[Erziehungswissenschaft] Aktuell
Symposium „Verdeckungen sexualisierter Gewalt und erziehungswissenschaftliche Wissensordnungen“
Unter dieser Überschrift kamen am 13.1.2025 rund 80 Mitglieder der Fakultät für Erziehungswissenschaft in der Rotunde des ZiF für ein fakultätsinternes Symposium zusammen, um gemeinsam über das Verhältnis von erziehungswissenschaftlichen Wissensordnungen zu Ausformungen sexualisierter Gewalt nachzudenken. Im Mittelpunkt standen dabei nicht einzelne Personen, sondern die Verantwortung der Disziplin mit ihren pädagogischen Paradigmen, theoretischen Traditionen und Konzepten sowie (geschlechter-)habituelle Umgangsweisen. Diskutiert wurde, ob und wie diese dazu nutzbar waren – und vielleicht noch sind –, sexualisierte Gewalt zu ermöglichen und zu legitimieren. Unter dem zentralen Begriff der Verdeckung wurde dabei nicht nur das mehr oder weniger intentionale Unsichtbarmachen, das Verschleiern und Verbergen von Taten diskutiert, sondern ebenfalls bemerkenswerte Zusammenhänge von Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten: Etwas deutlich sichtbar zu machen bedeutet demnach immer, dass etwas anderes unsichtbar, abgeblendet oder ausgeschlossen wird und dazwischen operieren Mechanismen der Verdeckung. Deutlich wurde in den Gesprächen, dass eine entlastende aber keine ambiguitätsbewusste Position bedeuten kann, sich in der Erziehungswissenschaft oder Pädagogik auf der Seite derjenigen zu wähnen, die ja nur etwas Gutes wollen. Je mehr man sich auf der guten und richtigen Seite wähnt, desto schlechter lässt sich das Abgeblendete, das Dunkle und Abgewehrte erkennen, das möglicherweise auch mit dem vermeintlich eigenen verwoben ist bzw. wenn man den Zusammenhang zwischen Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten als konstitutiven denkt, verwoben sein muss.
Eingeladen waren vier Impulsgeberinnen. Prof. Dr. Elke Kleinau von der Universität zu Köln beleuchtete als langjähriges Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft die Perspektiven und Grenzen der Aufarbeitung des Umgangs mit sexueller Gewalt in einer Fachgesellschaft. Prof. Dr. Meike S. Baader von der Universität Hildesheim bündelte und systematisierte ihre Erfahrungen mit dem Umgang in der sich als reflexiv und selbstkritisch verstehenden Disziplin Erziehungswissenschaft mit Aufarbeitungsprozessen. Prof. Dr. Heidemarie Winkel aus der Bielefelder Soziologie-Fakultät beleuchtete die Mechanismen der Verdeckung sexualisierter Gewalt vor dem Hintergrund der Verkennung symbolischer Herrschaft in Religion. In der Diskussion zeigten sich bemerkenswerte Parallelen zur Erziehungswissenschaft“. Die diesjährige Gender-Gastprofessorin der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Dr. Marlene Kowalski von die Diakonie Deutschland, konnte nicht nur Gründe für die Verdeckung von sexualisierter Gewalt in Disziplin und Profession aufzeigen, sondern destillierte daraus auch hilfreiche Anregungen für organisationale Konsequenzen.
Die statusübergreifenden Diskussionen – auch in Form eines World-Cafés – kreisten um die Frage, wo die Fakultät Verantwortung trägt. Es konturierten sich in den Gesprächen die kritische Reflexion von Erziehung, Unterricht, Beratung und Bildung als Beziehungsgeschehen, sowie der disziplinäre Umgang mit Macht und Sexualität und deren je spezifische Symbolisierungen, also die professionsbezogene Thematisierung bzw. De-Thematisierung der Gestaltungspraxen von Nähe und Distanz. Als wichtig erwies sich auch der Blick auf spezifische Vulnerabilitäten und Betroffenheiten von sexualisierter Gewalt entlang vergeschlechtlicher, ableistischer, rassifizierter Strukturierungen, die Bedeutung der präzisen Benennung von Gewalt und Übergriffen als Unrecht und in dem Kontext auch das Sichtbarwerden organisationaler Schweigepraktiken, etwa durch fachsprachliche Umdeutung, De-Thematisierung oder die – auch medial geführten – Gegendiskurse von Aufarbeitungsprozessen.
Die Fülle der Themen und Fragen machten deutlich, dass das Symposium nur als Auftakt dienen konnte, der zumindest als Anstoß zur weiteren Aufarbeitung leisten kann. Diese Aufarbeitung und Selbstthematisierung werden gerade auch am Standort Bielefeld von der Fakultät intensiv weiter zu führen sein, so zumindest die Statements der Abschlussrunde.