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Wort des Tages - Gr

Veröffentlicht am 12. Januar 2015, 06:22 Uhr

 Griechisch

 Χρηστός - Χριστός

Χρηστός (khrestos) bedeutet: tauglich, tüchtig, rechtschaffen;
Χριστός (khristos) bedeutet: gesalbt, und ist in der jüdisch-griechischen Literatur die Übersetzung des hebräischen „Messias“.

Im ersten Jahrhundert n.Chr. setzt in der griechischen Sprachentwicklung eine Umwandlung des Vokalsystems ein: Das Graphem η (eta), das bislang als langes offenes ē ausgesprochen wurde, wird jetzt als i realisiert. Die beiden Wörter Χρηστός - Χριστός sind somit zwar weiterhin im Schriftbild, aber nicht mehr in der Aussprache zu unterscheiden.

Dies hat nun eine Konsequenz für einen besonderen Text, das griechische Alte Testament, die Septuaginta (=70, so genannt, weil nach der Legende 70 Übersetzer ab 280 v.Chr. die hebräische Fassung ins Griechische übersetzt haben sollen, alle übrigens durch göttliche Inspiration in genau gleichem Wortlaut). Sowohl die Juden als dann auch die Christen lasen das Alte Testament auf Griechisch und stritten sich um die richtige Interpretation: Die Christen verstanden das Alte Testament als Vorankündigung auf das Neue Testament,
sie identifizierten den Χριστός mit Jesus. Mit Jesus war der Messias gekommen, die Verheißung war erfüllt. Das Alte Testament wurde christologisch als Prophezeiung auf Jesus hin interpretiert.

Dies hatte auf jüdischer Seite, für die Jesus nicht der Messias, der Χριστός ist, eine Konsequenz: Man distanzierte sich von der traditionellen Fassung der Septuaginta, die jetzt als christlich besetzt erschien, und fertigte neue Übersetzungen ins Griechische an, die extrem ausgangssprachlich, also eng am hebräischen Text orientiert waren. Das Alte Testament sollte so wieder jüdisch werden. Am weitesten ging dabei der Übersetzer Aquila. So ersetzte er in seiner Neu-Übersetzung nicht nur den Messiastitel
Χριστός durch ein anderes christologisch unverdächtiges griechisches Wort, sondern auch das bisherige, von der Bedeutung her eigentlich unverdächtige Χρηστός, das man jedoch in der Aussprache, gerade wenn der Text, wie in der jüdischen Liturgie üblich, laut vorgelesen wurde, nicht mehr von Χριστός unterscheiden konnte.

Ein Beispiel für Übersetzung als Mittel der religiösen Auseinandersetzung im Kampf um den richtigen Text, die richtige Textmeinung, im Kampf um die Glaubens-Wahrheit.

Peter Prestel


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