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Herbert Dawid im Interview mit WDR5 "Neugier genügt"
Herbert Dawid, Professor für VWL, Wirtschaftstheorie und Computational Economics an der Universität Bielefeld. © Uni Bielefeld.
Am 19.03.2025 war CeUS Founding Director Herbert Dawid zu Gast in der WDR5-Sendung "Neugier genügt". Dort sprach er über aktuelle Forschung aus dem Kontext des CeUS, "unsichere Zeiten", und Unsicherheit als Innovationsmotor. Hören Sie den Beitrag in der WDR-Audiothek nach – oder lesen Sie hier fünf der wichtigsten Take-Aways.
Unsicherheit kann plötzlich entstehen
Tobi Schäfer (WDR5): Wie hartnäckig muss eine unsichere Lage sein? Ist das ein schleichender Prozess, bis man wirklich von unsicheren Zeiten spricht? Braucht es da langen Anlauf für?
Herbert Dawid (CeUS): Nein, ich denke, ein Unsicherheitsgefühl kann sich auch sehr plötzlich einstellen. Wenn es radikale Änderungen gibt, dann ändert sich das auch sehr schnell. Manchmal ändert sich aber auch überraschend wenig. Wir haben z.B. gerade über das Zentrum eine Befragung amerikanischer Wähler, vor und nach den Präsidentenwahlen jetzt im November, gemacht. Wir haben drei Wochen vor und drei Wochen nach der Wahl 300 Personen danach befragt, wie sie sich bezüglich gewisser wie Themen, Inflation, Gesundheitssystem, aber auch über den Ausgang der Wahl fühlen. Wir hätten eigentlich erwartet, dass die Unsicherheit nach der Wahl deutlich zurückgeht, was man aber überhaupt nicht beobachten kann, interessanterweise. Sie baut sich langsam aus. Tatsächlich nimmt die Unsicherheit über die Zeit zu und wird auch nach der Wahl nicht weniger.
Unsicherheit kann vernünftig sein
Tobi Schäfer (WDR5): Würden Sie sagen: Die Unsicherheit löscht erstmal den Mut und befeuert die Vernunft?
Herbert Dawid (CeUS): Vernunft kann natürlich beides sein. Es kann durchaus vernünftig sein, ein Risiko einzugehen und zu sagen, mir ist klar, mit hoher Wahrscheinlichkeit funktioniert das nicht, aber mit kleiner Wahrscheinlichkeit habe ich nachher einen sehr hohen Marktanteil generiere für mich einen ganz hohen Ertrag. Dann ist es vernünftig, genau das zu tun, auch wenn es mit hoher Unsicherheit behaftet ist. Das kann also vorkommen, aber in vielen stärker etablierten Märkten und wenn relativ klar ist, wie die technologische Aufstellung ist, ist eine reine Marktunsicherheit tatsächlich schädlich.
Verbindung von Kompetenzen als Stärke des Bielefelder Ansatzes
Tobi Schäfer (WDR5): In der unsicheren Zeit ist jeder für sich allein unsicher – könnten theoretisch Austausch über Unsicherheit und ein gemeinsames Entgegenwirken dann eher etwas bringen, als wenn jeder seine Unsicherheit für sich auslebt?
Herbert Dawid (CeUS): An sich ja. Das Versicherungsprinzip, dass Unsicherheit sozusagen vergemeinschaftet und damit natürlich für den Einzelnen reduziert, ist an der Stelle sehr sinnvoll. Was wir beim CeUS versuchen – und was glaube ich eine der Stärken dieses Bielefelder Ansatzes ist – ist, dass wir sehr viele unterschiedliche, auch methodische Kompetenzen verbinden. Wir würden gerne besser verstehen, wie genau diese Frage, die sie gestellt haben, sich beantworten lässt. Wir haben Unsicherheit der Einzelnen, aber die interagieren ja, sie kommunizieren miteinander, sie erzählen sich Dinge, da gibt es Social Influence , das heißt die Unsicherheit des einen überträgt sich auf den anderen. Die Frage, was in der gesamten Wirtschaft passiert oder auch nur auf einem Markt, ist eine schwierige Frage. Die kann man, indem man das Einzelverhalten versteht, noch nicht direkt beantworten und da braucht man dann auch gewisse Modelle. Oft sind das Simulationsmodelle, es können aber auch mathematische Modelle sein, bei denen man versucht, genau das zu verstehen. Wie wirkt sich das Zusammenspiel der Unsicherheit der Einzelnen auf die Gemeinschaft? Das ist eine, finde ich, sehr, sehr wichtige Agenda und das ist wissenschaftlich noch nicht gut verstanden.
Der persönliche Umgang mit Unsicherheit ist nicht einfach zu beeinflussen
Tobi Schäfer (WDR5): Wie kann man denn am besten mit Unsicherheit für sich persönlich umgehen? Also nicht unbedingt als Unternehmen in der Wirtschaft, sondern jeder für sich zu Hause in seinem Mikrokosmos. Denn da spielt Unsicherheit ja auch eine große Rolle. (...) braucht man auch eine private Investitionsbereitschaft auch in unsicheren Zeiten? Muss man dann einfach mutiger sein?
Herbert Dawid (CeUS): Wenn man sich den Schnitt eines Erwartungswertes (wie die Ökonomen es nennen) ansieht, dann ist es richtig, dass, wenn man eine höhere Risikobereitschaft hat, man im Schnitt besser aussteigt. Aber das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass es für den Einzelnen, wenn höhere Unsicherheit dabei ist, schlecht enden kann. Da lautet die Frage: Kann man damit umgehen, will man damit umgehen? Das hat viel mit der individuellen Einstellung zu tun. In unseren Befragungen sehen wir ganz klar: es gibt große Unterschiede, wie einzelne Personen mit Unsicherheit umgehen, auch wie einzelne Personen zum Beispiel mit widersprüchlichen Informationen umgehen. Das ist ein Punkt, der sehr interessant ist. Wenn man am Beginn sehr wenige Informationen hat und man bekommt dann ein paar Informationen und dann bekommt man nochmal eine zusätzliche Informationen, die aber der ersten Information widerspricht, ist die Frage, ist man nachher eigentlich sicherer oder ist man unsicherer als vorher? Das ist eine Frage, die rein empirisch unterschiedlich ausfällt. Manche Leute sind nachher sicherer und denken sich "Okay, dann liegt die Wahrheit wohl in der Mitte" und andere sind einfach verunsichert. Das sind, würde ich sagen, Persönlichkeitsmerkmale. Als Wissenschaftler müssen wir die einfangen und wahrnehmen. Ich bin nicht sicher, ob man sie verändern kann.
Völlige Sicherheit wäre auch keine Lösung
Tobi Schäfer (WDR5): Zum Schluss doch nochmal ein Blick in die Zukunft. Viele sehnen sich natürlich nicht nach unsicheren, sondern endlich mal wieder nach sicheren Zeiten. Wird das überhaupt nochmal so kommen oder wird es immer irgendwie eine Art von Unsicherheit geben?
Herbert Dawid (CeUS): Also ich glaube, die Idee "früher war alles viel sicherer", ist wahrscheinlich nicht ganz richtig. Ich glaube, es gab immer viel Unsicherheit und ich glaube auch nicht, dass wir zu Zeiten kommen, wo alles ganz sicher ist. Das wäre vielleicht auch ein bisschen langweilig (...) wenn alles sehr, sehr genau prognostizierbar ist, verringert das auch die Chancen und das macht vielleicht vieles im Leben weniger interessant. Aktuell gibt es ein bisschen zu viel Unsicherheit. Da würde auch ich hoffen, dass das wieder etwas weniger wird.
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