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Interdisciplinary Dialogue „Language, Culture, and Academia”
Interdisciplinary Dialogue „Language, Culture, and Academia”
Das Verhältnis von Sprachen und Kulturen hat in der Wissenschaft viele Fassetten. Das haben Interviews, die BGHS-Koordinatorin Clara Buitrago Anfang 2024 mit zehn internationalen BGHS-Promovierenden durchführte, eindrucksvoll gezeigt. Der Interdisciplinary Dialogue der BGHS, der im Juni stattfand unter dem Titel „Language, Culture, and Academia“, nahm einige davon näher unter die Lupe. Mit der Übersetzerin Sandra Lustig (Hamburg), der Linguistin Ingrid Piller (Hamburg) und der Historikerin Lisa Regazzoni (Bielefeld) saßen drei Expertinnen zu dem Thema auf dem Podium, die kenntnisreich, unterhaltsam und mit viel Schwung über eigene Konfrontationen mit der Internationalisierung von Hochschulen, Englisch als wissenschaftlicher lingua franca und Deutsch als Wissenschaftssprache diskutierten.
„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ (Max Frisch)
Moderatorin Sabine Schäfer (Akademische Geschäftsführerin der BGHS) leitete die Diskussion mit der Beobachtung ein, dass Internationalisierung für Hochschulen zwar ein heißes Thema ist, dass es in den Debatten aber vor allem um den Reputationsgewinn für die Hochschulen geht und die eigenen Erfahrungen und Erwartungen von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kaum eine Rolle spielen. Ingrid Piller gab dazu anhand ihres Buches „Life in a New Language“ einen Einblick in ihre jahrelange Forschung zu Fremdspracherwerb und sozialer Teilhabe in Australien. Demnach schaffen es insbesondere religiöse Gemeinschaften, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln, indem sie die Menschen nehmen wie sie sind und damit ermöglichen, auch ohne perfekte Sprachkenntnisse eine neue Gemeinschaft zu finden. Sie stellte die Frage, was säkulare Einrichtungen wie Universitäten von Kirchen oder Moscheen in dieser Hinsicht lernen könnten. Lisa Regazzoni berichtete über ihre persönlichen Erfahrungen, als sie während des Philosophiestudiums nach Deutschland kam, um Hegel im Original lesen zu lernen. Das Leben in einer Wohngemeinschaft ermöglichte ihr, sich zugehörig zu fühlen. Aber sie wies auch darauf hin, wie schmerzhaft das Gefühl ist, nicht man selbst sein zu können, weil man sich in der Fremdsprache nicht gut ausdrücken kann. Ingrid ergänzte, dass Hochschulen und andere Institutionen nicht gut darin sind, die Ankommenden als ganze Menschen anzusehen, die nicht nur eine neue Sprache, sondern auch Dinge wie Bürokratie verstehen lernen müssten, und erinnerte an den Spruch von Max Frisch „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“. Dazu berichtete Sandra Lustig aus ihrem Alltag als Übersetzerin an der Universität Hannover, wo sie u.a. administrative Texte übersetzt. Das Problem mit diesen Texten sei, dass sie auch für Deutsche schwer zu verstehen seien. Beschäftigte in der Verwaltung, die Fragen dazu vielleicht beantworten könnten, würden das oft nicht gerne auf Englisch tun, weil sie keine falsche Auskunft geben möchten oder einfach nicht gut genug Englisch sprechen. Sie warf die Frage auf: Was ist in dieser Hinsicht eigentlich die Aufgabe der Universität und was heißt es, international zu sein?
„English carries as much culture as any other language in the world”
Sabine berichtete, dass in den Interviews mit internationalen BGHS-Promovierenden der Eindruck entstand, dass sie Englisch als kulturell ‚neutrale‘ Sprache wahrnehmen, als lingua franca der Wissenschaft. Sandra bestätigte, dass Englisch mittlerweile die internationale Sprache der Wissenschaft ist, aber sie betonte auch: „English carries as much culture as any other language in the world”. Es gehe nicht nur um die Sprache, sondern auch darum, woher man komme und welches Wissen man mitbringe. Ingrid ergänzte, dass die Anerkennung von englischen Sprachkenntnissen hierarchisch geordnet ist, wie soziolinguistische Forschung zu Sprachideologien zeigt. Dabei stehen Sprecher*innen von britischem und amerikanischem Englisch an der Spitze der Hierarchie, gefolgt von Siedlerkolonien wie Australien, Neuseeland, Irland und vielleicht Südafrika. Danach kommen die ehemaligen britischen Kolonien, in denen Englisch Amtssprache ist, aber wo die Leute in der Regel bilingual sind, also noch mindestens eine weitere Sprache sprechen, z.B. in den Philippinen oder Nigeria. Erst dann folgt der Rest der Welt, wo man Englisch in der Schule lernt. Ingrid wies darauf hin, dass unterschiedliche Sprecher*innen unterschiedlich eingeschätzt werden und dadurch auch unterschiedliche Legitimität bekommen. Es entwickle sich in Institutionen eine Art linguistischer Schattenstruktur im Hinblick auf Reputation, was auch in der Wissenschaft gelte. Sie berichtete über ein eigenes Forschungsprojekt, in dem sie gemeinsam mit Kolleginnen untersuchte, welche Wissenschaftler*innen im Feld der angewandten Linguistik am häufigsten zitiert werden. Dabei zeigte sich, dass 70% der Zitationen auf Wissenschaftler*innen aus dem anglophonen Raum entfallen, 15% auf den europäischen Raum und weitere 15% auf den Rest der Welt, der u.a. China umfasse. Das heißt, die Rezeption von englischsprachigen Publikationen hängt auch von der Herkunft der Wissenschaftler*innen ab. Sandra ergänzte, es gebe darüber hinaus ja sehr viel gute wissenschaftliche Literatur, die nicht auf Englisch vorliege und daher nicht zur Kenntnis genommen werde. Da kämen dann Übersetzer*innen ins Spiel.
À propos Übersetzung
Ingrid machte darauf aufmerksam, dass Übersetzung nicht nur eine Frage von (Fremd)Sprachen ist, sondern dass es viele Arten von Übersetzungen gebe, z.B. Übersetzungen akademischer Forschungsergebnisse in Umgangssprache, um ein breites Publikum zu erreichen. Dabei spielten dann andere Kommunikationskanäle eine Rolle, etwa Podcasts oder Videos. Sie habe beispielsweise mit Kolleginnen die Website „Language on the Move“ eingerichtet, in der sie angewandte soziolinguistische Forschung allgemeinverständlich darstellten. Die Website enthält auch einen Podcast, in dem junge Wissenschaftler*innen miteinander über ihre aktuellen Publikationen sprechen (Chats in Linguistic Diversity). Auf diese Weise könne man auf Ressourcen zurückgreifen, die (internationale) Promovierende mitbringen. Sandra ergänzte, dass man viele Erfahrungen und Fähigkeiten erworben habe, wenn man es geschafft hat, in einer neuen Sprache zu überleben. Und auch interdisziplinärer Austausch erfordere Übersetzungsarbeit. Lisa kam auf ein weiteres Problem von Übersetzungen zu sprechen: Sie wies darauf hin, dass Worte und Begriffe eine Genealogie haben und ein Netzwerk, in dem sie gebraucht wurden und werden. Also, Begriffe wurden schon vorher benutzt und tragen einen Teil dieser Nutzung mit sich. Und das sei schwer, in einer Übersetzung wiederzugeben. Dazu berichtete Sandra über ihre Übersetzung des Buchs „Enduring Enmity. The Story of Otto Kirchheimer and Carl Schmitt“ von Hubertus Buchstein (2024) und das englischsprachige Glossar von Worten, die in Deutschland während des Nationalsozialismus mit besonderer Bedeutung aufgeladen wurden, das sie dafür erarbeitet hat. Sie betonte, es sei wichtig, den Kontext zu verstehen, in dem ein Text stehe, und ihn für ein Publikum zu übersetzen, das darüber nichts wisse. Man müsse sich fragen: „What do I have to explain to my audience for the target language and what did the author not have to explain to their audience in the source language?”
Deutsch als kreative und präzise Wissenschaftssprache
Im letzten Teil der Diskussion brach Lisa eine Lanze für Deutsch als Wissenschaftssprache. Sie berichtete, welch großen Einfluss einige Besonderheiten der deutschen Sprache auf ihre Forschung haben. Sie bezog sich dabei auf zwei Aspekte. Zum einen ermögliche die deutsche Sprache kreative Wortschöpfungen durch die Bildung von Komposita, also die Zusammensetzung von zwei oder mehr Substantiven, und das Anhängen von Vor- und Nachsilben, wodurch man das Denken sehr präzise zum Ausdruck bringen könne. Dies sei beispielsweise auf Italienisch oder Französisch nicht in dieser Form möglich. Zum zweiten fasziniere sie die doppelte Natur der deutschen Sprache. Es gebe Paare von Wörtern, von denen eines aus dem Germanischen und eines aus dem Lateinischen stamme, z.B. Denkmal und Monument. Diese würden aber nicht synonym verwendet, sondern unterschiedlich gebraucht, weil sie jeweils eine eigene Geschichte hätten. Ihre ganze wissenschaftliche Arbeit basiere auf dieser doppelten Natur, weshalb die deutsche Sprache für sie als Philosophin und Historikerin die wichtigste Arbeitssprache sei.
Es war ein ungemein vielseitiger und unterhaltsamer Austausch. Das lag an den spannenden Themen, aber vor allem an den tollen Gästen auf dem Podium, die persönliche Erfahrungen und Erlebnisse wunderbar mit ihrer Arbeit verknüpften.