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Abt. Geschichtswissenschaft

Nachruf: Prof. Dr. Lothar Albertin (1924–2018)

Veröffentlicht am 3. April 2018, 10:58 Uhr

Die Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld trauert um ihr früheres Mitglied Prof. Dr. Lothar Albertin (1924–2018).
Seine Karriere kann emblematisch für Erfahrungen und Schlussfolgerungen von Angehörigen seines Jahrgangs stehen, die sich als Überlebende der Katastrophe ohne Machtgelüste und Neuerungssucht den intellektuellen wie pädagogischen Herausforderungen der Zeit stellten. Geboren 1924 im masurischen Ostpreußen kam Albertin nach Notabitur, Kriegsdienst an der Ostfront, Verwundung und kurzer Gefangenschaft nach Bad Meinberg. In Köln und Amsterdam studierte er Geschichte, Germanistik und Staatsphilosophie und schlug nach der Promotion bei Theodor Schieder bewusst die Schullaufbahn ein, um von unten her am Neuaufbau eines demokratischen Gemeinwesens mitzuwirken. Nach dem Referendariat am Gymnasium Leopoldinum in Detmold leitete er von 1957 bis 1960 im Jugendhof Vlotho Lehrgänge in staatsbürgerlicher Bildungsarbeit für Schüler und Geschichtslehrer. Von dort wechselte er an die Universität Marburg, später an die Universität Mannheim, wo er sich als Akademischer Oberrat habilitierte, und zwar für Zeitgeschichte sowie für Politische Wissenschaft. Die Habilitationsschrift erschien 1972 unter dem Titel „Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Volkspartei“ im Druck. Schon ihr thematischer Zuschnitt zeigt, dass Albertin die Chancen der Weimarer Republik sowie demokratisch-liberaler Politik überhaupt in den Blick rückte.
Mit der Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat und Privatdozenten waren die Weichen zur akademischen Laufbahn gestellt, die Albertin schließlich in seine zweite Heimat zurückführte: 1974 an die Pädagogische Hochschule in Bielefeld und 1979 an die damalige Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie der Universität Bielefeld. Hier lehrte er bis zu seiner Entpflichtung 1989 und diente der Fakultät auch als Dekan.
Seine wissenschaftlichen Arbeiten spiegeln Orientierungsbedürfnisse der Zeit; sie galten einerseits der Geschichte des Liberalismus und der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Die politische Neuorientierung der Bundesrepublik findet sich nicht weniger im zweiten Herzensthema Albertins: der Geschichte (West-)Europas und der europäischen Einigung. In den 1980er Jahren war er eine treibende Kraft im jährlich tagenden „Arbeitskreis deutsche Frankreichforschung“ am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Für den Frankreichfreund Albertin mit regelmäßigen Gastprofessuren in Bordeaux und Paris war diese Liebe zu unserem Nachbarland immer Teil seines Europäertums. Mit seinen Bielefelder Studenten reiste er regelmäßig nach Straßburg, und der Spitzname „Lothar Europa“ kam nicht von ungefähr.
Doch Mikro- und Makroebene, Heimatliebe und Weltbürgertum waren für Albertin weder Gegensätze noch Objekte subtiler Distinktionen. Vielmehr hat er als Hochschullehrer in Bielefeld die Detmolder Archivlandschaft als Chance verstanden und sie viele Jahre lang als Bereicherung für die eigenen Arbeitsansätze genutzt. Von früh an förderte er das Interesse an Lokal- und Regionalgeschichte, die in seinem Verständnis nicht getrennt von der „großen Geschichte“ zu sehen waren. Auf seine Initiative sind u.a. wichtige Arbeiten zum Einsatz von Zwangsarbeitern in der lippischen Industrie entstanden, die auch im Zusammenhang mit den Entschädigungsleistungen eine wichtige Rolle spielten. Die ihm 2007 zugeeignete Festschrift trägt den Titel „Zeit-Geschichten aus Deutschland, Frankreich, Europa und der Welt“.

Die Fakultät wird Lothar Albertin ein ehrendes Andenken bewahren.

Prof. Dr. Uwe Walter, Dekan

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