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Wort des Tages - AR
Arabisch
سين
von rechts nach links zu lesen - /si:n/ - „ßi:n“
Kalligraphistunde
'Sin', mit einem stimmlosen "s“ und langem „i“ gesprochen, bezeichnet den Buchstaben 's' im arabischen Alphabet. Das Wort kann man sich gut merken über die s-förmige Sinuskurve, denn aus Kurven besteht das 'sin' auch.
In seiner isolierten Form sieht es so aus:
Am Wortanfang, oder wenn es verbunden wird, bleibt vom kurvigen 'sin' nur das kleine 'w' übrig.
Also tunke ich mein abgeschrägtes Schreibholz in die Tinte und male damit zwei schön füllige, bauchige Rundungen für ein verbundenes 'sin', die gut gelingen. „Oh ja!“, ruft Abdallah, der Kalligraphielehrer, mit Genugtuung aus, und ich schmunzle zufrieden. „Das machen wir niemals. Niemals gibt es Kreisbögen in der Kalligraphie. Vergiss das. Streich es aus deinem Gedächtnis. Schau dir die Vorlage an. Immer die Innenseiten der Strichführung. Siehst du, dass die Seiten Geraden sind? Und siehst du, dass der Bogen dazwischen asymmetrisch ist? Die Schrift hat einen Weg. Sie ist nicht statisch. Sie lebt. Und die Wellen sind nicht gleichgroß. Schau, die erste ist kleiner als die zweite. Die erste bringt die zweite hervor, die weiter ausholt und sich doch auf die erste stützt, als wolle sie sich abstoßen." Und malt mir ein vollkommenes 'sin'.
Es gefällt mir, und ich denke, dass die arabischen Kalligraphen etwas von Schönheit verstehen, wo die bildnerischen Geister in der arabischen Welt sich doch seit Jahrhunderten vornehmlich auf die Schrift konzentrieren, um das Bildverbot nicht zu verletzen. Ein ästhetisches Kondensat aus jahrhundertelanger Verfeinerung im engsten Spielraum, dem Menschen immer wieder Neues entlocken.