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Das Gehirn als Vorbild für stromsparende Schaltkreise (Nr. 31/2020)

Veröffentlicht am 19. Mai 2020, 10:04 Uhr

Vier Millionen Euro von EU für Projekt zur Datenverarbeitung mit Bielefelder Beteiligung

In herkömmlichen Computern müssen kontinuierlich Daten zwischen Rechen- und Speichereinheiten übertragen werden – ein langsamer und energieintensiver Prozess, der die Gesamtleistung und Energieeffizienz stark einschränkt. Ein Team internationaler Wissenschaftler*innen entwickelt in dem neuen EU-Projekt „BeFerroSynaptic“ Schaltkreise, die Aspekte eines biologischen Nervensystems nachbilden. Damit soll der Energiebedarf verringert werden. Die Universität Bielefeld ist eine von elf Partner*innen des Projekts. Die Europäische Union fördert die Forschung insgesamt mit vier Millionen Euro.

Prof.‘in Dr. Elisabetta Chicca forscht dazu, wie Aspekte des Gehirns in Computerschaltkreisen nachgebildet werden können. Foto: Universität Bielefeld
Prof.‘in Dr. Elisabetta Chicca forscht dazu, wie Aspekte des Gehirns in Computerschaltkreisen nachgebildet werden können. Foto: Universität Bielefeld
Dienste wie Bild- und Spracherkennung, Signalverarbeitung oder autonomes Fahren benötigen riesige Datenmengen. Viele kleine Geräte wie Smartphones verfügen nicht über die Rechenleistung, das Energiebudget und die komplexen Mikroprozessoren, die für viele Aufgaben erforderlich wären. Daher laden zum Beispiel virtuelle Assistenten Sprache zur Verarbeitung in die Cloud hoch. „Auch in den meisten modernen Computern sind die Rechen- und Speichereinheiten klar voneinander getrennt“, sagt die Informatikprofessorin Dr. Elisabetta Chicca vom Institut CITEC der Universität Bielefeld. Daten müssen aus einem Speicher heraus zu einem Rechenprozessor übertragen werden und nach der Verarbeitung wieder abgespeichert werden. „Dieser Prozess der Datenübertragung kostet sehr viel Energie und limitiert die Geschwindigkeit der elektronischen Datenverarbeitung“, sagt Chicca. 

Energieeinsparungen durch biologisches Konzept der Datenverarbeitung 
In dem EU-Projekt „BeFerroSynaptic“ arbeiten Forschende von elf Universitäten, Unternehmen und weiteren Institutionen zusammen. Sie sind auf verschiedene Bereiche spezialisiert: Materialwissenschaft, neuromorphe Schaltkreisentwicklung und Computerchip-Herstellung. Gemeinsam wollen sie eine neuromorphe Lösung mit niedrigem Stromverbrauch entwickeln. Diese kombiniert den Datenspeicher und die Datenverarbeitung. Dadurch verringert sich die benötigte Übertragungsmenge und die Daten können schneller verarbeitet werden. Die Neurowissenschaftlerin Chicca leitet die Forschung innerhalb des „BeFerroSynaptic“-Projekts in Bielefeld. Mit ihrer Arbeitsgruppe „Neuromorphe Systeme“ entwickelt sie biologisch-inspirierte Schaltkreise für das Projekt. 

Bei der biologischen Datenverarbeitung, zum Beispiel im menschlichen Gehirn, gibt es keine klare Trennung zwischen Datenspeicher und Datenverarbeitung: „Menschen haben keinen festen Speicherplatz an dem die ‚Daten’ liegen, bis sie in einem Prozessor verarbeitet werden“, sagt Chicca. „In Nervensystemen findet die Datenverarbeitung und Datenspeicherung an den gleichen Stellen, nämlich in den Neuronen und deren Verbindungen, den Synapsen, statt. Dies ist auch ein Grund, warum biologische Nervensysteme deutlich weniger Energie verbrauchen als moderne Computer.“

Neue Möglichkeiten für den Bereich der künstlichen Intelligenz
Chicca und ihr Team forschen hauptsächlich zur Entwicklung von elektronischen Schaltkreisen und Rechnereinheiten, die in der Lage sind, wie Tiere und Menschen auf Veränderungen in der Umwelt zu reagieren und zu lernen. Gemeinsam mit den anderen Projektpartnern haben sie es sich zum Ziel gesetzt, die Berechnungs- und Speicherfunktion in einer Schaltung zu kombinieren, wie es auch im Nervensystem mit Neuronen und Synapsen geschieht. „Die neuen Schaltkreise sollen einfache Lernaufgaben energieeffizient ausführen. Mit unserer Idee wollen wir immer größere neuronale Netze realisieren, die als künstliche Intelligenz genutzt werden können. Das ist ein radikal neuer Ansatz“, sagt Chicca. 

Daneben entwickeln die Wissenschaftler*innen ein Verfahren für die Computerchipherstellung mit ferroelektrischen Bauteilen. Ferroelektrizität beschreibt eine physikalische Besonderheit von einigen Materialien, die ihre Eigenschaften ändern, wenn eine elektrische Spannung angelegt wird. In Nervensystemen verbinden Synapsen einzelne Neuronen miteinander und bestimmen, wie stark ein Signal von einer Nervenzelle an die nächste weitergeben wird. „Wenn zum Beispiel ein Tier etwas lernt, verändern sich die Verbindungen in seinem Nervensystem und somit auch die Synapsen“, sagt Chicca. „Wir nutzen die ferroelektrischen Veränderungen der elektrischen Bauteile in unseren Schaltkreisen, um die Veränderungen von biologischen Synapsen während des Lernens nachzubilden.“ Diese Erkenntnisse leisten auch einen Beitrag, um Nervensysteme von Tieren besser zu verstehen. 

Zu Beginn des Projekts arbeiten die Bielefelder Neurowissenschaftler*innen mit Materialwissenschaftler*innen zusammen an einem Modell, das das Verhalten der neuartigen ferroelektrischen Bauteile in einem Schaltkreis beschreibt. Bis Ende des Jahres wollen die Forschenden einen Prototyp fertiggestellt haben. 

Das EU-Projekt „BeFerroSynaptic“ wird vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022 mit knapp vier Millionen Euro durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert. Als Partnerinstitution erhält die Universität Bielefeld eine Förderung in Höhe von rund 390.000 Euro.

Weitere Informationen:
Webseite des Konsortiums BeFerroSynaptic

Kontakt:
Prof.‘in Dr. Elisabetta Chicca, Universität Bielefeld 
Technische Fakultät / CITEC
Tel: 0521 106-12043

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