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Caring Masculinities als Gegenstand der Konflikt- und Gewaltforschung?

Veröffentlicht am 17. Februar 2021, 13:03 Uhr

Caring Masculinities als Gegenstand der Konflikt- und Gewaltforschung?

(see English version below) 

Geschlecht und damit verbunden Männlichkeit wird innerhalb der (feministischen) Geschlechterforschung als etwas begriffen, das sich in einem ständigen Wandel befindet und somit an spezifische historische Kontexte gebunden ist. Aktuell lässt sich im deutschsprachigen Raum beobachten, dass Männlichkeiten stärker mit Betreuungs- und Sorgeaufgaben verbunden werden, als es ein traditionelles Männlichkeitsbild zulässt. Care wird zunehmend als elementar zur Herstellung von Gleichstellung erachtet und somit auch hinsichtlich Männlichkeit stärker diskutiert (vgl. beispielsweise BMBF 2019). Im Kontext privater Sorgearbeit lassen sich neue Entwürfe von Väterlichkeit und somit Männlichkeit finden (vgl. Lengersdorf & Meuser 2016) und auch in der professionell bzw. öffentlich geleistete Fürsorge wird mehr Männlichkeit für Erziehungs- und Bildungsinstitutionen gefordert (vgl. für einen Überblick Rose & May 2014; Hurrelmann & Schulz 2012). Innerhalb der kritischen Männlichkeitsforschung wird dieser Transformation von Männlichkeit Rechnung getragen und unter dem Begriff Caring Masculinities solche Männlichkeiten verhandelt, die sich als kritischer Gegenentwurf zur hegemonialen Männlichkeit verstehen lassen, indem sie durch die Übernahme von fürsorgenden Tätigkeiten und der Ablehnung von Dominanz mit dem »klassischen« Männlichkeitsbild brechen. Vor allem die Überlegungen von Karla Elliot (2016) sind für die Konzeption von Caring Masculinities wegweisend, da sie mit ihrer Zusammenführung von kritischer Männlichkeitsforschung und feministischer Forschung zu Care einen ersten theoretischen Entwurf vorlegt. Dabei denkt Elliot (2016: 240) fürsorgende Männlichkeiten als „masculine identities that rejects domination and its associated traits and embrace values of care such as positive emotion, interdependence, and relationality“.  Besonders aufgrund einer wahrgenommenen Abwesenheit von Dominanz wird im Diskurs um fürsorgende Männlichkeiten oftmals die Annahme geteilt, dass über den Weg der Transformation männlicher Subjektivierungsweisen ein Beitrag zur Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses und weiter der Postwachstumsgesellschaft geleistet werden kann (für einen Überblick Heilmann, Korn & Scholz 2019). Fürsorgende Männlichkeiten werden also mit der Hoffnung verbunden, Teil eines feministischen Wandels hinsichtlich gesellschaftlicher Lebensweisen und Verhältnisse sein zu können, indem Männlichkeit auf hierarchisierende Praktiken verzichtet. Dies wird auch an außerwissenschaftlichen Diskussionen um fürsorgende Männlichkeiten deutlich, wie sich beispielsweise an der Zeitschrift an.schläge veranschaulichen lässt: Im Herbst 2019 titelte sie auf ihrem Deckblatt, dass feministischer Wandel fürsorgende Männer braucht und machte Caring Masculinities zum Schwerpunkt dieser Ausgabe. 

Entgegen der Hoffnung der Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses verweisen (empirische) Erkenntnisse jedoch auch darauf, dass diese fürsorgenden Männlichkeiten zur Aufrechterhaltung und Transformation hegemonialer Männlichkeit und männlicher Hegemonie beitragen können (vgl. Pangritz 2019, Pangritz 2020). An dieser Stelle setzt meine Dissertation an, die mit Hilfe der Figur des „strafenden Pädagogen“ (Pangritz 2020a; Diewald 2018) aufzeigen möchte, dass fürsorgende Männlichkeiten sich über die Verknüpfung zu abwertenden und antidemokratischen Einstellungsmuster und Praxen herausbilden können. In diesem Sinne kann gerade Care als Ventil für dominanzbasierte und antidemokratische Einstellungsmuster und Praktiken genutzt werden. Innerhalb meiner Dissertation zeigt sich dies vor allem über einen Mediationseffekt: hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen zeigten nicht nur positive Zusammenhänge zur Abwertung durch Feminisierung, also der Abwertung und Deprofessionalisierung weiblicher Fachkräfte und ihrem Vorgehen, und einer punitiven Erziehungsorientierung, vielmehr stellen hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen das Scharnier zwischen diesen beiden Abwertungsmechanismen dar (ausführlicher Pangritz 2019). Die Ergebnisse verweisen also darauf, dass mit der Neujustierung von Geschlecht die bei fürsorgenden Männlichkeiten stattfindet, auch eine Transformation männlicher Hegemonie stattfinden kann. In diesem Zusammenhang wird gerade über die Integration weiblich konnotierter Eigenschaften in die Männlichkeitskonstruktion die Anpassungsfähigkeit hegemonialer Männlichkeit gewährleistet, indem sie neue Kooperationen aushandelt und neue Wege findet, um ihre hegemoniale Position begründen zu können (Pangritz 2020). 

Es lohnt sich also für die Konflikt- und Gewaltforschung fürsorgende Männlichkeiten vertiefend in den Blick zu nehmen, da sich über die Transformation von Geschlecht auch Macht- und Herrschaftsmechanismen wandeln können. Auch wenn auf dem ersten Blick ein Bruch mit der gesellschaftlich akzeptierten Lebensweise von Männlichkeit(en) vollzogen wird, kann eine tiefergehenden Analyse auf die damit zusammenhängende Ambivalenz aufmerksam machen. Dann wird eben diese ‚Hybridität‘ von Männlichkeit sichtbar, die trotz gleichstellungsorientierter Tendenzen auch zur Aufrechterhaltung eines hierarchischen und damit konfliktären Geschlechterverhältnisses beitragen kann. Abschließend bleibt da eigentlich ‚nur‘ noch eine Frage für die Konflikt- und Gewaltforschung offen: Wie gestaltet sich Männlichkeit, die zur Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses beiträgt?

(Link z. Rahmenpapier: https://pub.uni-bielefeld.de/record/2948734


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Caring Masculinities as a Topic of Conflict and Violence Research?

Within (feminist) gender studies, gender and masculinity are understood as something that is in a constant state of change and therefore linked to specific historical contexts. Currently, it can be seen in the German-speaking world that masculinities are more strongly associated with care tasks than a traditional image of masculinity allows. Care is more often considered elementary for the creation of equality and is thus also discussed more strongly in terms of masculinity (cf. BMBF 2019). In the context of private care work, new designs of fatherhood and thus masculinity can be found (cf. Lengersdorf & Meuser 2016) and also in professionally or publicly provided care, more masculinity is demanded for educational institutions (cf. for an overview Rose & May 2014; Hurrelmann & Schulz 2012). Within critical masculinity research, this transformation of masculinity is taken into account and such masculinities are negotiated under the term Caring Masculinities, which can be understood as a critical concept to hegemonic masculinity by breaking with the "classical" image of masculinity through the assumption of caring activities and the rejection of dominance. In particular, the reflections of Karla Elliot (2016) are guiding for the conceptualization of Caring Masculinities, as she presents a first theoretical outline by bringing together critical masculinity studies and feminist research on care. In doing so, Elliot (2016: 240) thinks of caring masculinities as "masculine identities that rejects domination and its associated traits and embrace values of care such as positive emotion, interdependence, and relationality."  Especially due to a perceived absence of domination, the discourse around caring masculinities often shares the assumption that via the path of transforming masculine modes of subjectivation a contribution is made to the democratization of gender relations and further to the post-growth society (for an overview Heilmann, Korn & Scholz 2019). Caring masculinities are thus associated with the hope of being part of a feminist change regarding social ways of life and relations by masculinities avoiding hierarchizing practices. This is also evident in non-academic discussions of caring masculinities, as exemplified by the journal an.schläge: In fall 2019, it headlined on its cover that feminist change needs caring men and made Caring Masculinities the focus of this issue. 

However, contrary to the hope of democratizing gender relations, (empirical) findings also point to the fact that these same caring masculinities can contribute to the maintenance and transformation of hegemonic masculinity and male hegemony (cf. Pangritz 2019, Pangritz 2020). This is where my dissertation comes in, using the figure of the "punishing pedagogue" (Pangritz 2020a; Diewald 2018) to show that caring masculinities can emerge via connections to devaluing and anti-democratic attitudinal patterns and practices. In this sense, care in particular can be used as a way to express dominance-based and anti-democratic attitudinal patterns and practices. Within my dissertation, this is particularly evident via a mediation effect: hegemonic conceptions of masculinity not only showed positive connections to devaluation through feminization (the devaluation and deprofessionalization of female professionals and their actions) and a punitive parenting orientation, but rather, hegemonic conceptions of masculinity represent the connecting link between these two devaluation mechanisms (Pangritz 2019 in more detail). The findings thus point to the fact that with the reconfiguration of gender that takes place in caring masculinities, a transformation of masculine hegemony can also take place. In this context, it is precisely through the integration of female connotated traits into the construction of masculinity that the adaptability of hegemonic masculinity is ensured by negotiating new collaborations and finding new ways to be able to justify its hegemonic position (Pangritz 2020). 

Thus, it is worthwhile for conflict and violence research to take a deeper look at caring masculinities, as the transformation of gender can also transform mechanisms of power and domination. Even if at first look a break is made with the socially accepted way of life of masculinity(ies), a deeper analysis can draw attention to the ambivalence connected with it. This makes precisely this 'hybridity' of masculinity visible, which despite equality-oriented tendencies can also contribute to the maintenance of hierarchical and therefore conflicting gender relations. In conclusion, more or less 'only' one question remains open for conflict and violence research: How is masculinity shaped that contributes to the democratization of gender relations?


Literatur/References:

an.schläge – Das Feministische Magazin (2019): Caring Masculinities. Feministischer Wandel braucht fürsorgliche Männer. Ausgabe 3.

BMBF – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2019): Gender Care Gap – ein Indikator für Gleichstellung. Online: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap---ein-indikator-fuer-die-gleichstellung/137294 (Stand: 11.2.2021).

Diewald, Irmgard (2018): Männlichkeiten im Wandel. Zur Regierung von Geschlecht in der deutschen und schwedischen Debatte um ‚Männer in Kitas’. Bielefeld: Transcript Verlag.

Elliot, Karla (2016): Caring Masculinities: Theorizing an emerging Concept. In: Men and Masculinities 19 (3), S. 240-259.

Heilmann, Andreas/ Korn, Aaron/ Scholz, Sylka (2019): Vom Wachstum zur Fürsorge? Männlichkeiten in der Transformation kapitalistischer Wachstumsgesellschaft. In: Scholz, Sylka & Heilmann, Andreas (Hrsg.): Caring Masculinities? Männlichkeiten in der Transformation kapitalistischer Wachstumsgesellschaft. München: Oekom Verlag, S.13-42.

Hurrelmann, Klaus & Schultz, Tanjev (2012): Jungen als Bildungsverlierer. Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen? Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

Lengersdorf, Diana/Meuser, Michael (2016): Involved Fatherhood. Source of New Gender Conflicts? In: Crespi, Isabella/Ruspini, Elisabetha (Hg.): Balancing Working Family in Changing Society: The Father’s Perspective. New York: Palgrave Macmillan, S. 149-161.

Pangritz, Johanna (2020): Strafende Pädagogen – fürsorgend und doch hegemonial? Brauchen wir wirklich mehr Männlichkeit? Ein kritischer, quantitativer Beitrag zum Verhältnis von hegemonialen Männlichkeitsvorstellung, Feminisierung und Punitivität. Bielefeld: Universität Bielefeld. 

Pangritz, Johanna (2019): Fürsorgend und doch hegemonial? Eine empirische Untersuchung zum Verhältnis von Männlichkeit, Feminisierung und Punitivität in pädagogischen Kontexten. In: GENDER. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 11 (3), S. 132-149.

Rose, Lotte & May, Michael (Hrsg.) (2014): Mehr Männer in die Soziale Arbeit!? Kontroversen, Konflikte und Konkurrenzen. Opladen: Barbara Budrich.


 Bildrechte: Johanna Pangritz 

Dr.‘in Johanna Pangritz studierte Erziehungswissenschaft und Gender Studies an der Universität Bielefeld, wo sie anschließend auch im Bereich der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung promovierte. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FernUniversität in Hagen im Fachbereich empirische Bildungsforschung. Ihre Forschungsschwerpunkt sind feministische Theorie, kritische Männlichkeitsforschung, empirische Bildungs- und Sozialisationsforschung mit dem Fokus auf soziale Ungleichheiten sowie Diskriminierungs- und Vorurteilsforschung. 

Kontaktjohanna-maria.pangritz@fernuni-hagen.de

Dr.'in Johanna Pangritz studied Educational Science and Gender Studies at the Bielefeld University, where she also completed her doctorate in the field of educational gender research. She is holding a position in the work unit “ empirical eduaction research” at the FernUniversity in Hagen. Her research focuses on feminist theory, critical studies on men and masculinity, empirical educational and socialization research with a focus on social inequalities, and discrimination and prejudice research.

Contactjohanna-maria.pangritz@fernuni-hagen.de  


***Im IKGScienceBlog äußern sich Forscher*innen des IKG zu aktuellen gesellschaftlichen Themen aus der Sicht der Konflikt- und Gewaltforschung. Mit dem Blog soll die gesellschaftliche Debatte über aktuelle Konfliktthemen gefördert werden. Die Blogs stehen für die Sichtweise der Autor*innen.  

In the IKGScienceBlog, IKG researchers comment on current social issues from the perspective of conflict and violence research. The blog aims to promote the social debate on current conflict issues. The blogs represent the authors' point of view***

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