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Spiegelbilder
Spiegelbilder
Lebensgeschichten sind nicht nur persönlich. So wie „die“ Geschichte nicht unpersönlich ist. Beide stehen in mitunter spannungsreichen Kontexten zueinander. Das zeigte der Interdisciplinary Dialogue zum Thema „Memories between Life Stories and History“, der am 15. April von der BGHS veranstaltet wurde, sehr eindrucksvoll.
Danielle Schwartz, Filmemacherin aus Israel, zeigte ihren mehrfach preisgekrönten Kurzfilm „Mirror Image“, in dem sie sich im Gespräch mit ihren Großeltern mit verschiedenen Perspektiven auf Ereignisse in der israelischen Geschichte auseinandersetzt. Ein dekorativer Wandspiegel, der im Haus der Großeltern einen Ehrenplatz hat, dient dazu, bisher Unausgesprochenes zu thematisieren, nämlich die Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung im Zuge der Staatsgründung Israels. Wie kam der Spiegel in die Familie des Großvaters? Gemeinsam mit ihren Großeltern versucht Danielle, die Geschichte des Spiegels aufzuschreiben und dabei sowohl den Lebenserinnerungen ihrer Großeltern als auch der historischen Erzählung gerecht zu werden. Schon die Bezeichnung der ehemaligen Besitzer stellt sich als schwierig heraus. War es eine palästinensische Familie, wovon Danielle ausgeht, oder eine arabische, wie ihre Großmutter sie bezeichnet? Und wie hat der Spiegel den Besitzer gewechselt? Durch Kauf, Nehmen, Plündern? Der Großvater weiß es nicht. Aber das Ringen um den Begriff, der beide Erzählungen zusammenbringt, ist auch ein konfliktreiches Ringen um eine gemeinsame Familiengeschichte.
Im Dialog der Filmemacherin mit der Soziologin Ruth Ayaß, dem Historiker Klaus Weinhauer und nicht zuletzt einem interessierten und klugen Publikum entfalteten sich die vielen Dimensionen des Films, dessen Bilder zeigen können, wofür die Sprache nicht ausreicht. Mit dem Ergebnis ihres Aushandlungsprozesses erklären sich die Großeltern und auch Danielle am Ende des Films einverstanden. Zufriedenstellend ist es aber offensichtlich nicht. Zu tief erscheint der Graben zwischen den unterschiedlichen Perspektiven. Umso berührender war es zu beobachten, wie die tiefe Zuneigung zwischen den dreien den Graben überbrückt, ohne der Versuchung zu erliegen, ihn zuzuschütten.
Dieser etwas andere Interdisciplinary Dialogue machte eine unerwartete Art der Auseinandersetzung möglich. Gemeinsam arbeiteten die Filmemacherin, die Wissenschaftler*innen auf dem Podium und das Publikum die Spannungslinien heraus zwischen den Erinnerungen der Großeltern mit der daraus folgenden Erzählung ihres Lebens einerseits und der Erzählung der Enkelin andereseits, die versucht, den historischen Grundkonflikt mitzudenken. Der Dialog bewegte sich damit nicht nur über disziplinäre Grenzen hinweg, sondern brachte auch Kunst und Wissenschaft in einen fruchtbaren Austausch.