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Viele Wege führen zur Professur
Viele Wege führen zur Professur
Für einen akademischen Werdegang gibt es kein Patentrezept. In der Online-Veranstaltung „BGHS Alumni’s Experiences on the Way to a Professorship” berichteten sechs ehemalige BGHS-Mitglieder über ihre persönlichen und konkreten Erfahrungen und zeigten, dass es nicht den einen ‚richtigen’ Weg zur Professur gibt, sondern dass viele unterschiedliche Wege zur Professur führen können. Dabei sind diese Wege nur begrenzt planbar; sie ergeben sich vielmehr Schritt für Schritt. Und gerade weil Glück und Zufall oft die entscheidende Rolle spielen, sollte man sich auf dem Weg auf das konzentrieren, was man gerne tut und was einem sinnvoll erscheint.
„Strategically, it’s probably best in the post-doc period to teach as little as possible and focus on research. For me that just was never so interesting because I always wanted to do teaching and research. It’s not the smart thing to do but I’ve never been much of a strategist. I think in this academic field […] the chances are so low anyways and if I start doing things that would look good on paper but don’t make me feel good and in the end I fail then it wasn’t worth anything.” (Sebastian Teupe)
BGHS-Alumni im Gespräch mit BGHS-Koordinatorin Clara Buitrago
- Bettina Mahlert, Assistenzprofessorin für Soziologie an der Universität Innsbruck, Österreich
- Edvaldo Moita, Professor für öffentliches Recht an der Universidade Federal Fluminense in Rio de Janeiro, Brasilien
- Viktoria Spaiser, Associate Professor für Nachhaltigkeitsforschung und Computational Social Science an der University of Leeds, UK
- Li Sun, Lecturer für Soziologie und Sozialpolitik an der University of Leeds, UK
- Raphael Susewind, Associate Professor für qualitative Methoden an der London School of Economics in London, UK
- Sebastian Teupe, Juniorprofessor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth, Deutschland
Wege zur Professur
Auf die Frage von Clara Buitrago, wie sie zu ihrer derzeitigen Position gekommen sind, erzählten die Wissenschaftler:innen jeweils ganz eigene Geschichten.
Für Viktoria Spaiser, mittlerweile Associate Professor für Nachhaltigkeitsforschung und Computational Social Science an der University of Leeds (UK), führte der Weg von der BGHS über eine Postdoc-Stelle in Schweden auf ihre derzeitige Tenure Track-Position an der University of Leeds. Sie berichtete über zwei wichtige Dinge auf ihrem Weg: ihre Bereitschaft zur internationalen Mobilität und eine Intuition dafür, welche wissenschaftlichen Themen in ihrem Feld als Nächstes wichtig werden. Dadurch war sie genau passend für ihre jetzige Position.
Li Sun, Lecturer für Soziologie und Sozialpolitik ebenfalls in Leeds, nannte Mobilität und die Passung für den Arbeitsmarkt in Form von Publikationen und Vorträgen als wichtige Voraussetzungen für ihren Werdegang. Als Chinesin war sie von Vornherein nicht auf eine akademische Laufbahn in Deutschland festgelegt und hat sich international orientiert. Viele Aufgaben, mit denen sie zu Beginn ihrer jetzigen Tenure Track-Stelle konfrontiert war, waren erst neu und ungewohnt. Aber sie hat Leute gefunden, die sie unterstützt haben, und sagt heute: „Try to be open-minded to learn as much as you can in the first years“.
Edvaldo Moita ist nach der Promotion in Bielefeld zurückgegangen in sein Heimatland Brasilien, wo er als Professor für öffentliches Recht an der Universidade Federal Fluminense in Rio de Janeiro tätig ist. Fachlich ist er für diese Position durch ein abgeschlossenes Jurastudium und die Promotion in Soziologie qualifiziert. Nun sind die gesetzlichen Regeln für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst in Brasilien völlig andere als beispielsweise in Deutschland oder UK. Edvaldo erzählte, dass er eine schriftliche Prüfung ablegen musste, als eine passende Professur ausgeschrieben wurde. Diese Prüfung war dann die Grundlage für seine Einstellung.
Für Sebastian Teupe, den einzigen Historiker in der Runde und derzeit Juniorprofessor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth, spielte die Restrukturierung des Fachbereichs eine wichtige Rolle. Er hatte bereits eine Postdoc-Stelle an der Universität Bayreuth, als dort entschieden wurde, den Bereich der Wirtschaftsgeschichte durch die Einrichtung einer Juniorprofessur zu stärken. Für ihn eine perfekte Situation, da er schon da war und die Verhältnisse im Fachbereich sowie die Interessen der Kolleg:innen kannte. So setzte er sich im Berufungsverfahren durch. Ein kleiner Wermutstropfen ist allerdings, dass seine Juniorprofessur ohne Tenure Track ist.
Als alleinerziehende und vollzeitbeschäftigte Mutter hat Bettina Mahlert schon ihre Promotion unter herausfordernden Bedingungen geschrieben. Das Profil als Systemtheoretikerin hat ihr allerdings danach zu einer Postdoc-Stelle in Aachen verholfen, auf der sie ihre Habilitation geschrieben hat. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie zwischen Bielefeld und Aachen pendeln, weil ihr Sohn schon alt genug war, um ein paar Tage pro Woche allein zurecht zu kommen. Ihr fachliches Profil hat sie auch für die jetzige Stelle als Assistenzprofessorin für Soziologie an der Universität Innsbruck (Österreich) qualifiziert. An dieser Stelle sieht man, wie eng der akademische Arbeitsmarkt ist: Eine österreichische Assistenzprofessur entspricht der deutschen Juniorprofessur. Eigentlich sollen diese Stellen die Qualifizierung durch die Habilitation ersetzen. Bettina hat sie aber erst als habilitierte Wissenschaftlerin bekommen. Allerdings ist ihre Stelle mit Tenure Track ausgestattet, d.h. nach erfolgreicher Evaluation wird sie als Professorin in Innsbruck bleiben können.
Raphael Susewind hat sich schon früh gegen eine akademische Laufbahn in Deutschland entschieden, was mit den schwierigen Bedingungen im deutschen Wissenschaftssystem zu tun hatte, aber auch mit seinem Forschungsfeld, der Sozialanthropologie. Auf rund 50 Stellen in ganz Europa hat er sich beworben und zwei Zusagen für Tenure Track-Stellen bekommen. Eine davon am King’s College in London, wo er bis vor Kurzem gearbeitet hat. Mittlerweile ist er an der London School of Economics (LSE) beschäftigt. Dass er sich im Bewerbungsverfahren durchgesetzt hat, führte er nicht auf seine bessere Qualifikation oder Passung für die Stelle zurück, sondern auf Glück und Zufall. Er betonte, dass alle Bewerber:innen sehr gut sind in dem, was sie tun, und erzählte aus seinem Berufsalltag: Auf eine ausgeschriebene Stelle in seinem Institut an der LSE gebe es 120-150 Bewerbungen aus aller Welt, die er und seine Kolleg:innen innerhalb von einem Arbeitstag, wenn es gut laufe, lesen und ranken müssten. 50 Bewerber:innen seien dann perfekt qualifiziert, um den Job zu machen, und 20 von ihnen passten darüber hinaus perfekt in das Institut. Wer von diesen dann genommen werde, sei Zufall. Deshalb sei es wichtig, einen Plan A – nicht Plan B – zu haben für den Fall, dass die akademische Laufbahn nicht funktioniere. Man dürfe nicht nur für die Wissenschaft leben, sondern müsse Zeit für andere Dinge haben, für die Familie etwa. Er sagt: „You need to protect your limits and your health“. Auch Raphael hat zwei Kinder und war zeitweise alleinerziehend. Er habe sich damals ein Jahr Zeit gegeben, um herauszufinden, ob die Stelle in London in dieser Situation für ihn funktionierte – und das tat sie zum Glück.
„You do a lot of things that have nothing to do with being a good researcher.” (Raphael Susewind)
Die Professur – ein Traumjob?
Die Alumni machten deutlich, dass sie ihre Jobs mit Freude tun und die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten genießen. Aber auch dafür gibt es ganz unterschiedliche Bedingungen. Während Viktoria und Li sich ausführlich ihrer Forschung widmen können und dies als großen Vorteil herausstellten, betonten andere Teilnehmer:innen, dass ihnen die Lehre wichtig ist und Freude macht. Erstaunlich sei allerdings, wie wenig Zeit Professor:innen tatsächlich am Ende für eigene Forschung hätten, insbesondere wenn man bedenke, dass man die Stelle ja in der Regel wegen des eigenen Forschungsprofils bekomme. Aber als Professor:in verbringe man dann viel Zeit mit Lehre und Verwaltung oder Management. Es sei wichtig, dass man sich auf das konzentriere, was man wirklich tun wolle. Das könne auch Lehre sein oder Engagement in der Selbstverwaltung oder für die Scientific Community.
“There is like a hierarchy, an evaluation in the academic world like research is on top and has the highest prestige and then there is teaching and the third is administration. And we do not necessarily have to share this evaluation because I think people are different and there are different strengths and preferences.” (Bettina Mahlert)
Soziale Aspekte des Berufs, etwa Studierenden ‚Entwicklungshilfe‘ zu geben, was im Fall von First Generation Students Auswirkungen auch auf ganze Familien haben kann, wie Edvaldo für die brasilianischen Verhältnisse betonte, aber auch das Schreiben von Gutachten oder die Entwicklung eines Studiengangs tragen offensichtlich nicht wenig dazu bei, dass die Tätigkeit als sinnvoll erlebt wird. Direkt als Traumberuf erschien die Professur in den meisten Erzählungen nicht, was allein schon an dem engen Arbeitsmarkt und der Fülle der Aufgaben liegt, aber ist offensichtlich ein Beruf, der Freude bereitet, Sinn stiftet und als verantwortungsvoll erlebt wird.
„Over all, it’s a quite entertaining position and to some extent you get this feeling that you’re helping people improve their careers […], an improvement that can help the whole family.” (Edvaldo Moita)
Tipps für die Wege zur Professur
Als wichtigste Voraussetzungen für akademische Werdegänge nannten die BGHS-Alumni Flexibilität und Mobilität, am besten international. Diese Eigenschaften sind aufgrund des engen Arbeitsmarktes unbedingt nötig. Wichtig für den Weg seien aber auch Publikationen und in der Regel eine Postdoc-Stelle nach der Promotion. Eine Herausforderung liege darin, ein klares eigenes Profil zu entwickeln und sich damit im System zu positionieren. Notwendig ist dafür eine gewisse Übersicht über die Bedingungen im System, die man durch das Mitmachen im System und den Austausch mit anderen gewinnen kann.
Nützlich sind aber auch andere Eigenschaften, etwa mit Ablehnungen gut umgehen zu können, denn das wird man unweigerlich erleben. Auch ein gewisser Pragmatismus ist von Vorteil, der dabei hilft, Dinge fertig zu machen und dabei eine gute Qualität zu erzielen, aber nicht unbedingt nach Perfektion zu streben. Auch Geduld und Beharrlichkeit zahlen sich aus, denn der Zufall spielt eine große Rolle bei akademischen Berufswegen.
„Be good at failing because you will fail a lot […] and take initiative.” (Viktoria Spaiser)
Und nicht vergessen: Wissenschaft ist nicht alles! Professor:in sein ist eine Berufstätigkeit, die auch noch Platz für anderes im Leben lassen muss.
„Collectivise! […] Join the trade union, treat your work as work, […] not as your identity, not as who you are. […] The collectivisation also means be helpful, give care, build community, share ideas, share advice, share teaching resources. […] so that you can be proud of how you attempted to get there.” (Raphael Susewind)