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Die Intellektuellen auf dem Weg in die Wissensgesellschaft: Kulturelle Typisierungen und disziplinäre Verschiebungen (Nr. 7/2006)
Tagung im Zentrum für interdisziplinäre Forschung
Unter Leitung von Martin Carrier, Bettina Heintz und Johannes Roggenhofer (alle Bielefeld), findet vom 19. bis 21. Januar eine Tagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld zum Thema "Die Intellektuellen auf dem Weg in die Wissensgesellschaft: Kulturelle Typisierungen und disziplinäre Verschiebungen" statt.
Als Intellektuelle gelten in der Regel Geistes-, Gesellschafts- oder Naturwissenschaftler, Schriftsteller oder Künstler, die sich zu Fragen von breiterem Interesse mit Überlegungen von grundsätzlicher Tragweite öffentlich wahrnehmbar äußern. Es handelt sich also um Personen hoher fachlicher Reputation, die mit Öffentlichkeitswirkung einen Beitrag zu Fragen liefern, die den Kreis ihres Fachgebiets überschreiten. Dieser Beitrag ist dabei auf Fragen des Tages gerichtet, zielt jedoch seinem Anspruch nach über den Tag hinaus. In der Arbeitsgemeinschaft soll untersucht werden, von welcher Art der Einfluss von Intellektuellen auf die öffentlichen Debatten der Gegenwart ist, wie sich deren fachlicher Hintergrund darstellt und ob sich Unterschiede nach Maßgabe der jeweiligen Kulturräume ausmachen lassen. Dabei sollen auch mögliche Divergenzen zwischen Deutschland, Frankreich, den USA und der Schweiz zur Sprache kommen. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt dabei auf der Gegenwart. Allerdings werden die systematisch wichtigen Merkmale erst durch den historischen Vergleich deutlich wahrnehmbar.
Die Beiträge von Intellektuellen richten sich traditionell auf zwei Herausforderungen, nämlich die Verbesserung des Verständnisses von Sachinhalten und Problemfeldern von allgemeiner Bedeutung und die Rechtfertigung des Handelns in Fragen von übergreifender Signifikanz. Im einen Fall steht das Verstehen der Naturordnung und die Prägung des menschlichen Selbstverständnisses im Vordergrund, im zweiten gilt das Interesse primär dem politischen Tun, also den Prozessen gesellschaftlicher Entscheidungsfindung.
Traditionell gelten vor allem Philosophen, Historiker und Literaten als Intellektuelle. Eine der Veränderungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts besteht aber in einer verstärkten Aktivität von empirischen Wissenschaftlern als Intellektuelle. Zunehmend findet sich auch bei Natur- und Sozialwissenschaftlern ein Engagement, das sich in Stellungnahmen zu Fragen niederschlägt, für deren Beurteilung die jeweilige Fachgrundlage oder Disziplin zwar von Bedeutung ist, aber nicht hinreicht. Dieses Engagement drückt sich weitergehend auch in fachlich ungestützten Parteinahmen aus, bei denen nicht der Inhalt, wohl aber die Wirkungsbreite und Sichtbarkeit auf der fachlichen Reputation beruht. Eine Verbindung zur professionellen Identität besteht allenfalls in methodischer Hinsicht, nämlich durch die Verpflichtung auf die kritische Prüfung der Tatsachen sowie auf die Freiheit und Kühnheit des gedanklichen Entwurfs, die gemeinsam wissenschaftliche Aktivität und intellektuelles Engagement auszuzeichnen vermögen.
Zwei Typen von Intellektuellen
Grundsätzlich lassen sich zwei Typen von Intellektuellen unterscheiden, nämlich Intellektuelle als eine Form des Experten und Intellektuelle als ein Gegensatz zum Experten. Die Intellektuellen als Experten gliedern sich dabei wieder in zwei Formen auf, die eine mit einem Akzent auf theoretischem Verständnis, die andere mit einem Schwerpunkt im praktischen Handeln.
Erstens, der Intellektuelle als Experte in theoretischem Verständnis analysiert auf einer wissenschaftlichen Grundlage eine Frage oder einen Sachverhalt von öffentlichem Belang. Dabei werden die für das Verständnis der einschlägigen Zusammenhänge wesentlichen Informationen bereitgestellt, ohne dass ein Handlungsbedarf oder eine Handlungsempfehlung im Vordergrund stünde. Zweitens, der Intellektuelle als Experte im praktischen Verständnis strebt vor einem wissenschaftlichen Hintergrund eine Einflussnahme auf das politisch-gesellschaftliche Handeln an. Dabei geht es in der Regel nicht um konkrete Politikberatung, sondern um die Formung des Meinungsklimas. Ganz anders figuriert, drittens, der Intellektuelle als Gegensatz zum Experten. Danach richten sich die Beiträge von Fachleuten zu öffentlichen Debatten auf Tatsachen, die Urteile von Intellektuellen dagegen auf Werte. Intellektuelle in diesem Verständnis fällen Werturteile und ergreifen Partei. In der Arbeitsgemeinschaft soll unter anderem untersucht werden, ob sich die skizzierte Dreiteilung der Rolle von Intellektuellen tatsächlich bestätigt, und ob sich diese Typisierung in verschiedenen nationalen Traditionen und Streitkulturen mit hinreichender Trennschärfe empirisch identifizieren lässt.
Eine Änderung, die sich gegenwärtig abzuzeichnen scheint, ist die wachsende Bedeutung des spezifischen, sachbestimmten Urteils - also des Intellektuellen als Experten in beiderlei Verständnis - und die entsprechende Rückstufung von universellen Denkern - als einer Sonderform des Intellektuellen im Gegensatz zum Experten. Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass im Verlauf des letzten halben Jahrhunderts eine Professionalisierung der Beiträge von Intellektuellen zu verzeichnen ist.
In der Arbeitsgemeinschaft wird eine vernetzte Verarbeitung der verschiedenen Gesichtspunkte in ihrer Gesamtheit aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven und thematischen Orientierungen angestrebt. Dabei kommen sowohl Intellektuelle selbst zu Wort als auch Vertreter von Reflexionsdisziplinen wie Geschichtswissenschaft, Philosophie und Kultursoziologie. Wert gelegt wird auch auf die Beteiligung von Wissenschaftsjournalisten.
Weitere Informationen unter: www.uni-bielefeld.de/ZIF/AG/2006/01-19-Carrier.html
Tagungsorganisation: Tagungsbüro des ZiF, Tel.: 0521/106 2769; E-Mail: Trixi.Valentin@uni-bielefeld.de
Bei inhaltlichen Fragen: Prof. Dr. Martin Carrier, Tel.: 0521/106 4596; E-Mail: mcarrier@philosophie.uni-bielefeld.de
Link: http://www.uni-bielefeld.de/ZIF/AG/2006/01-19-Carrier.html