Medizin
Antiobiotica Awareness: WHO-Aktionstag Prognose: Ebenso viele Todesfälle durch Resistenzen wie durch Krebs
Antiobiotica Awareness: WHO-Aktionstag
Prognose: Ebenso viele Todesfälle durch Resistenzen wie durch Krebs
Bielefeld-Bethel. Der „Antibiotic Awareness Day“ am 18. November und die folgende „Antibiotic Awareness Week“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rücken den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika ins Licht der Öffentlichkeit. Ein Expertenteam des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) engagiert sich auf vielen Ebenen dafür, gibt Tipps für den Umgang und räumt mit Mythen auf.
Ob eine Mandelentzündung, ein Harnwegsinfekt oder ein entzündeter Mückenstich – viele Menschen haben schon häufig ein Antibiotikum von ihrem Arzt verschrieben bekommen. Dank Antibiotika können wir bakterielle Infektionen überwinden, und viele von uns verdanken ihnen das Leben.
Damit Antibiotika überlebenswichtige Retter in der Not bleiben, ist ein bewusster Umgang mit ihnen entscheidend. „Die Angst vor Resistenzen ist so alt wie das Antibiotikum selbst“ erläutert Univ.-Prof. Dr. Hendrik Bracht, stellvertretender Direktor der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie am EvKB.
Denn ein unsachgemäßer Einsatz kann Resistenzen begünstigen. „Antibiotika werden auch immer wieder verschrieben, wenn Erkrankungen durch Viren oder Pilze verursacht werden. Dazu kommt ein oft prophylaktischer Einsatz im großen Stil in der Nahrungsmittelproduktion“, ergänzt Univ.-Prof. Dr. Hendrik Bracht.
Ein Fakt, der fatale Folgen für unser aller Leben haben kann. Es sei perspektivisch möglich, dass bei einigen gefährlichen Erkrankungen kein wirksames Antibiotikum mehr zur Verfügung stehen könnte. „Es gibt düstere Szenarien, die bei einer Fortsetzung der aktuellen Entwicklung bis zum Jahr 2050 weltweit ebenso viele Todesfälle durch nicht mehr behandelbare Infektionen wie durch Krebs prognostizieren.“
Vor diesem Hintergrund macht sich das EvKB auf vielen Ebenen für den verantwortungsvollen Umgang stark. „Es gilt, Antibiotika so rational wie möglich zu nutzen“, erklärt der Intensivmediziner und ergänzt: „Beim mengenmäßigen Einsatz befinden wir uns im unteren Drittel unter den Krankenhäusern in Deutschland.“ Das gelinge nur durch einen systematischen Umgang mit dem Thema.
Der größte Hebel ist für Univ.-Prof. Bracht neben der Abklärung der bakteriellen Ursache eine möglichst kurze Einnahmedauer. „Es ist ein Mythos, dass man eine Packung Antibiotikum immer bis zum Ende nehmen sollte. Man sollte auf seinen Arzt hören und sich nicht an der Packungsgröße orientieren.“
Global gesehen, könnten dadurch große Mengen eingespart und Erregerresistenzen vermieden werden. Denn in Ländern wie Griechenland, in denen Antibiotika frei verkäuflich sind, seien die Zahlen für Verbrauch und Resistenzen vergleichsweise hoch.
„Ein Grund für die unnötige Einnahme kann auch die gelernte Erwartungshaltung von Patienten sein, ein Antibiotikum verschrieben zu bekommen“, sagt Dr. Ina Vedder. Die Fachärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin gehört zur eigens eingerichteten klinikübergreifenden Stabsstelle für Klinische Infektiologie, die sich bereits seit 2017 im EvKB dafür einsetzt, Resistenzentwicklungen im Krankenhaus zu vermeiden.
„Wir beraten die Kollegen auf der Intensivstation und weiteren Stationen, auf denen besonders sensible Patienten behandelt werden, bei der Auswahl des richtigen Antibiotikums und bei der Therapiedauer im Sinne eines rationalen Einsatzes.“ Das Team nimmt in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Klinikapotheke und der Mikrobiologie die Aufgabe des sogenannten „Antibiotic Stewardship“ (ABS) wahr, begleitet Visiten und steht allen Kollegen im EvKB und Krankenhaus Mara auf Anfrage zur Verfügung.
Ein Tipp von Dr. Ina Vedder: „Ich möchte allen Menschen, die glauben, an einer Penicillin-Allergie zu leiden, Mut machen, das zu überprüfen.“ Denn diese Einschätzung habe sich als falsch herausgestellt. Es handelt sich vielmehr um Nebenwirkungen. „Penicillin ist das älteste und bei vielen Erkrankungen das bis heute wirksamste Antibiotikum.“
Auch die jüngsten Patienten können auf einen bewussten Antibiotika-Einsatz zählen. „Man weiß, dass die häufigsten Krankheiten im Kindesalter viral verursacht sind“, erklärt Dr. Janina Soler Wenglein, stellvertretende Leitende Ärztin der Notaufnahme im Kinderzentrum Bethel.
Sie macht sich auch in Forschungsprojekten und über die Klinikgrenzen hinaus im ABS-Netzwerk Westfalen-Lippe für eine sinnvolle Antibiotikaverordnung stark. „Ein wichtiges Thema ist die Zusammenarbeit von niedergelassenen Kollegen und den Kliniken im Sinne einer möglichst geringen bakteriellen Resistenzentwicklung. Das funktioniert hier in der Region hervorragend.“
Ein Engagement mit großer Bedeutung, bedenkt man, dass wir schon heute von resistenten Erregern umgeben sind, die überall zu finden sind und zum Beispiel auch über eine Verletzung den Weg in den Körper finden können.
Die aufwändige Behandlung von Patienten mit Resistenzen unter höchsten hygienischen Standards gehöre auch schon heute zum Alltag des Intensivteams, berichtet Univ.-Prof. Dr. Hendrik Bracht. Dazu komme, dass es für die Pharma-Industrie wenig lukrativ sei, neue Antibiotika zu entwickeln. „Wir möchten den „Antibiotic Awareness Day“ nutzen, um alle Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren und die Wirkung lebensrettender Antibiotika zu erhalten.“