Smartphone-Test erzeugt Stress wie im Labor (Nr. 75/2022)
Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld haben eine neue Methode entwickelt, um Stress auszulösen: Ein Test via Web-Applikation zeigt, dass das gezielte Hervorrufen von Stress nicht auf eine Laborsituation beschränkt ist. Mit dem Digital Stress Test (DST) lassen sich ähnliche Effekt erzielen. Ihre Forschungsergebnisse hat die Arbeitsgruppe Multimodal Behavior Processing im Journal of Medical Internet Research veröffentlicht. Für ihre Forschung kooperierten die Wissenschaftler*innen der Technischen Fakultät der Universität Bielefeld mit Kolleg*innen vom Digital Health Center des Hasso-Plattner-Institut in Potsdam und New York, dem Institut für Medizinische Informatik der Charité Berlin sowie dem Institut für kognitive Neurowissenschaften der Universität Bochum.
Der Trier Social Stress Test (TSST) gilt als Gold-Standard der Stressforschung. Dabei wird das Ver-halten von Testpersonen in einer Labor-Situation untersucht. Die Proband*innen müssen dazu in einem künstlichen Setting vor einem angeblichen Gremium ein fiktives Vorstellungsgespräch und eine Matheaufgabe absolvieren. So bewährt und verlässlich diese Methode ist, so aufwändig ist sie auch: „Wir benötigen einen Raum und Darsteller*innen, die als Prüfer*innen agieren. Wir wollten einen Test haben, der Stress erzeugt und keine weiteren Hilfsmittel oder Personen benötigt“, sagt Drimalla.
Denn so funktioniert die Stressforschung: Eine psychosoziale Belastung der Testpersonen wird herbeigeführt und anschließend werden der Stress und seine Auswirkungen analysiert. Der Test muss also zwei Dinge können: Er muss verlässlich Stress auslösen und überprüfen können, ob dies geklappt hat. Der Digitale Stress Test erfasst das Stresslevel der Teilnehmenden anhand von Videoaufnahmen. Gesichtsausdruck, Stimme, Blickverhalten und Herzschlag, in diesem Fall gemessen an den roten Pixeln im Video, können Auskunft darüber geben, wie sehr die Person gestresst ist. Ziel ist es herauszufinden, wann Menschen in sozialen Kontexten Stress erleben, wie es dazu kommt und was dagegen schützen kann.
Unter digitalstresstest.org kann der Test auf dem Smartphone ohne Speicherung von Daten ausprobiert werden. Vor dem eigentlichen Test beschreiben die Proband*innen, wie sie sich gerade fühlen. Dann folgt eine Rechenaufgabe. Die wird nach mehreren richtigen Antworten schwieriger, die Zeit, die zur Lösung bereitsteht, knapper. Zusätzlich verändern sich im weiteren Verlauf die Zahlen des Eingabefeldes: ein Umstand, der viele Testpersonen im besonderen Maße stresst. Gleichzeitig wird den Proband*innen mit einem eingeblendeten fiktiven Durchschnittsergebnis vorgegaukelt, sie stünden im direkten Vergleich mit anderen Testpersonen. Aufpoppende Kommentare wie „Zu langsam“ oder „Falsche Antwort“ erzeugen einmal mehr Stress. „Der Test ist so angelegt, dass die Teilnehmer*innen ihn nicht bestehen können“, sagt Matthias Norden, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Multimodal Behavior Processing und Erstautor der Studie.
Kontroll-Test belegt Wirksamkeit
Um die Wirksamkeit der Stressauslösung durch den DST nachvollziehen zu können, haben die Forscher*innen eine zweite, einfachere Version des Tests programmiert. Die Rechenaufgabe ist leichter, die Fragen angenehmer, die stressenden Elemente fehlen. Die Tester*innen dieses Kontrolltests zeigten deutlich weniger Stressaufkommen. „Ein Beweis für uns, dass der DST subjektiv mehr stresst und funktioniert“, so Matthias Norden.
Das Stresslevel, das beim DST erreicht wird, liegt laut den Forscher*innen in einem ähnlichen Bereich wie das des analogen Stresstests TSST. „Noch fehlt der direkte Vergleich und die Untersuchung physiologischer Stressanzeichen wie der Anstieg von Puls, Blutdruck und Stresshormonen“, sagt Hanna Drimalla. Auch falls das Level des DST geringer ausfallen sollte, bieten sich neue Möglichkeiten, denn auch moderater Stress sei erforschenswert. „Man muss sich im Klaren darüber sein, dass im Digitalen die direkte Interaktion fehlt, dafür gibt es eine hohe Standardisierung. Selbst die besten Experimentalleiter*innen können diese kaum erreichen.“
Originalveröffentlichung:
Matthias Norden, Amin
Gerard Hofmann, Martin Meier, Felix Balzer, Oliver T. Wolf, Erwin Böttinger,
Hanna Drimalla: Inducing and Recording Acute Stress Responses on a Large Scale with
the Digital Stress Test (DST): Development and Evaluation Study. Journal of
Medical Internet Research, https://www.jmir.org/2022/7/e32280/, 15. Juli 2022.
Weitere Informationen:
- Website der Arbeitsgruppe Multimodal Behavior Processing
- Smartphone-Test zum Ausprobieren
Kontakt:
Prof'in. Dr. Hanna Drimalla, Universität Bielefeld
Technische Fakultät
Telefon 0521 106-12043
E-Mail: drimalla@techfak.uni-bielefeld.de