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Universität trauert um Chemiker Professor Achim Müller (Nr. 19/2024)

Veröffentlicht am 8. März 2024, 11:52 Uhr

Bekannter Bielefelder Vertreter der Anorganischen Chemie verstorben

Die Universität Bielefeld trauert um den Chemiker Professor Dr. Dr. h.c. mult. Achim Müller. Er ist am 28. Februar 2024 im Alter von 86 Jahren verstorben. International bekannt war er für die Entwicklung molekularer Riesenkugeln und -ringe, die sowohl neue Perspektiven für die Materialwissenschaft eröffneten als auch ästhetisch durch ihren symmetrischen Aufbau überzeugten. Müller war von 1977 bis 2003 Professor für Anorganische Chemie an der Universität Bielefeld. Mit seiner Nanoforschung trug er wesentlich dazu bei, die Fakultät für Chemie der Universität Bielefeld international zu etablieren.

Müller studierte Chemie und Theoretische Physik an der Universität Göttingen. 1965 promovierte er dort mit der Arbeit „Beiträge zur Untersuchung von Reaktionen zwischen Oxiden und Wasserdampf“. Bereits zwei Jahre später habilitierte er sich in Göttingen 1967 über ein Thema aus dem Bereich der Schwingungsspektroskopie. 1971 folgte er einem Ruf an die Universität Dortmund. 1977 kam der aus Detmold stammende Chemiker an die Universität Bielefeld, an der er auch nach seiner Emeritierung 2003 wissenschaftlich tätig war.  

Anorganische Anionen als Bausteine für Riesenmoleküle

Achim Müller und sein Team leisteten seit den frühen 1990er-Jahren herausragende Beiträge in der Erforschung von Polyoxometallaten (POMs). POMs sind sehr große und komplexe Moleküle, die aus mehreren Metallatomen und Sauerstoffatomen bestehen. Sie können chemische Reaktionen beschleunigen und Lichtenergie speichern und eignen sich zum Beispiel, um Nanopartikel oder Sensoren herzustellen. Müllers Arbeitsgruppe synthetisierte neue POMs und untersuchte ihre Eigenschaften. Die Forschenden entwickelten ein Verfahren, um die Anordnung der POM-Strukturen zu kontrollieren. Dafür verwendeten sie kleine anorganische Anionen als Bausteine. So konnten sie POMs mit neuen und gewünschten Eigenschaften herstellen. Mit seinen Entwicklungen hat Achim Müller die Chemie der Polyoxometallate in neue Dimensionen geführt und Denkansätze für Eigenschaften und Anwendungen dieser Verbindungen eröffnet.

Nanomoleküle ermöglichen neue chemische Reaktionen, auch katalytische

Als Achim Müller 1995 das „Bielefelder Riesenrad“ vorstellte, staunten nicht nur internationale Fachmedien: Er und sein Team hatten das damals größte künstliche Molekül hergestellt, bestehend aus 154 über Sauerstoffbrücken miteinander verbundenen Molybdän-Atomen. Müllers Arbeitsgruppe war bekannt dafür, Nano-Moleküle mit ungewöhnlichen und für die Materialwissenschaft relevanten Eigenschaften erzeugen zu können. Diese Gebilde sind im Vergleich zu gewöhnlichen anorganischen Molekülen riesig. Gewöhnlich haben sie einen Durchmesser von mehreren Zehnteln Nanometern – die Bielefelder „Riesenmoleküle“ messen mehrere Nanometer. Das Besondere an ihnen: Sie erlauben, bestimmte chemische, auch katalytische Reaktionen durchzuführen, die zuvor nicht möglich waren.

1998 überraschte Müllers Arbeitsgruppe die Fachwelt mit der Herstellung des „Nano-Fußballs“: ein kugelförmiges Molekül mit über 700 Atomen und 20 Öffnungen, dessen Aussehen an die Struktur eines Fußballs erinnert. Müllers Team übertraf sich selbst mit der Synthese von noch größeren Molekülen mit 176, 248 und 368 Molybdän-Atomen. So entstand 2002 der „Nano-Igel“ mit 368 Metallatomen und der Größe eines Proteins. Das Molekül wurde seiner Form wegen nach dem Tier benannt und weil es von reaktionsarmen Sauerstoff-Atomen umgeben ist, die es wie Stacheln vor dem Kontakt mit der Umwelt schützen. 

Bereits zwei Jahre zuvor gelang den Bielefelder Forschenden die bahnbrechende Entwicklung eines Hybridmoleküls. Dabei wurde ein kleineres „metallhaltiges“ Molekül in einem Nanofußball eingeschlossen. Sie synthetisierten auch hohle Moleküle in Form eines Ikosaeders (Keplerate). Die Geometrie der dazugehörigen 30 Eisenkationen ist einzigartig. Sie bilden ein Ikosidodekaeder, einen archimedischen Körper mit gleich langen Kanten.

Aktiver Wissenschaftler weit über Emeritierung hinaus

Achim Müllers wissenschaftliche Leistungen sind in mehr als 900 Publikationen dokumentiert. Eine Ehrenprofessur und fünf Ehrendoktoraten belegen sein wissenschaftliches Ansehen. 1994 wurde er in die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina aufgenommen, 1998 in die Academia Europaea. Seit 2002 war er gewähltes Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. 2000 erhielt Müller den Alfred-Stock-Gedächtnispreis der Gesellschaft Deutscher Chemiker, 2001 den Gay-Lussac-Humboldt-Preis und den Sir Geoffrey Wilkinson Preis. Für das Jahr 2005 wurde er mit dem Elhuyar-Goldschmidt-Preis der Spanischen Königlichen Gesellschaft für Chemie geehrt. 2008 wurde ihm der der Centenary Prize der Royal Society of Chemistry in London zuerkannt. Als erster Forschender der Universität Bielefeld warb er 2012 den Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) ein, dotiert mit 1,2 Millionen Euro. Die renommierte Forschungsförderung war ein Zeichen seiner aktiven Forschung über die Emeritierung hinaus.

Weitere Informationen:
Nachruf der Fakultät für Chemie

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