Abt. Geschichtswissenschaft
11. Juli 2024: Jürgen Straub (Ruhr-Universität Bochum) - Vergangenheit und ihre dunklen Spuren in der Gegenwart. Geschichtswissenschaft, Psychologie und Psychoanalyse in der kooperativen Erforschung aktueller Verletzungsverhältnisse
Der Begriff der „historischen Verletzungsverhältnisse“ ist nicht nur wichtig um zu begreifen, „in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben“, wenn wir in einer sogenannten Nachkriegsgesellschaft und/oder einer postmigrantischen Einwanderungsgesellschaft leben, in der zahlreiche Gruppen koexistieren, die dereinst als Täter oder Opfer in exzessive kollektive Gewalt verstrickt waren und diese Erfahrungen nicht nur selbst ein Leben lang nicht loswerden, sondern auch in intergenerationalen Transmissionen ‚weitergeben‘. Was das bedeuten kann, wird am Beispiel der belasteten Beziehungen zwischen türkeistämmigen Alevit:innen und Sunnit:innen im heutigen Deutschland dargelegt. Dabei wird die Notwendigkeit einer affekt- und emotionstheoretisch begründeten, also psychoanalytisch und psychologisch informierten Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung begründet. Aus dieser Perspektive wird nicht zuletzt deutlich, dass sich die Geschichtswissenschaft zwar mit der Vergangenheit zu befassen hat, aber mit einer Vergangenheit, die in vielen Fällen keineswegs „vergangenen“ ist. Dies bedeutet mitunter, dass die Vergangenheit nicht nur irgendeine ‚Bedeutung‘ für die Gegenwart hat, sondern die Lebenswirklichkeit bestimmter Gruppen, die in historisch, kulturell und sozial komplexen Gesellschaften koexistieren, maßgeblich (existenziell) bestimmt. Diese Sichtweise schützt nicht nur vor der „Vergangenheitsfixierung“ von Geschichtsverständnissen und -theorien, die die Geschichtswissenschaften allzu einseitig und objektivistisch auf die Frage festlegen, „wie es eigentlich gewesen ist“, sondern auch vor dem „Präsentismus“ jener geschichtsvergessenen Gegenwartsanalysen, die meinen, ganz ohne Vergangenheit und historisches Wissen auskommen zu können.
Im Anschluss lädt der Profilbereich Geschichtskulturen zum Sektempfang anlässlich der Verabschiedung Prof. Dr. Jörg van Nordens vor dem Hörsaal ein.
Uhrzeit: 16.00 - 17.30 Uhr
Ort: X-E0-002