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Let's talk! Praktiker*innen-Gespräch #7
:: Außeruniversitäre Karrieren ::
Praktiker*innen im Gespräch #Teil 7
Viele Wege führen aus der BGHS. Aber wohin führen Wege nach der Promotion konkret? Wir sprechen im Wintersemester mit Historiker*innen und Soziolog*innen, die ihren Beruf außerhalb der Universität ergriffen haben. Hans-Walter Schmuhl hat mit uns über seine Tätigkeit als freiberuflicher Historiker gesprochen.
Hans Walter Schmuhl an seinem Arbeitsplatz.
Herr Schmuhl, wenn Sie sich an Ihren Einstieg in Ihren Beruf als freiberuflicher Historiker erinnern: Wie haben Sie den Einstieg gefunden?
Hans-Walter Schmuhl: Das war in der Phase, als ich die Habilitation abgeschlossen hatte und Privatdozent war. Dann geht ja die Ochsentour los: Dass man sich auf Lehrstühle bewirbt. Das ist zunächst eine ziemlich frustrierende Angelegenheit. Weil das eine ganze Weile dauert, bis man mal eingeladen wird. Und dann darf man vorsingen. Man könnte salopp sagen: Ich hab die Geduld verloren. Weil es eine Lebensphase ist: Da ist man eigentlich im besten Alter – Ende dreißig, Anfang vierzig – und möchte eigentlich inhaltlich arbeiten. Aber im Grunde genommen fühlt man sich wie in einer Art Warteraum. Und man weiß nicht genau, wie es ausgehen wird: Welche Tür öffnet sich? Bekommt man einen Lehrstuhl oder sonst irgendeine feste Stelle mit Pensionsberechtigung? Oder ist das letztendlich eine Sackgasse? Und muss man sich am Ende doch ganz neu orientieren?
Und in dieser Situation hab ich mich entschieden – sehr aktiv entschieden. Der konkrete Hintergrund war, dass ich ein Angebot hatte, im Wissenschaftsbetrieb zu arbeiten. Ich hab das Angebot aber nicht angenommen. Weil das eine Stelle gewesen wäre, wo es nur um Wissenschaftsmanagement gegangen wäre. Und ich bin Forscher: Ich will selber forschen. Und das hab ich zum Anlass genommen, schon länger erwogene Pläne zu verwirklichen, und zu sagen: Jetzt gehe ich in die Selbständigkeit. Und ich mache eine ganz offensive Informationspolitik: Ich sage das allen Leuten. Das war damals ein Sprung ins Ungewisse, weil das nur sehr wenige Kolleginnen und Kollegen machten. Es gab irgendwie noch keine Anhaltspunkte, wie das ist: mit der Akquise von Aufträgen; ob sich das letztlich rechnet; und wie man kalkuliert. Also, im Grunde genommen: Das war ein Anfang mit ganz vielen Fragezeichen.
Als freiberuflicher Historiker arbeiten Sie seit 20 Jahren im Auftrag von verschiedensten Organisationen. Wenn Sie es am Beispiel eines Ihrer laufenden Projekte beschreiben: Was ist ein typischer Ablauf eines solchen Projekts?
Hans-Walter Schmuhl: Am Anfang muss ein Interesse bestehen. Also, der Auftraggeber muss auf die Idee kommen, einen Auftrag zu erteilen. Ein typisches Muster zeigt sich in einem meiner laufenden Projekte im Bereich der Diakoniegeschichte: Der Anlass ist eine Skandalisierung. Es hat Presseberichte gegeben, dass es in Einrichtungen dieses Trägers in den fünfziger, sechziger Jahren zu gewalttätigen Übergriffen gekommen ist; und dass es zumindest in einem Fall eine Arzneimittelprüfung gegeben hat, die in einer rechtlichen Grauzone sich bewegte. Und das ist natürlich für ein Unternehmen, auch für ein diakonisches Unternehmen, eine Frage des Images, zu sagen: Gut, wir beauftragen unabhängige Forscher*innen. Die sollen das untersuchen. Auf unsere Kosten. Und dann stellen wir uns unserer Verantwortung.
Also, da war das Interesse da. Dann ist die Frage: Wie kommen Auftraggeber und Auftragnehmer zusammen? Und das war in diesem Fall ziemlich einfach, weil unser Team, in dem wir den Auftrag durchführen: Wir haben vorher zu einer anderen Einrichtung gearbeitet, die in die Schlagzeilen geraten war. Das haben wir gut hinbekommen, obwohl die vorangegangene Presseberichterstattung zu einer angespannten Atmosphäre zwischen der Einrichtung, Betroffenen und ihren Fürsprechern geführt hatte. Am Ende wurden unsere Ergebnisse von allen Seiten anerkannt. Und dann hat der neue Auftraggeber gesagt: Könnt Ihr das für uns auch machen? Das ist typisch. Dann tritt man in Verhandlungen ein und muss den Vertrag abschließen.
Wir haben für uns drei Eckpunkte guter wissenschaftlicher Praxis definiert, auf denen wir bei der Vertragsgestaltung unbedingt beharren: Erstens, dass uns der Auftraggeber inhaltlich keine Vorgaben machen kann. Zweitens, es muss einen uneingeschränkten Zugang zu den Quellen des Auftraggebers geben. Und drittens, es darf keinen Publikationsvorbehalt geben. Das handhaben wir anders als manche Kollegen im Bereich der Wirtschaftsgeschichte. Unternehmen geben häufig die Darstellung ihrer eigenen Geschichte in Auftrag und halten im Vertrag fest: Sie nehmen das Werk ab. In diesen Fällen entscheidet der Auftraggeber, ob das Werk publiziert wird oder ob es zum internen Gebrauch in die Schublade gelegt wird. Und da haben wir entschieden: Das machen wir nicht. Was wir erforschen und schriftlich niederlegen, muss auch publiziert werden. Das ist ein Punkt, an dem manchmal Verträge scheitern.
Allerdings: Wenn wir das nicht so sauber durchziehen würden, dann hätte der Auftraggeber keinen Nutzen davon. Wenn am Ende steht: „Die haben rausgefunden: Es war so und so. Und vielleicht: Manches war nicht so schlimm, wie ursprünglich befürchtet worden war. Dann heißt es leicht: Aber das ist ja Auftragsforschung.“ Und die öffentliche Debatte geht weiter. Wenn wir unser Buch mit den Befunden unserer unabhängigen Forschung schließlich auf einer Pressekonferenz vorlegen, findet die Diskussion in den Medien normalerweise ein Ende. Und das liegt natürlich auch im Interesse des Auftraggebers. Das heißt nicht, dass das Thema damit erledigt ist: gemeinsam mit Betroffenen wird nach Möglichkeiten gesucht, erlittenes Leid zu entschädigen, in internen Fortbildungen werden die historischen Befunde an die Mitarbeiterschaft vermittelt, auch in aktuellen Leitbildprozessen spielen sie mitunter eine Rolle.
Hans-Walter Schmuhl am Podium im Kontext einer Veranstaltungsreihe.
Welche Tipps haben Sie für Historiker*innen, die in Erwägung ziehen, sich selbständig zu machen?
Hans-Walter Schmuhl: Also, das A und O ist: vernetzen, vernetzen, vernetzen. Auf allen Ebenen. Ich würde Studierenden immer raten: Schreiben Sie ruhig Wissenschaftler*innen an, die in dem Themenfeld arbeiten, in dem sie Ihre Abschlussarbeit schreiben. Schlimmstenfalls bekommen Sie keine Antwort. Im besten Fall machen Sie schon mal jemanden auf sich aufmerksam. Wenn man in der Promotionsphase ist: nicht verkriechen. Auf Konferenzen gehen. Auf Workshops gehen. Also, je mehr Leute man kennt, in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, umso besser. Also, eine schematische Akquise, nach dem Motto: So, ich bin jetzt da. Keiner kennt mich. Aber ich mach jetzt ein ganz tolles Werbeprospekt und schreib alle an: Das bringt erfahrungsgemäß so gut wie nichts. Das läuft umgekehrt: Dass Ihr Name bekannt ist und Sie angesprochen werden.
Zweitens würde ich empfehlen, das eigene Arbeitsfeld nicht zu eng definieren. Wenn man ein Thema hat, auf das man sich ganz fokussiert hat, und das, sagen wir mal, noch ein bisschen verstiegen ist: Damit kann man nichts machen. Dann muss man sich mühsam in andere Felder einarbeiten. Und drittens: Ja, es ist eben eine Sache der Einstellung. Also, wenn man für sein Leben gerne im Archiv rumschnüffelt, das dann hinterher aufschreibt und das einem was gibt: Dann hat man die richtige Motivation, das zu machen. Wenn man sagt: Ich möchte gerne von 9 bis 17 Uhr arbeiten. Dann hätte ich gerne Feierabend. Und wichtig ist mir: Wochenende. Dann ist man als Selbständiger, egal in welcher Branche, fehl am Platze.
Herr Schmuhl, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Ulf Ortmann.
Das komplette Gespräch als PDF findet ihr hier:
Weiterführende Informationen zu dem Projekt "Außeruniversitäre Karriere":