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Künstliche Nerven reagieren wie die echten (Nr. 10/2012)

Veröffentlicht am 17. Januar 2012, 10:57 Uhr

Bielefelder Physiker weisen übereinstimmende Eigenschaften nach

Selbst Superrechner sind nicht so effizient wie das menschliche Gehirn. Weltweit versuchen Wissenschaftler daher, Nervenzellen künstlich nachzubauen, um zu verstehen, wie Gehirne arbeiten, und um künftig leistungsfähigere Computer bauen zu können. Physiker der Universität Bielefeld haben jetzt gezeigt, dass eine neue Sorte von mikroskopisch kleinen Elektronikbauteilen – die Memristoren – in der Lage ist, wesentliche Eigenschaften von natürlichen Nerven zu imitieren. Damit bestätigen die Forscher die Annahme, dass Memristoren zum Bau künstlicher Gehirne und Nervensysteme genutzt werden können. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler heute (17. Januar) in der Print-Ausgabe der angesehenen Fachzeitschrift „Advanced Materials“.

Dr. Andy Thomas und seine Kollegen haben herausgefunden, dass das Elektrobauteil Memristor ähnlich auf Strom reagiert wie Nervenzellen.
Dr. Andy Thomas und seine Kollegen haben herausgefunden, dass das Elektrobauteil Memristor ähnlich auf Strom reagiert wie Nervenzellen.
Memristoren gelten in der Elektrotechnik als neue Hoffnungsträger. Erst 2008 wurde der erste Memristor entwickelt, obwohl er theoretisch schon in den frühen Siebzigern erdacht wurde. Bauteile dieser Art bestehen zum Beispiel aus Drähten in Nanogröße. Diese Nanodrähte leiten Strom unterschiedlich stark. Wie gut sie leiten beziehungsweise wie stark ihr Widerstand ist, das hängt unter anderem davon ab, wie stark der Strom war, der in der Vergangenheit durch sie geflossen ist und wie lange dieser Strom auf sie einwirken konnte. Das ist die Besonderheit eines Memristors: Er lernt und merkt sich seine „Geschichte“ – und das auch dann, wenn der Strom abgeklemmt ist.

Ein Memristor funktioniert damit so ähnlich wie ein „Bauteil“ im menschlichen Gehirn, über das die Nervenzellen miteinander in Kontakt treten: die Synapse. Auch diese „Brücke“ zwischen den Nervenzellen wird stärker, je öfter sie beansprucht wird: Wenn eine Nervenzelle eine andere Nervenzelle langandauernd und wiederholt erregt, dann verändert sich dadurch die Synapse und die Übertragung des Signals wird effizienter.

Wissenschaftler wollen die Ähnlichkeit zwischen Synapsen und Memristoren zum Beispiel nutzen, um Computer zu konstruieren, die ähnlich schnell und stromsparend wie das menschliche Gehirn arbeiten. Ein erster Schritt zu solchen künstlichen neuronalen Netzen ist dem Bielefelder Experimentalphysiker Privatdozent Dr. Andy Thomas und seinen Mitarbeitern Dr. Patryk Krzysteczko und Jana Münchenberger zusammen mit Professor Dr. Günter Reiss gelungen. Bisher war unklar, ob mit der Verstärkung des Signals im Memristor die Nervenzelle tatsächlich imitiert werden kann: Wie stark muss der Strom sein und wann muss er fließen, so dass sich die Leitfähigkeit des Memristors ändert? Die Nachwuchsforschergruppe um Andy Thomas liefert in ihrer jüngsten Veröffentlichung dazu nun entscheidende Messdaten.

Eine Nervenzelle erregt eine andere Nervenzelle, indem sie einen schwachen Stromstoß an sie „abfeuert“. Solche Stromstöße nennen Wissenschaftler „Spikes“. Die Bielefelder Forscherinnen und Forscher haben nun gezeigt, dass ein „Spike“ eine bestimmte Zeit durch einen Memristor geleitet werden muss, damit sich die Leitfähigkeit ändert. Mit ihren Experimenten bestätigten die Wissenschaftler die Annahme, dass die Übertragungsstärke von Memristoren bei Synapsen von früheren Spikes abhängt.

Mikroskop-Aufnahmen einer Schaltung mit 17 Memristoren: Das Bauelement soll in Zukunft für die Speicherung und Verarbeitung von Daten genutzt werden.
Mikroskop-Aufnahmen einer Schaltung mit 17 Memristoren: Das Bauelement soll in Zukunft für die Speicherung und Verarbeitung von Daten genutzt werden.

Ihre Ergebnisse gingen aber noch über diesen Befund hinaus: Sie stellten nicht nur fest, dass Memristoren wie Synapsen reagieren können – sie fanden außerdem heraus, dass sie ähnliche Eigenschaften wie die feuernden Nervenzellen aufweisen. Demnach zeigt der elektrische Widerstand in den elektronischen Bauteilen einen Verlauf wie er in ähnlicher Form in Nervenzellen vorkommt. Den Forschern zufolge springt der Widerstand zwischen zwei festen Werten hin und her, entsprechend dem Verlauf in natürlichen Nervenzellen.

Andy Thomas (Jahrgang 1975) lehrt und forscht an der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld. Nach einem zweijährigen Forschungsaufenthalt am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, kehrte er 2005 nach Bielefeld zurück, wo er sich 2009 habilitierte und eine NRW-Nachwuchsforschergruppe leitet. Diese wurde im Oktober 2009 eingerichtet und wird über fünf Jahre mit einer Million Euro von Forschungsministerium Nordrhein-Westfalen gefördert.

Die Forschung zu Memristoren an der Fakultät für Physik gehört zum Forschungsschwerpunkt „Molekular- und Nanowissenschaften“ (Molecular and Nano Sciences) der Universität Bielefeld. In diesem breiten Feld hat sich die Universität mit einem fokussierten Profil an den Schnittstellen zwischen Physik, Chemie, Biologie und Bioinformatik national und international deutlich sichtbar positioniert. Die aktuellen Forschungen reichen von Nanoschichten und Einzelmolekülprozessen bis hin zu bakteriellen, pflanzlichen und tierischen Zellen. Sie werden durch interdisziplinäre Kooperationen getragen und sind teilweise am Centrum für Biotechnologie (CeBiTec) angesiedelt.

Originalveröffentlichung:
Patryk Krzysteczko*, Jana Münchenberger, Markus Schäfers, Günter Reiss, Andy Thomas*, „The Memristive Magnetic Tunnel Junction as a Nanoscopic Synapse-Neuron System”, Advanced Materials, http://dx.doi.org/10.1002/adma.201103723, online erschienen am 5. Januar 2012, gedruckt am 17. Januar 2012.
Weitere Informationen im Internet:
www.spinelectronics.de

Kontakt:
Dr. Andy Thomas, Universität Bielefeld
Fakultät für Physik
Telefon: 0521 106-2540
E-Mail: andy.thomas@uni-bielefeld.de

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