Pressemitteilungen
Muskeldegeneration in Zukunft gezielter behandeln (Nr. 97/2021)
Forschende der Universität Bielefeld identifizieren auslösendes Gen
Eine Erkrankung gezielt behandeln – dazu braucht man Informationen über den Ablauf der Krankheit auf molekularer und zellulärer Ebene. Das gilt auch für die Gruppe der Muskelerkrankungen zu denen kongenitale Muskeldystrophien (MDC) gehören. Bielefelder Wissenschaftler*innen konnten ein entscheidendes Gen identifizieren, das bei Funktionsverlust MDC auslöst. Hauptkooperationspartner ist die Arbeitsgruppe von M.D. Carsten G. Bönnemann des National Institutes of Health in den USA, zahlreiche weitere internationale Partner waren an dem Forschungsprojekt beteiligt. Finanziert wird die Kooperation aus Drittmitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Ergebnisse sind am 15. November 2021 in der Fachzeitschrift EMBO Molecular Medicine erschienen.
Die Krankheitsursache ist bei den verschiedenen Formen der MDC unterschiedlich. Die Erkrankung kann durch seltene Veränderungen in Gensequenzen ausgelöst werden. Wissenschaftler*innen unterscheiden die verschiedenen Formen der Erkrankung danach, welche Gensequenzen betroffen sind und welche entsprechenden Folgen sich auf molekularer und zellulärer Ebene ergeben.
Ein „neues“ Gen konnten die Wissenschaftler*innen nun als ausschlaggebend identifizieren: das Gen BET1. Beim Transport innerhalb der Zelle spielt es eine wichtige Rolle. „In unseren Zellen findet ein reger Austausch statt“, sagt PD. Dr. Michael Schwake, federführender Leiter der Forschungskooperation. „Proteine, die beispielsweise als Botenstoffe oder Bausteine funktionieren, müssen von ihrem Produktionsort an die richtige Stelle gebracht werden. Dafür gibt es ein eigenes Transportsystem in den Zellen, die Vesikel. Man kann sich das ein bisschen wie LKW fahren vorstellen. Das Vesikel ist eine eigene Struktur – ein Bläschen –, das Stoffe einschließt, transportiert und am Bestimmungsort abliefert.“
Das Gen BET1 ist an diesem Transportsystem der Zelle beteiligt. „Die Vesikel setzen sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Einer davon wird durch das Gen BET1 kodiert, also nach dessen genetischer Anleitung produziert“, sagt der Forscher. Dieser Prozess war bei den an MDC Erkrankten der Studie beeinträchtig. „Wir konnten nachweisen, dass das Gen BET1 bei einer bestimmten Veränderung seine Funktion im Transportmechanismus verliert. Damit ist es uns gelungen, eine sogenannte Funktionsverlust-Mutationen für das Gen BET1 zu identifizieren, die MDC auslösen. Bisher stand dieses Gen noch nicht im Zusammenhang mit Erkrankungen bei Menschen.“
Die genetische Disposition einer Person – also mit welchen Erbanlagen sie geboren wurde – kann entscheidend sein und kann der Grund dafür sein, warum ein Medikament bei den Betroffenen nicht zwangsläufig wirkt: „Die genetische Ursache für MDC ist sehr komplex, aber sie weist daraufhin, welcher Mechanismus in der Zelle betroffen ist. Bei den unterschiedlichen Formen von MDC ist der Mechanismus sehr unterschiedlich. Ein zielgerichtetes Medikament setzt an einem definierten Mechanismus an, deswegen kann das gleiche Medikament nicht allen gleich gut helfen“, erklärt Schwake.
Die Grundlagenforschung der Wissenschaftler*innen ist gleichzeitig ein Ausblick. „Mit dem Wissen können hoffentlich neue Medikamente entwickelt werden. Langfristig könnte man dann schauen, wo die Therapie in der Zelle für eine bestimmte Person ansetzen muss. Das ist der Grundgedanke der personalisierten Medizin: Medikamente, die exakt zur genetischen Disposition der einzelnen Person passen.“
Für die meisten Formen der MDC gibt es bisher keine Therapien, die den Erkrankten wirksam helfen. Stattdessen werden die Symptome behandelt, oft wird beispielsweise eine Physiotherapie eingesetzt, um die Beweglichkeit der Betroffenen zu erhalten.
Originalveröffentlichung:
Sandra Donkervoort, Niklas Krause, Mykola Dergai, Pomi Yun, Judith Koliwer, Svetlana Gorokhova, Janelle Geist Hauserman, Beryl B Cummings, Ying Hu, Rosemarie Smith, Prech Uapinyoying, Vijay S Ganesh, Partha S Ghosh, Kristin G Monaghan, Seby L Edassery, Pia E Ferle, Sarah Silverstein, Katherine R Chao, Molly Snyder, Sara Ellingwood, Diana Bharucha-Goebel, Susan T Iannaccone, Matteo Dal Peraro, A Reghan Foley, Jeffrey N Savas, Véronique Bolduc, Dirk Fasshauer, Carsten G Bönnemann, Michael Schwake: BET1 variants establish impaired vesicular transport as a cause for muscular dystrophy with epilepsy. EMBO Molecular Medicine, https://doi.org/10.15252/emmm.202013787, veröffentlicht am 15. November 2021.
Kontakt:
PD Dr. Michael Schwake
Fakultät für Chemie | Biochemie III
Telefon: 0521 106-2091
E-Mail: michael.schwake@uni-bielefeld.de