darstellung eine wichtige Rolle. Er wird allerdings in beiden Disziplinen unterschiedlich gebraucht, und diese Unterschiede sind bisher nicht aufgearbeitet worden. Insofern bietet sich hier ein interdisziplinärer Austausch in besonderer Weise an. Dazu soll dieser Workshop Gelegenheit geben.

Der Workshop unter der Leitung von Jörg Bergmann und Elisabeth Gülich (beide Universität Bielefeld) sowie Martin Schöndienst und Friedrich Wörmann (beide Epilepsie-Zentrum Bethel) fällt in eine besonders intensive Arbeitsphase der Kooperationsgruppe: Im Juli sind alle Mitglieder der Gruppe anwesend, und auch der Besuch renommierter ausländischer Gäste konzentriert sich auf diese Zeit. Von den Berichten aus den jeweiligen Forschungsprojekten der Gäste verspricht sich die Kooperationsgruppe wichtige methodologische Anregungen für die gemeinsame Arbeit, insbesondere im Hinblick auf den potenziellen Erkenntnisgewinn für die Behandlung und Therapie von Ängsten durch die Integration gesprächsanalytischer Verfahren.

Bei inhaltlichen Fragen wenden Sie sich bitte an Prof. Dr. Elisabeth Gülich, elisabeth.guelich@uni-bielefeld.de, ZiF-Tagungsbüro: Telefon 0521/2768.

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