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Dominik Hofmann: Mit DAAD-Stipendium in Mexiko
Gerade jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem ich Bescheid bekam, das DAAD-Stipendium erhalten zu haben, auf das ich mich beworben hatte, um im Zuge der Arbeit an meiner Dissertation ein halbes Jahr in an der Universidad Iberoamericana in Mexiko-Stadt zu verbringen. Man teilte mir mit, das Gustav-Schübeck-Stipendium (Link) zugesprochen bekommen zu haben, das von der an den DAAD e.V. angeschlossen, mit ihm aber nicht identischen, DAAD-Stiftung vergeben wird.
Die, den Lebenshaltungskosten des Ziellands angepasste, Fördersumme war großzügig bemessen und ermöglichte mir u.a. Reisen in verschiedene Teile des Landes, die mir bei meiner Arbeit enorm weitergeholfen haben. Ich war sehr frei in der Organisation. Flug, Unterbringung, Kontakt mit der Gastuniversität und Lebens- und Projektplanung vor Ort waren mir überlassen, wurden aber vom Stipendium bzw. von entsprechenden Zusatzpauschalen gedeckt. Ich fand es sehr angenehm, diesen Freiraum zu haben, zumal ich bei Nachfragen und Zweifeln immer prompt und kompetent beraten wurde.
Der Moment, in dem ich die Bestätigungsmail erhielt, scheint mir – durch den Pandemieausbruch und meine Erlebnisse in Mexiko von der Gegenwart getrennt – gerade sehr lange vergangen, ist mir aber trotzdem noch deutlich erinnerlich, weil es ein Moment starker Erleichterung – mehr noch als der Freude – für mich war.
Soweit ich weiß, werden die exakten Statistiken über angenommene und abgelehnte Bewerber*innen nicht veröffentlicht, die Quote der akzeptierten Anträge liegt aber dem Hörensagen und der Meinung aller Personen nach, die mich beraten haben, sehr viel höher als bei anderen Förderungseinrichtungen. Meine Erleichterung verdankte sich aber über die Auflösung der allgemeinen Ungewissheit des Bewerbungserfolgs hinaus noch dem Abfallen einiger weiterer Unsicherheiten. Ich hatte relativ viel Zeit und Mühe in meine – das Erwartbare (Motivationsschreiben, Arbeitsplan, Zeugnisse, Nachweise über Sprachkenntnisse, zwei Gutachten) umfassende – Bewerbung fließen lassen, es gab einige Komplikationen mit der Zustellung eines der Gutachten, die ausschließlich über das Online-Forum, in dem auch die Bewerbung verwaltet wurde, mögliche Kommunikation mit dem DAAD verlief nur recht zäh und während des gesamten Frühjahres hatte ich nicht für das zweite Halbjahr 2019 planen können, von dem ich nicht wusste, ob ich es in Deutschland und in Mexiko verbringen würde. Auf den Bescheid, den ich jetzt erhielt, hatte ich einige Monate länger gewartet als ursprünglich angekündigt.
Entsprechend schlug die Erleichterung auch fast augenblicklich in gebotene Betriebsamkeit um, denn bis zur Ausreise blieb mir nur ein Monat. Es gibt beim DAAD zwei Varianten länderspezifischer Doktorandenstipendien: für 1-6 Monate und für 7-12 Monate. Bei einer Bewerbung wählt man die geeignet erscheinende Zeitspanne für die Bewerbung fest aus uns legt einen Ausreisezeitpunkt fest, der innerhalb des Zeitraums bis zum Beginn der nächsten Bewerbungsphase liegen muss. In meinem Fall hatte ich mir, dem mexikanischen Semesterbeginn entsprechend, einen eher frühen Zeitpunkt ausgesucht, sodass es in der knappen Zeit Vieles zu organisieren galt. Beispielsweise wäre es in der Zeit nicht mehr möglich gewesen, noch ein Studentenvisum zu beantragen (glücklicherweise bekommt man Touristenvisa für Mexiko ohne vorherige Beantragung und für 180 Tage bei der Einreise ausgestellt).
Meine Wahrnehmung von Alltag, Gastuniversität, einigen Erlebnissen auf Forschungsexkursionen und meinen eigenen Privilegien habe ich in diesem ausführlichen Bericht (Link) als eine Art Erzählung beschrieben, deren, notwendigerweise äußerst selektive, vom DAAD gekürzte, Version die folgende ist:
Ich beginne, was eher eine Erzählung ist, an meinem ersten Tag an der Universidad Iberoamericana – in Mexiko sowie im folgenden Text ausschließlich „die Ibero“ genannt. Ich habe mich verfahren und muss, um zum Universitätsgelände zu finden, zwei vierspurige Straßen und eine Überführungsbrücke überqueren, was sich letztendlich als Fußweg von einer knappen Stunde herausstellt. Vorausblickend habe ich anderthalb Stunden für entsprechende Eventualitäten eingeplant, da mir klar war, wie gering meine Chancen ausfallen würden, nicht nur in einen der Kleinbusse mit dem korrekten Ziel ein-, sondern vor allem auch an der richtigen Stelle wieder aus ihm auszusteigen. Verkehr gehört zu den beherrschenden Themen der Gespräche, die ich in Mexiko-Stadt führe. Wo das Wetter sich nie ändert, dient die Thematisierung der Zeit, die man dieses Mal gebraucht hat, gängigerweise als unverfänglicher Gegenstand von Smalltalk (ein Äquivalent übrigens zum in den weniger urbanen Regionen Mexikos gängigen Sprechen darüber, was man gegessen hat).
Eine Zeitlang trage ich mich mit dem Gedanken, mir ein Fahrrad zu besorgen, verwerfe ihn jedoch immer wieder, unter anderem, weil ich mich dem Einatmen der Schadstoffe nicht aussetzen möchte. Ich fahre also weiter in Bussen, welche die Schadstoffe ausstoßen, denen ich auszuweichen versuche, indem ich die Busse benutze. Verkehr erzeugt die Notwendigkeit von mehr Verkehr.
Im Schatten der eindrucksvollen Bauruine eines nie fertiggestellten Schnellzug-Hochträgers werde ich von Professor Javier Torres Nafarrate, auf dessen Einladung ich nach Mexiko kommen konnte, an der Eingangsschranke zur Universität abgeholt. Alle Zugänge zum Campus sind streng bewacht, ohne Chipkarte ist der Zugang unmöglich. Es handelt sich bei der Ibero um eine private Universität, gegründet und getragen vom Jesuitenorden, zwar grundsätzlich dessen Idealen verschrieben, in der Lehre aber unabhängig. Innerhalb eines enorm stark stratifizierten Hochschulsystems gilt sie als Eliteuniversität. In der Bibliothek finde ich, wie durch die vor der Reise durchgeführte Recherche vorhergesagt, eine große Menge an (v.a. natürlich spanischsprachigen) Büchern, zu denen ich in Deutschland keinen Zugang hatte. Einzig der Rechner am mir zur Verfügung gestellten Arbeitsplatz in Professor Torres Büro ist unbedienbar langsam, so dass ich stets an meinem Laptop arbeite.
Meine „Privilegierung“ ist hier eher eine strukturelle als eine situationelle: Ich ziehe keinen unmittelbaren Profit aus ihr. Genau dies verhält sich aber anders im akademischen Kontext meines Aufenthalts. Ich nutze nicht nur, wie ja im Wissenschaftsbetrieb üblich, die Kontaktnetzwerke meiner Professoren, sondern bin mir darüber hinaus recht sicher, dass mir die Erwähnung meines Herkunftslands Deutschland allgemein und meiner Heimatuniversität Bielefeld im Speziellen bei Anfragen, die ich stelle, um für die Dissertation Interviews und Gespräche mit Wissenschaftlern, Journalisten, Anwälten und Menschenrechtsaktivisten zu führen, zu Terminen mit Personen verhilft, die mexikanische Studierende einer öffentlichen Provinzuniversität wahrscheinlich nicht empfangen hätten. Ich entscheide mich dennoch für die entsprechenden Erwähnungen, da der hauptsächliche Zweck meines Aufenthalts nun einmal im Führen dieser Interviews und Diskussionen besteht.
Mein Forschungsprojekt hat ein Phänomen zum Thema, das sich in Mexiko besonders verbreitet, in meiner Heimat jedoch kaum findet. Es ist mit dem „Impunitätsdiskurs“ befasst, mit der gesellschaftlichen Thematisierung der Tatsache also, dass in vielen Weltregionen die große Mehrheit aller Verbrechen ungestraft bleibt, und mich interessieren besonders die Formen, in denen der Diskurs darüber geführt wird, sowie die gesellschaftlichen Reaktionen auf die entsprechende Thematisierung. Ich befinde mich in Lateinamerika, weil dort der Impunitätsdiskurs (wohlgemerkt: der Diskurs, nicht unbedingt das Phänomen, auf das er sich bezieht) weltweit am ausgeprägtesten ist.
Zeugnis davon legt die Konferenz am Colegio de México (Colmex) ab, das als Gipfel der akademischen Hierarchie Mexikos gelten kann. Die Möglichkeit, mein Forschungsprojekt dort vorzustellen, stellt für mich einen der absoluten Höhepunkte meines Aufenthalts dar. Zudem stoße ich bei derselben Gelegenheit zum ersten Mal auf die Bibliothek des Instituts, deren phänomenales Inventar beinahe alle Literatur umfasst, die ich in deutschen Bibliotheken gepaart mit derjenigen der Ibero zuvor gesucht, nicht aber gefunden habe. Das umfasst besonders auch die digitale Bibliothek, zu der auf dem gesamten Gelände Zugang besteht, weshalb es mich in der Folge häufig zum Arbeiten ans Colmex zieht.
Ich selbst versuche, ein „mexikanisches Leben“ – was auch immer das sein mag – zu führen, wobei mir sicherlich mein gutes – durch mehrere längere Aufenthalte in spanischsprachigen Ländern verfeinertes – Spanisch hilft. So kommt es wohl auch, dass ich an der Ibero um verschiedene Übersetzungsarbeit für ein Journal gebeten werde. Im Laufe des halben Jahres übersetze ich immer wieder einmal kleinere Artikel und vereinbare zuletzt weitere zukünftige Zusammenarbeit in diesem Bereich. Teil des Versuchs, mich in den mexikanischen Alltag einzuleben, ist es auch, dass ich in einem Haus mit Mexikanern zusammenlebe.
Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung um das Stipendium hatte ich drei grundsätzliche fachliche Vorhaben für den Aufenthalt: Mein Dissertationsprojekt in demjenigen soziokulturellen und geographischen Kontext zu präsentieren und zu diskutieren, auf den es sich inhaltlich in großen Teilen bezieht; Experteninterviews zu führen und Material für eine Diskursanalyse zu sammeln; und auf einer allgemeineren Ebene in akademischen Austausch kommen. Hinsichtlich aller drei Punkte wurden meine Hoffnungen erfüllt oder übertroffen.
Auch bin ich ehrlich davon überzeugt, im halben Jahr meines Aufenthalts entscheidend mit meiner Arbeit vorangekommen zu sein. Das trifft nicht nur auf den fachlichen Bereich zu, sondern auch auf den persönlichen. Dank einer Vielzahl an Begegnungen habe ich auch über die Gefilde einer Promotion hinaus Unzählbares und Unschätzbares gelernt. Ich bin der DAAD-Stiftung zutiefst dankbar dafür, mir diese Erfahrungen ermöglicht zu haben.