BGHS.AKTUELL
Kosten und Belohnungen auf den Wegen zur Professur
Kosten und Belohnungen auf den Wegen zur Professur
Dass es nicht den einen Königsweg zur Professur gibt, zeigten schon die vergangenen Online-Veranstaltungen der BGHS unter dem Titel „BGHS Alumni’s Experiences on the Way to a Professorship“. In der dritten Auflage, die Anfang Juli stattfand, begegneten sich nun unterschiedliche akademische Welten in Deutschland. Theo Jung berichtete über seinen Weg zu einer Professur für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Halle-Wittenberg und traf auf Dorothee Wilm, die ihre Erfahrungen als mehrfache Vertretungsprofessorin an der Hochschule Bielefeld schilderte. Im Gespräch mit Clara Buitrago von der BGHS-Geschäftsstelle spielten bei beiden die spezifischen Kosten und Belohnungen, die das deutsche akademische System bereithält, eine große Rolle.
(Foto: Theo Jung)
(Foto: Dorothee Wilm)
Mobilitäten – regional und sektoral
Die hohen Erwartungen an die Mobilität von Anwärter*innen auf eine akademische Karriere waren bei dem Gespräch ein wichtiges Thema. Theo, der ursprünglich aus den Niederlanden stammt, erzählte, dass er für die Promotion nach Bielefeld kam, dann für die Habilitation eine Assistentenstelle an der Universität Freiburg annahm und für die Professur an die Universität Halle-Wittenberg wechselte. „I went where the job was“, meinte er nüchtern. Für Dorothee kam das nicht in Frage. Sie hat eine Familie mit zwei kleinen Kindern und hat sich schon früh entschieden, in Bielefeld zu bleiben. Das ist ihr wichtiger als eine Professur zu bekommen. Ihre Mobilität bezieht sich auf unterschiedliche Sektoren des Arbeitsmarktes. Sie hat vor der Promotion bereits sechs Jahre in einem Unternehmen gearbeitet und sieht für sich die Möglichkeit, in die Wirtschaft zurück zu wechseln. Diese Berufserfahrung außerhalb der Hochschule qualifizierte sie auch für die Vertretungsprofessuren an der Hochschule Bielefeld, die sie seit vielen Jahren übernimmt, allerdings immer befristet.
Arbeitspensum: „I’m enjoying what I’m doing but it’s a lot“
Beide betonten, dass sie ihre Arbeit sehr gerne tun und sich wohl damit fühlen. Aber sie sprachen auch über den hohen Arbeitsaufwand und wie sie damit umgehen. Für Dorothee ist die Lehre die Hauptaufgabe; das Lehrdeputat an der Fachhochschule liegt bei 18 Stunden. Aber sie wies darauf hin, dass die Seminare sich wiederholen und sie ein Portfolio von etwa zehn komplett vorbereiteten Veranstaltungen hätte. Die Vorbereitung sei aber in den ersten Jahren sehr hart gewesen, weil die Studierenden der Hochschule daran gewöhnt sind, anhand von Skripten und Präsentationen zu lernen. Diese musste sie erst einmal erstellen. Die hohe Anzahl an Lehrveranstaltungen zieht zudem viel Kommunikation mit den Studierenden und viele Prüfungsleistungen nach sich. „I work highly efficient and I don’t make breaks“, beschrieb sie ihren Umgang mit diesem Arbeitspensum. Für Forschung bleibt allerdings während der Arbeitszeit nur wenig Raum. Wissenschaftliche Artikel oder Projektanträge schreibt sie am Wochenende oder nachts. Auch Theo berichtete über eine Vielzahl von Aufgaben, die in seinem Arbeitstag untergebracht werden müssen. Anwärter*innen auf eine akademische Karriere gab er den Rat: „Be a workaholic“. Als er vor zweieinhalb Jahren auf die Professur berufen wurde, erhöhten sich für ihn die Anforderungen enorm. Gegenüber der Zeit als Assistent verdoppelte sich das Lehrdeputat auf acht Stunden, die jedes Semester neu vorbereitet werden müssen. Als Lehrstuhlinhaber hat er außerdem Personalverantwortung für seine Mitarbeiter*innen. Hinzu kommen Aufgaben im Management auf Hochschul- und Fakultätsebene, aber auch in Forschungsgruppen, auf die er nicht gut vorbereitet war. Und dann gibt es noch Aufgaben in verschiedenen Öffentlichkeiten, etwa in Kommissionen in Museen, Stiftungen, Zeitschriften und Buchreihen, Auswahlgremien für Preise und Forschungsförderung. „I take that serious“, wie er sagt, aber das seien ebenfalls neue Aufgaben für ihn gewesen, die er erst einmal hätte verstehen lernen müssen. Nebenbei noch Forschung zu machen, sei für ihn als Historiker schwierig, denn dafür müsse er normalerweise ins Archiv. Jetzt schreibe er eher Projektanträge für Forschung, die dann andere Leute erledigen. All das passiere viel als Teamarbeit, was er ebenfalls nicht gewohnt gewesen sei.
Zugehörigkeit und Anerkennung
Das Gespräch zeigte, dass es wichtig ist, ob und wie man sich in der Wissenschaft zugehörig und anerkannt fühlt. Für Theo scheint es immer klar gewesen zu sein, dass er in die universitäre Wissenschaft gehört. Auch wenn er einige Jahre gedauert hat, so war sein Weg doch sehr direkt: vom Studium über die Promotion und Habilitation zur Professur. Mittlerweile ist er Teil der Universität und der wissenschaftlichen Community, was sich nicht zuletzt in den vielfältigen Managementtätigkeiten zeigt, die er zu erledigen hat. „Be visible“, riet er den Promovierenden, „be part of the environment”. Wenn man seine Forschungsarbeit der wissenschaftlichen Community präsentiere, würden die Kolleg*innen vielleicht an einen denken, wenn jemand für einen Job gebraucht würde. Wichtig sei, auf die Qualität der Qualifizierungsarbeiten zu achten. Dorothees Erzählung ist zwiespältiger. Sie habe sehr hart an ihrer Dissertation gearbeitet und sei sehr stolz darauf, aber für ihre derzeitige Position sei das nicht so wichtig. Sie schilderte, wie sie sich als Wirtschaftssoziologin zwischen den Stühlen fühlte: Die Ökonom*innen wollten nicht über Soziologie reden und die Soziolog*innen nicht über Wirtschaft. So scheint sie in keine der Disziplinen so ganz zu gehören. Auch hätte sie in der Universität den Rat bekommen, nicht über ihre Berufserfahrung im Unternehmen zu sprechen, weil das ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit in Frage stellen könnte. Sie fand das verrückt, wie sie sagt, denn diese Erfahrung gehörte zu ihr und sie lernte viel in diesen Jahren. In der Fachhochschule wird beides wiederum als Qualifikation anerkannt, ihre doppelte wissenschaftliche Expertise und ihre Unternehmenserfahrung. Dadurch passte sie in den Fachbereich Wirtschaft, in dem sie seit Jahren arbeitet.
Und das Thema Sicherheit?
Das Thema prekärer Beschäftigung in der Wissenschaft spielte in dem Gespräch kaum eine Rolle. Theo erzählte, dass er in der Postdoc-Phase als Assistent zwar zwischendurch auch kurz befristete Arbeitsverträge hatte, aber er hatte immer das Vertrauen, dass der Vertrag verlängert wird. Am Schluss dieser Phase hat er dann noch einige Fellowships eingeworben, um Zeit zum Schreiben der Habilitation zu haben. Er betont aber auch, dass ein gehöriges Quentchen Glück immer dazugehört. Dorothee profitiert von ihrer Doppelqualifikation, ihrer Berufserfahrung im Unternehmen und ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit. Ihre Aussichten auf eine Lebenszeitprofessur in Bielefeld schätzt sie eher gering ein, aber wie sie sagte: „I could change to a company at any time and I’d be happy there as well”.
Quintessenz
Theo und Dorothee sind letztlich sehr zufrieden mit ihren doch sehr unterschiedlichen Positionen und Umständen. Bei allen Kosten haben sich ihre jeweiligen Berufswege gelohnt. Theo rät dazu, sich auf das Abenteuer der akademischen Karriere nur einzulassen, wenn man wirklich sicher ist, dass man das will, und bereit ist, die Kosten zu tragen. Für Dorothee hat sich am Ende ausgezahlt, dass sie nirgends eindeutig hingehört, aber dafür überall einsetzbar ist.
Die Wege zur Professur sind hochindividuell. Das geht auf Kosten der Planbarkeit und belohnt mit vergleichsweise großen Freiheiten. Wer diesen Weg einschlägt, sollte sich die Chancen und Risiken bewusst machen. Die regelmäßige Online-Veranstaltung mit Alumni der BGHS soll dabei helfen.