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Arbeiten, wo andere Urlaub machen
Arbeiten, wo andere Urlaub machen
Erfahrungsbericht über eine Archivreise nach Südamerika
Internationalisierung ist eines der Grundprinzipien der BGHS, und nicht wenige BGHS-Mitglieder promovieren zu Themen, die verschiedene Länder und Nationen betreffen. Einer davon ist Tim Rieke, der über seine Erfahrungen bei einer Forschungsreise nach Brasilien, Chile, Argentinien und Uruguay von Mai bis September 2022 berichtet, bei der er Quellenmaterial für sein Dissertationsprojekt zu deutschen Konsuln in Südamerika zwischen 1840 und 1918 zusammengetragen hat. Tims Promotionsprojekt wird gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung, die auch die Archivreise mitfinanziert hat.
Das Interesse bei meiner Recherche in den Archiven galt in erster Linie der Korrespondenz zwischen den Konsuln und südamerikanischen Behörden, um die Interaktion zwischen beiden beleuchten zu können, und daneben jeglichem Archivmaterial, das biographische Aufschlüsse über die Lebensverläufe der Konsuln vor Ort ermöglichte. Die Forschungsreise fand als Rundreise statt, und für jeden Standort hatte ich zwei bis drei Wochen Aufenthalt geplant. Gestartet bin ich in São Paulo (Brasilien), weil ich die Stadt schon recht gut kannte. Auch wenn sie riesig ist und in großen Teilen ein Meer von Hochhäusern, bietet sie doch immer wieder Ecken mit einem besonderen Charme. Weiter ging es nach Santiago (Chile), wo sich der Winter am stärksten in Südamerika bemerkbar macht, und zwar nicht nur wegen der Aussichten auf die schneebedeckten Anden.
(Nationalarchiv Chile, Copyright: Tim Rieke)
Über die ganze Aufenthaltsdauer hinweg ging die Temperatur nur einmal über 15 Grad hinaus und meistens lag sie im einstelligen Bereich. Es folgte Buenos Aires (Argentinien), eine beeindruckende, weitläufige und facettenreiche Stadt, und dann einmal über den Río de la Plata auf dessen andere Seite, und schon war ich in der nächsten südamerikanischen Hauptstadt, Montevideo (Uruguay) mit ihrer tollen Uferpromenade.
(Uferpromenade Montevideo, Copyright: Tim Rieke)
Von dort aus reiste ich zurück nach Brasilien und verbrachte zunächst wiederum Zeit in São Paulo, um meine Recherchen zu ergänzen. Es folgte ein Aufenthalt mit vielen plötzlichen Regengüssen bei milden Temperaturen in Salvador da Bahia, einem Zentrum der afro-brasilianischen Kultur.
(Salvador da Bahia, Copyright: Tim Rieke)
Und den Abschluss bildete Rio de Janeiro, das Brasilien-Klischee schlechthin, was die Stadt jedoch nicht minder sehenswert und spektakulär macht.
Arbeiten in Archiven
Meine Reise hat mich sowohl in staatliche Archive als auch in private Einrichtungen geführt, letztere hauptsächlich Institute zur Geschichte der deutschen Einwanderung, die oft von Stiftungen getragen werden. Dort ist die Anzahl der Besucher meistens geringer, die Abläufe weniger formalisiert und man gelangt schneller in fachlichen Austausch mit den Mitarbeiter*innen. Aber auch manche der großen Archive, wie etwa das Archiv des brasilianischen Außenministeriums in Rio de Janeiro, waren überraschend spärlich besucht. Gerade diese Archive der Außenministerien finden sich oft in sehenswerten repräsentativen Gebäuden. So kam es zweimal sogar vor, in Rio und ebenso in Montevideo, dass mir als aus Europa angereistem Forscher eine kleine Hausführung durch die Räumlichkeiten der Paläste angeboten wurde.
Eine Besonderheit gab es in Santiago de Chile, als überraschenderweise ein Streik der Mitarbeiter*innen im Nationalarchiv meine Recherchen vorzeitig beendete. Der Streik begann direkt zu Beginn der zweiten Woche meines Aufenthaltes dort. Zunächst hatte ich noch die Hoffnung, in meiner letzten Woche in Santiago zumindest den einen oder anderen Recherchetag durchführen zu können, aber dies erfüllte sich nicht. Organisiert wurde der Streik von einer Gewerkschaft für Beschäftigte im Bereich des nationalen Kulturerbes (Anatrap). Er betraf daher auch viele andere kleinere Archive und die Nationalbibliothek, die ebenso wochenlang geschlossen blieb. Die Gewerkschaft stellte durchaus bedenkenswerte Forderungen an die chilenische Politik, die neben der besseren Bezahlung der Beschäftigten vor allem das Thema der Arbeitsbedingungen betrafen. Nach längerer Zeit wurde der Streik mit einem Kompromiss beendet. Auch wenn er leider meiner Recherche einen großen Strich durch die Rechnung machte, hoffe ich, dass er vielleicht für die eine oder den anderen der in jenem Bereich Beschäftigten letztlich ein hilfreiches Ergebnis erzielt hat.
(Streikzettel, Copyright: Tim Rieke)
Tipps für die Vorbereitung einer Forschungsreise
Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit meiner Forschungsreise. Als den vielleicht wichtigsten Faktor für ihren Erfolg würde ich den frühzeitigen Kontakt mit anderen Wissenschaftler*innen in den einzelnen südamerikanischen Ländern nennen. Bei einer solchen Reise ist es enorm hilfreich, sich bereits im Vorhinein mit Kenner*innen der lokalen Verhältnisse (die nicht selten auch zumindest zu ähnlichen oder angrenzenden Themen forschen) auszutauschen. Man bekommt von ihnen wichtige Hinweise zu Recherchemöglichkeiten und nicht selten auch ganz einfach praktische und organisatorische Tipps. Die entsprechenden Kontakte stellt man leicht durch Professor*innen der eigenen Universität aus dem jeweiligen Feld her, in meinem Fall der südamerikanischen Geschichte, die viele Empfehlungen geben können.
Darüber hinaus lohnt es sich zudem fast immer, eigeninitiativ Akteur*innen in Südamerika zu kontaktieren. Das eine oder andere Mal habe ich Forscher*innen von dortigen Universitäten, von denen ich interessante Aufsätze oder sonstige Beiträge gelesen hatte, einfach eine Mail dazu geschrieben. Und das gilt auch zur Vorbereitung der Besuchstermine in den verschiedenen Archiven. Die meisten Einrichtungen haben auf meine Mails zügig und zuverlässig geantwortet, sich auch bei Nachfragen ausführlich gekümmert. Von der Trägheit, die lateinamerikanischen Forschungseinrichtungen mitunter vorgeworfen wird, habe ich jedenfalls nichts zu spüren bekommen.
Meine Reise war zwar trotz der exotischen Orte alles andere als ein Urlaub, aber eine schöne Umgebung und hilfsbereite Menschen machen auch das Arbeiten viel leichter.