Zentrum für interdisziplinäre Forschung
"Hidden Fragments": Rede und Gespräch zur Ausstellungseröffnung
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Hidden Fragments“ von Nicola Schudy, gehalten anlässlich der Vernissage am 9. Oktober 2025
Von Johanna Schwarz, Professorin für Kulturelle Bildung und künstlerische Strategien im öffentlichen Raum an der Universität Siegen
Ich freue mich sehr, Ihnen Nicola Schudy und ihre Arbeit vorzustellen. In der Kunstkommission des ZIF ist es uns sehr wichtig, dass die Arbeitsweise/Inhalte der Künstlerinnen zum Geist des ZIF passen, sei es in Bezug zum Ort und zur Architektur und /oder in ihren interdisziplinären Interessen. Sie werden sehen und hören, dass beides im Fall der heutigen Position zutrifft.
Biografisches:
• Nicola Schudy lebt und arbeitet in Köln, sie studierte visuelle Kommunikation und Bildende Kunst in Düsseldorf und Frankreich
• Sie arbeitete im Bereich Szenenbild im Film und im Theater, u.a. bei Greenaway oder Schlingensief.
• Sie erarbeitet seit vielen Jahren ortsspezifische Projekte und ist zudem als Kuratorin und Mentorin tätig.
• Seit 2006 erhielt sie regelmäßig Stipendien und Preise, genannt seien zwei neuere Auszeichnungen: 2022 bekam sie den Leo-Breuer-Preis (Auseinandersetzung mit einem konstruktiv-systematischen Ansatz) und 2023 das Arbeitsstipendium des Kunstfonds Bonn
Ich komme zur künstlerischen Arbeit:
„Wasserspiegel partiell erhöht“, „Inside looking out“, „mind the step“, „Ruine“, „Notiz zum Parkett“, „Hidden Fragments“
„Hidden Fragments“ kann sich auf die Fantasy Romanreihe „All the hidden fragments“ (z.B. „Seelenblütenschimmern“) von Rosalie John beziehen, die eine junge Tänzerin namens Evely verfolgt, die ihre Grenzen testet...
Oder es kann eine künstlerische Installa-tion von Nicola Schudy sein, die sich mit der Analyse von Orten und Räumen be-fasst und Brüche und Hintergründe sichtbar macht.
Letzteres ist ein KI-Zitat, ersteres sind bisherige Arbeitstitel der Künstlerin, in denen bereits deutlich wird, dass Räume und Orte eine zentrale Rolle in ihrem Werk spielen.
Zitat: diesmal von der Künstlerin und nicht von der KI: „Der Raum ist material-gebend in seiner physischen, atmosphärischen und architektonischen Dimension. Er ist Speicher von Zeit und Geschichte. Besonders interessiert mich das Lückenhafte und Brüchige, Nischen und Zwischenräume und die stetige Veränderung der Orte.“
Kay von Keitz nennt sie eine Raumethnologin, man könnte auch sagen, sie ist Archäologin im Namen der Kunst, sie sieht das ZIF als „Grabungsstätte“ oder etwas positiver konnotiert als Spielplatz, den es zu entdecken gilt und dessen historische Schichten freizulegen sind. Das ZIF, in den 70er Jahren entwickelte und gebaute Architektur, hat mit der Zeit viele Schichten und Ummantelungen erhalten, mal besser mal schlechter gelungen. Nicola Schudy entdeckt versteckte Fragmente, findet zunächst Unsichtbares, legt Ebenen frei und baut dies ein in ihre assoziative, an Bühnenbilder erinnernde Intervention.
Ich möchte einen Verweis einbringen, der eng mit der Geschichte des ZIF und Kunst am ZIF verbunden ist. Sicher ist Ihnen der verwaiste Sockel aufgefallen, der unbespielt auf dem Vorplatz steht. 1993, zum 25-jährigen Jubiläum wurde die Serie Zeitskulpturen ins Leben gerufen. Auf dem eigens dafür entwickelten Sockel wurden Skulpturen oder Installationen errichtet. Es ging um Zeitlichkeit, den Auftakt machte Peter Sommer, damals Professor der Universität. Er platzierte einen Kubikmeter Tonerde als offenen Quader auf dem Sockel und setze ihn der Witterung und der natürlichen Zersetzung aus.
Der Sockel selbst ist jetzt Abbild der Zeitgeschichte, archäologisches Objekt und bildet eine Analogie zur Forschungsreise Nicola Schudys durch die Gebäude und das Gelände und ihrer Entdeckung historischer, architektonischer, auch menschlicher Merkmale und Merkwürdigkeiten. Im Gegensatz dieser veränderbaren, aber doch auf einen Sockel begrenzten Skulptur, arbeitet Nicola Schudy in situ, sie arbeitet an Ort und Stelle, die Arbeit verschmilzt mit dem Ort, der wird Teil des Werkes, sie interagiert und zeigt uns als Betrachter*innen diesen Ort, an dem wir jetzt stehen, neu und eröffnet somit einen erweiterten Blick, einen interdisziplinär forschenden und künstlerischen Blick auf die Gebäude des geschichtsträchtigen Ortes, dem Zentrum für Interdisziplinäre Forschung.
Nicola Schudy im Gespräch mit Prof. Johanna Schwarz und Thilo Schölpen
Johanna Schwarz: Vielleicht erzählst du ein bisschen - wie ist dein Ansatz? Wie bist du vorgegangen? Ich fand interessant, dass du gesagt hast, du hast die Schichten des ZIFs sozusagen freigelegt und du bist auch wirklich bis in die Maschinenräume gegangen und hast alles inspiziert. Vielleicht kannst du erklären, wie du vorgegangen bist, als du hier hingekommen bist.
Nicola Schudy: Ich nähere mich den Orten immer über unterschiedliche Ebenen. Die eine ist die Raumwahrnehmung, nicht nur dieses Ausstellungsraums/ Foyers, sondern des gesamten Umfeldes. Das ist einerseits ein sehr persönliches, atmosphärisches Erleben des Ortes und auf der anderen Seite ein eher analytischer Blick auf die Architektur. Dazu gehört es, Pläne und Material aus der Zeit anzusehen. Zum Beispiel habe ich zeitgenössische Filme angesehen, um den Architektur-Utopien der Zeit nachzuspüren. Die eine Ebene ist also die Architektur, die andere das „SYSTEM ZIF“. Für mich ist es wie ein „schlafendes Tier“, das lange ruht, um dann irgendwann Gäste zu empfangen. Es ist lange ganz ruhig hier und dann schwellen die Geräusche und Tätigkeiten an…. dazu gehören viele Menschen, die hier arbeiten, dazu gehört eine ganze Funktionsebene, viel Technik. Ich war, wie gesagt, in den Kellerräumen – die Lüftungsschächte, die Klimaanlagen, die Kriechgänge, die einmal rund um das Gebäude führen – ich habe das ZIF recht gründlich untersucht.
Johanna Schwarz: Vielleicht kannst du noch etwas sagen zu den Treppen oder Treppenfragmente, die ja offensichtlich eine große Rolle spielen, auch in den Zeichnungen. Es gibt hier auch noch diese Abformung mit Ton (Keramik). Wie bist du zu diesen Elementen, diesen Bauteilen gekommen?
Nicola Schudy: Zum Thema Treppe – das ist ein Bauelement, das mich immer wieder fasziniert, auch im überbegrifflichen Sinne, als Verbindung zwischen zwei Ebenen. Hier gibt es sehr viele Treppen und Treppenhäuser. Es gibt auch genauso eine Blindtreppe, die ins Nichts läuft. Da war zuvor mal eine Sitzfläche, die es inzwischen nicht mehr gibt. Zu diesen Formen hat mich der Gedanke des standardisierten modularen Bauens geführt, der mich auch immer wieder beschäftigt. Ich wollte aus Standard-Normmaß-Metallplatten wiedererkennbare Formen oder Proportionen der Architektur des ZIFs herausschälen.
Johanna Schwarz: Bei der Treppe ist es offensichtlich, woraus entwickelst du die beiden anderen Formen….
Nicola Schudy: Das eine ist ein Mauerelement, mit dieser typischen gebrochenen Kante, die beim Betonguss als Gestaltungselement genutzt wird. Die taucht hier zweimal auf. Das andere Element ist eher eine Proportion aus den Überhängen der Betondecken. Und das Ganze – mein Bild dazu – war eine aus der Zukunft betrachtete Ruine – etwas wie eine archäologische Stätte – zwischen Spielplatz und zukünftigen Funden und Überresten.
Johanna Schwarz: Interessant ist noch einmal die Materialität. Vieles erinnert an Minimalismus, es ist sehr reduziert und wenig farbig, Licht spielt eine Rolle, und dann kommen noch diese Baumaterialien dazu. Es sind industrielle Materialien. Trotzdem hat es dieses Hauchdünne, eine gewisse Zartheit, was man vielleicht auch merkt, wenn ihr den Klang einsetzt – dann beginnt es zu schwingen. Es ist fragil und trotzdem industriell. Wie bist du da vorgegangen?
Nicola Schudy: Ich bin zum Teil sehr konkret vorgegangen, habe Abnahmen mit Papier gemacht oder diese Abnahme mit Ton, was eine ziemlich absurde Tätigkeit ist, dass man sich diesem großen Gebäudekomplex mit einem Stück Ton nähern möchte. Und so ähnlich ist es mit den Zeichnungen auch. Eigentlich sind es konkrete Beobachtungen und der Versuch, ein Konzentrat herauszuziehen – eine atmosphärische Verdichtung. Gleichzeitig ist es modellhaft, im Sinne einer Idee, einer Behauptung. Ich bin analog zu den realen Gegebenheiten vorgegangen und habe sie imitiert – so wie das Hauptgebäude des ZIF auch mit Standard-Modulen gedämmt und verkleidet wurde.
Johanna Schwarz: Und auch bei den Zeichnungen in den Vitrinen sieht man dieses Baumaterial. Diesen Dämmstoff hast du auch hier verwendet. Das gefällt mir sehr, wie du daraus eine Architektur für die Zeichnungen gebaut hast und sie in den Vitrinen wie archäologische Fundstücke präsentierst. Die Zeichnungen sind ja eigentlich Aquarelle. Da spielen die Treppen auch wieder eine Rolle, sie lösen sich auf. Das hat etwas sehr Poetisches.
Nicola Schudy: Ja, das Aquarell löst die Architektur auf. Ganz stark ist die Farbigkeit, das Grün, präsent. Als ich im Sommer hier war, war es draußen noch grün, nicht so herbstlich. Das Außen spielt in diesem Raum ja eine sehr große Rolle und zusammen mit dem grünen Teppichboden – da löst sich die Architektur in den Zeichnungen auf, wird zu Natur, wird landschaftlich.
Johanna Schwarz: Dieser Raum wird dominiert durch die Glasfassade. Das Außen ist immer präsent und wirft immer ein anders Licht auf die Installation. Ganz verschiedene Stimmungen entstehen, je nach Jahres- und Tageszeit. Das macht den Reiz der Installation aus, wie verschiedene Szenen eines Bühnenbildes. Jetzt möchte ich gerne noch mit euch beiden über die Soundarbeit und die Soundperformance sprechen. Wie entwi-ckelt ihr eure Arbeit, wie geht ihr vor? Entstehen die Elemente gleichzeitig?
Thilo Schölpen: Sie entstehen nicht gleichzeitig, weil zuerst die Skulptur da sein muss. Der Sound entsteht im Austausch und ist auch ganz konkret mit der Erkundung des ZIF, die ja die Grundlage für Nicolas Arbeit ist, verbunden. Es ist eine dreiteilige Komposition. Im ersten Teil geht es um die Natur, die das ZIF umgibt – Rauschen, das an Wind erinnert, Klänge, die an Vögel erinnern, oder Wasser. Dabei sind die Klänge synthetisch erzeugt. Thema im zweiten Teil ist der technische Bereich, den Nicola erwähnt hat. Wir haben Aufnahmen der technischen Anlagen gemacht, also Field Recordings, so nennt man das. Die Anlagen bestehen ja größtenteils aus Metall und die aufgenommenen Sounds werden hier auf dem dünnen Metall wiedergegeben. Das ist ein interessanter Klang. Der dritte Teil ist das Geistige, das hier vorherrscht, also die Wissenschaft – zusätzlich noch die Idee, alles aus der Zukunft heraus zu betrachten. Also es sind möglicherweise Außerirdische, die Klänge senden… (lacht). Diese Klänge sind auch wieder komplett synthetisch erzeugt.
Johanna Schwarz: Eigentlich ist also erst das Werk da und dann entsteht der Sound?
Nicola Schudy: Es war schon klar, dass ich gerne Klang benutzen würde, deshalb haben wir es parallel gedacht. Für den Klang spielt zum Beispiel die Auswahl der Materialien eine Rolle und es war auch klar, dass Metall eine zusätzliche Sound-Dimension hat.
Johanna Schwarz: Warum sind die Klänge synthetisch?
Thilo Schölpen: Nicht alle sind synthetisch, wie gesagt gibt es auch diese natürlichen Klänge, die Field Recordings, aber ja, größtenteils sind es erzeugte Klänge und das ist eine konzeptionelle und ästhetische Entscheidung. Ich finde es interessant, Klänge nachzubauen, die sich kaum von realen Klängen unterscheiden, aber doch ein bisschen „künstlich“ bleiben.
Nicola Schudy: … wie eine Hyperrealität. Man findet Verwandtschaften, aber es bleibt eine gewisse Künstlichkeit…
Thilo Schölpen: … die auf dem schwingenden Metall noch verstärkt wird.
Johanna Schwarz: Könnt ihr noch kurz sagen wie das technisch funktioniert?
Nicola Schudy: Das ist dasselbe System, das wir auch in der Performance benutzen. Wir arbeiten mit Kontaktlautsprechern. Das heißt, der Klang wird über das Material übertragen. Die Skulptur wird so zum Lautsprecher. In der Performance hat es zusätzlich die Dimension der Bewegung – je nachdem wie wir die Lautsprecher bewegen, können wir die Klänge modulieren und weiter verändern.
Johanna Schwarz: Vielen Dank!
Nicola Schudy: Ich danke dir auch!